Der erste Tag des Jahres ist das älteste Marienfest der Kirche. Nicht der Beginn des bürgerlichen Jahres gab dazu den Ausschlag, sondern der Oktavtag (achte Tag) nach dem Geburtsfest Jesu, also nach Weihnachten. Als Abschluss also der Weihnachtsoktav wird in der Messfeier als Zweite Lesung das "Weihnachtsevangelium" des Apostels Paulus gelesen.
Einordnung des Lesungsabschnitts in den Galaterbrief
Im Galaterbrief reagiert der Apostel Paulus auf ein Problem, das ihn auch als Person berührt. Dies erklärt auch manch scharfe Formulierung in diesem Schreiben, das sich vermutlich an mehrere kleine Gemeinden in der Landschaft nördlich des heutigen Ankara wendet. Ihren Namen Galatien trägt die Gegend wohl aufgrund der früheren Ansiedlung von Kelten. Dort hatte Paulus erfolgreich missioniert, und zwar im Sinne eines Christentums, das - im Gegensatz zur Jerusalemer Urgemeinde - nicht das Einhalten der jüdischen Tora mit Beschneidung, Vorschriften zu koscherem Essen und der Kalenderordnung zur Bedingung machte. Obwohl sich Paulus diese gesetzesfreie Art der Missionierung von der Jerusalmer Gemeinde hatte genehmigen lassen, gab es von dort her immer noch zumindest einzelne Gruppierungen, die sich ein Christentum ohne absolute Geltung des jüdischen Gesetzes nicht vorstellen konnten. Diese agitierten wohl ihrerseits in den galatischen Gemeinden und versuchten, die neu gewonnenen Christen für ein striktes Judenchristentum zu gewinnen. Mindestens gelang es ihnen, die Gemeinden des Paulus zu verunsichern, vielleicht auch mehr. Davon erfährt Paulus und reagiert um das Jahr 55/56 n. Chr. mit einem Brief. Er erkennt in der Situation einen Kampf zweier "Christentümer" gegeneinander. Wahrscheinlich sprachen seine Gegner ihm ab, ein wirklich von Christus beauftragter Apostel zu sein. Dagegen argumentiert Paulus mit allen ihm zu Gebote stehenden brieflichen Mitteln - von ausgefeilter theologischer Argumentation bis hin zu heftiger Polemik.
In dem größeren Absatz Galater 3,25 - 4,7, wozu auch die wenigen Verse des Lesungsabschnitts gehören, argumentiert Paulus von der Taufe her. Sie bindet einzig und allein an Jesus Christus und darüber an Gott Vater selbst. Diese Bindung aber unterscheidet sich deutlich von einer Zugehörigkeit zu Gott, die allein aus der Erfüllung des von Gott mitgeteilten Gesetzes (Tora) entsteht. Den Wechsel von der einen Zugehörigkeitsform zur anderen verbindet Paulus mit der Geburt Jesu.
Der Wendepunkt (Gal 4,4)
In dem kurzen Lesungsabschnitt mit seiner sehr verdichteten Argumentation zählt fast jedes Wort. Schon die Eingangsformulierung von der "erfüllten Zeit" ist wichtig: Paulus vertritt ein pädagogisches bzw. "prozessuales" Konzept Gottes über den großen Lauf der Zeiten, das auf einen Zielpunkt zustrebt. Diesen Zeitpunkt sieht der Apostel mit der Geburt Jesu gekommen. Von Gott her ist der Lauf der Zeiten zu einer Erfüllung gekommen, denn mehr, als dass Gott seinen Sohn schickt bzw. in ihm Mensch wird, ist nicht vorstellbar (vgl. übrigens in Markus 1,14: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" als ersten Satz der Verkündigung Jesu).
Bis dahin galt allein das beim Wüstenzug am Sinai mitgeteilte "Gesetz", das Paulus keineswegs schlecht redet, aber in seiner Bindungsfunktion an Gott als vorläufig betrachtet. Dies wird für ihn daran erkennbar, dass an die Stelle einer "Sache" - nämlich ein aus Worten bestehendes und einst auf Steintafeln geschriebenes Gesetz - eine Person tritt, die mit uns unser Wesen teilt: Gott wurde Mensch.
Nichts veranschaulicht dies besser als die Tatsache der "Geburt durch eine Frau". Sie verbindet das Mensch-Werden Gottes mit dem Gesetz. Denn alle im jüdischen Gesetz mit der Geburt eines Kindes verbundenen Gesetze (Beschneidung, Namensgebung, Reinigungsopfer im Tempel) wurden eingehalten. Jesus teit also das Menschsein wie das "Stehen unter dem Gesetz" mit allen Juden seiner Zeit. Diese "Gleichzeitigkeit" von "Gesetzes-Gott" und "Gott als Mensch" führt schließlich zu einer Ablösung. Während Jesus noch nach den Maßgaben des Gesetzes am Kreuz stirbt (vgl. das Zitat aus Johannes 19,77 im "Überblick"), sprengt die Auferweckung alle Gesetzeslogik: Der Tod ist nicht mehr Tod und die Antwort auf Schuld ist nicht mehr Tötung, sondern "Streichung aller Schuld auf dem Schuldschein der Menschen" - dieses Bild verwendet der Kolosserbrief in Kol 2,14.
Aber ein Drittes kommt hinzu: Jesus ist auch "Sohn" - und zwar nicht nur einfach als Kind seiner Mutter, sondern als Sohn Gottes. Hier wird der von Paulus gemeinte Wechsel am deutlichsten: An die Stelle des "Gesetzes" tritt eine "Person", an die Stelle der "Weisung" die "Beziehung.
"Sohnschaft" (Gal 4,5)
"Sohn" meint nicht nur größtmögliche Nähe und Beziehung zum Vater, sondern auch den Anspruch, Erbe zu sein. Dieses "Erbe" ist die auch durch den Tod nicht endende Beziehung zum Vater sowie das Erfülltsein mit seinem Geist (vgl. Gal 3,14). Dieses Erbe hat Jesus für Paulus durch seinen Kreuzestod (wiederum eine durch das Gesetz geregelte Strafform) und seine Auferweckung für alle zugänglich gemacht. Er ist letztlich den Tod aller Menschen gestorben und in der Auferweckung vom Vater als Sohn bestätigt worden, um so allen Menschen den Weg zum "Sohn Gottes-Sein" zu eröffnen. "Sohn" ist dabei nicht geschlechtsspezifisch gemeint, sondern bedeutet nach alter Rechtsvorstellung den "Vollerben". Frauen erbten damals nichts oder viel weniger als Männer. Für Paulus ist klar: Im Blick auf die Gottesbeziehung gilt für Frauen und Männer nur ein einziges Erbrecht: das des Sohnes als Vollerben.
Das Erbe ändert alles (Gal 4,6-7)
An die Stelle der Angst, das Gesetz nicht zu halten und zu versagen und damit eines entmutigenden Gottesbildes tritt Vertrauen, Selbststand und Freiheit. Die Anrede "Abba", "lieber Vater" ist nicht neu (vgl. bereits Jesaja 63 - 64, hier aber im Rahmen eines Bußgebetes, das die eigene Unwürdigkeit betont), wird aber neu gefüllt mit einem Bewusstsein, geliebte Tochter und geliebter Sohn zu sein - ohne Beurteilungs- und Behandlungsunterschiede von Gott her.
Diese Zusage: "Du bist meine geliebte Tochter, du bist mein geliebter Sohn" erfolgt in der Taufe. Sie macht alle Getauften gleich (das besagt der Begriff "Sohn" als Gegenbegriff zu den "klassischen Unterscheidungen: "nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, ... männlich und weiblich", s. Galater 3,28) und zugleich ist sie die Grundlegung eines angstfrei liebenden Lebens. Das ist das Erbe, das Gott zu geben hat.