Antike Ordnung und sehr modernes Denken kommen in dieser Lesung zusammen, in der es darum geht, das eheliche Miteinander von Mann und Frau als Spiegel des Miteinanders von Christus und seiner Kirche zu entdecken und aus diesem Wissen heraus Beziehungen zu gestalten. Dabei steht der sperrige Gedanke der Unterordnung der Frau unter ihren Mann, der im Text allerdings deutlich relativiert wird, neben dem gewagten Vergleich zwischen dem Geheimnis der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau und dem Geheimnis der Einheit von Christus und seiner Kirche.
Einordnung der Lesung in ihren Zusammenhang
Die Kapitel 3 - 6 des Epheserbriefes gruppieren unter verschiedenen Gesichtspunkten ethische Weisungen an die Empfängergemeinde(n) des Schreibens. Nachdem die drei vorangehenden Kapitel 1 - 3 mit besonderem Blick auf die Heidenchristen die Theologie einer geistgewirkten Einheit entwickelt haben, die im "Frieden" stiftenden Kreuzestod Jesu gründet und sich darin als eigentliche Zielbestimmung Gottes erwiesen hat, wenden sich die drei Schlusskapitel an die judenchristlichen wie heidenchirstlichen Gemeindeglieder gleichermaßen. Jetzt geht es um das Ausfüllen der Theologie - man könnte auch sagen: der "Theorie" oder der "hehren Ideale" - mit Leben. Alle Weisungen lassen sich in der Mahnung zusammenfassen, "ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging" (Epheser 4,1). Und dieser "Ruf" besagt: "... bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens!" (Vers 3).
In der Konkretisierung dieser Aufforderung nehmen die Verse Epheser 5,21 - 6,9 einen besonders umfangreichen Platz ein. Sie sind eine sogenannte "Haustafel", also eine Ordnung des Familienlebens, weil dieses der erste Erweisort ist, wie ernst man es mit seinem Glauben meint. Der Gesamttext der Haustafel behandelt im Einzelnen
- die Ehefrauen (5,21-24)
- die Ehemänner (5,25-32)
- beide gemeinsam (Eph 5,33)
- die Kinder (6,1-4)
- die Sklaven (6,5-8)
- die "Herren" der Sklaven (6,9).
Die Zusammenstellung zeigt, dass Familie im Neuen (wie schon im Alten) Testament als Großfamilie bzw. Hausstand verstanden wurde, zu der die Sklaven dazugehörten. Dass der Epheserbrief alle Teilgruppen in gleicher Weise ausdrücklich anspricht und würdigt, zeigt das hohe soziale Ethos aus christlichem Geist, das er bereits aus dem Kolosserbrief übernimmt (zur bereits dort formulierten "Haustafel" s. unter "Kontext"). Für einen Römer etwa wäre die eigene Würdigung der Sklaven oder gar das Drohverbot für deren Herren unvorstellbar.
Die heutige Lesung lässt allerdings die soziale Komponente des Gesamtzusammenhangs Epheser 5,21 - 6,9 unterbelichtet, indem sie sich auf die Verse 5,21-32 beschränkt. In der Rede an die Ehefrauen und Ehemänner dominiert ein anderer Aspekt: nämlich die Abbildhaftigkeit der Beziehung zwischen Frau und Mann für die Beziehung zwischen Christus und der Kirche, die Vers 32 ein "Geheimnis" nennt.
Vers 21: Unterordnung und Christusfurcht
Der erste Lesungsvers ist in gewisser Weise der wichtigste, weil er die Lesart der gesamten Lesung bestimmt. Wörtlich übersetzt heißt er kurz und bündig: "Ordnet einander unter in der Furcht Christi!"
Die Formulierung zeigt an: Die Forderung zur Unterordnung gilt jeder und jedem: Mann, Frau, Kind und Sklave. Und zwar im Blick auf den einen bzw. einzigen Herrn, der allen gemeinsam ist: Christus selbst. "Furcht" meint dabei nicht Angst - nicht zufällig wird den "Sklavenherren" in Epheser 6,9 das furchteinflößende Mittel der Drohung untersagt! -, sondern Anerkennung seines lebensweisenden und lebensbestimmenden "Herr"-Seins, die sich zugleich mit tiefem Vertrauen verbindet: nicht nur auf ein "gutes Ende" ("ewiges Leben"), sondern auch darauf, bereits in diesem Leben von ihm her alles zu erhalten, dessen man für die Bewältigung des Lebens bedarf.
Das konkrete Bild der Unterordnung stößt zumindest in Gesellschaften, die freiheitlich-demokratisch ausgerichtet sind und um Gleichberechtigung ringen, eher auf Widerstand. Unleugbar gehört der Text in Zeiten, in der Unterodnung unter Obrigkeiten als "normal" angesehen wurden. Das gilt weltlich, hat aber gerade in der Heiligen Schrift noch einmal einen tieferen Grund: Die Weisheit des Schöpfergottes spiegelt sich in der "Ordnung" des "Chaos". Alles, was "Ordnung" erkennen lässt - in der Natur ebenso wie in der Gestaltung der Natur (Kultur) wie im menschlichen Zusammenleben, ist damit im Sinne Gottes. Stillschweigend wird dabei allerdings in den menschlichen Zusammenhängen eine entsprechende, am Freiheit und Liebe gewährenden Willen Gottes sich orentierende Ausübung der "Herrschaft" gegenüber den "Untergeordneten" vorausgesetzt, egal ob z. B. bei Eltern oder bei Herrschern.
Verse 22-24: An die Frauen
Diese Verse sind im Lichte von Vers 22 und als Gesamtheit wahrzunehmen. Eine Isolation des Satzes "Die Frauen sollen sich den Männern unterordnen" ist ebenso falsch wie sie in der Geschichte innerkirchlich wie gesamtgesellschaftlich zur Stützung patriarchalistischer Strukturen und eines männerzentrierten Denkens vorgenommen wurde und teilweise bis heute wirksam ist.
Der Blick auf den Gesamttext offenbart: Der "Unterordnung" der Frau entspricht als Forderung an den Mann, sie zu "lieben". D. h. Vers 22 ist kein "Freibrief" für den Mann für alles mögliche Verhalten, das Männer im Laufe der Zeit gerne mit "Unterordnung" verbunden haben und das letztlich nur als Ausspielen eigener Macht(phantasien) und Ausdruck egoistischer Lieblosigkeit zu bezeichnen ist. Dass die in der damaligen Gesellschaftordnung gegebene Vorrangstellung des "pater familias", also des männlichen Familienoberhaupts, dem das letzte entscheidende Wort zukam, mit einem vergleichsweise gleichberechtigt-emanzipierten Frauenbild einhergehen konnte, zeigt Sprichwörter 31,10-31, das "Lob der tüchtigen Frau" (s. unter "Auslegung").
Der Fokus des Epheserbriefs liegt aber vor allem auf dem Gleichnishaften der Aussage. In seiner Theologie nämlich versteht er die Kirche - im Sinne der Gemeinschaft aller an Christus Glaubenden und auf ihn Getauften - als Leib, deren Haupt Christus ist. So schwierig der Vergleich Frau - Kirche und Mann - Christus auch sein mag, gilt für die damalige Zeit, dass eine Mutter mit ihren Kindern ohne Ehemann - etwas zugespitzt gesagt - "rettungslos verloren" war. Am Mann hing der sichere Stand in der Gesellschaft.1 Die Abhängigkeit der Frau zu einem guten Leben vom Ehemann, die der damaligen Wirklichkeit entsprach, wird zum Bild für den "Retter" Christus, dem die Kirche allein ihr Dasein als Gemeinschaft von aus Sünde und Tod "Geretteten" verdankt. Dieses "Haupt" nicht anzuerkennen, wäre das Abschneiden des Astes, auf dem man sitzt bzw. Ausdruck der Selbstüberschätzung, der Mensch könne sich selber retten und Kirche "funktioniere" auch ohne Christus.
Nicht um die Festschreibung der Rolle der Frau in der Ehe über alle Zeiten hinweg geht es also dem Epheserbrief. Vielmehr will er im Wissen um die Gegebenheiten der Ehe zur damaligen Zeit die Unterordnung der Glaubenden unter Christus festschreiben, und zwar als "Retter". Der derzeit die Kirche erschütternde Missbrauchsskandal im Sinne der Taten wie der jahrzehntelangen Vertuschungen zeigt, wie sehr dieser kirchentheologische ("ekklesiologische") Grundsatz vergessen wurde oder in den Hintergrund geriet oder reines Lippenbekenntnis war.
Verse 25-27: An die Männer (I)
Wie immer bei Vergleichen: Sie haben ihre Grenze. Das galt schon soeben bei der "Unterordnung" der Frauen und erst recht beim Begriff "retten", denn dem Rettungsgeschehen in Christus kann auf Seiten des menschlichen Tuns nichts auch nur entfernt Gleichrangiges gegenübergestellt werden.
Ähnlich ist auch die vom Mann geforderte Liebe gegenüber seiner Frau so radikal wie möglich zu denken, wird aber hinter der Hingabe Jesu am Kreuz ebenso zurückbleiben wie ihr keine "reinigende" Kraft (hier dürfte Taufmotivik im Hintergrund stehen) zugesprochen werden kann. "Analogie", Ähnlichkeit bei gleichzeitig viel größerer Unähnlichkeit, ist der theologische Fachbegriff für das Verhältnis von menschlicher und göttlicher Seite. Wieder wird deutlich, dass die Maßgabe an das Leben der Eheleute der Lehre über die Kirche und ihr Verhältnis zu Christus untergeordnet ist. Diese, die Kirche, ist der eigentliche Fokus - ganz im Gegensatz zum Fokus der Haustafel des Kolosserbriefes (s. unter "Kontext").
Verse 28-30: Über die Männer (II)
Trotz dieser Vorordnung des Kirchenthemas wird in einem zweiten Anlauf, der plötzlich über die Männer in der dritten Person spricht, die vom Mann geforderte Liebe zu seiner Frau stark gemacht. Dazu verknüpft der Briefschreiber geschickt zwei sehr verschiedene Dinge miteinander: Zum einen spielt er mit dem Satz "Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst" (Vers 28) auf das alttestamentliche Gebot an, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst (vgl. Levitikus/3. Buch Mose 19,18). Schon Paulus rückt es ins Zentrum, wenn er in Galater 5,14 (und Römer 13,9) schreibt: "Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" Doch das Wörtchen "dich selbst" (griechisch: seautón) bzw. "sich selbst" (heautón) ändert der Verfasser ab und spricht von den "eigenen Leibern" (griechisch: tà heautōn sōmata). Damit ist die Brücke geschlagen zum Thema Kirche, die der Epheserbrief ebenfalls als "Leib" (sōma), nämlich als "Leib Christi" bezeichnet (vgl. Epheser 4,15b-16: "15 ....Er, Christus, ist das Haupt. 16 Von ihm her wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt durch jedes Gelenk."). Die Gleichung lautet also: Die Männer sollen ihre Frauen lieben wie sich selbst - also ganz auf das Wohl der Frau bedacht, wie man (in der Regel) auf das eigene Wohl bedacht ist -, so wie Christus die Kirche liebt wie sich selbst. In viel größerem Maße als den Menschen geht es ihm un das Wohl derer, die "Gott ihm gegeben hat" (vgl. Johannes 6,39: "Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Jüngsten Tag.").
Verse 31-32: Das große Epheserbrief-Thema - Die Einheit
Ganz im Sinne des Zentralthemas des Epheserbriefs, nämlich der Einheit der aus Juden wie Heiden sich auffüllenden Kirche, wird das Gleichnis zwischen der Liebe von Frau und Mann in der Familie einerseits und der Liebe zwischen Christus und der Kirche andererseits noch um genau dieses Thema ergänzt.
Einmal mehr bezieht der Briefautor dazu einen alttestamentlichen Text ein. Denn Vers 30 zitiert Genesis/1. Buch Mose 2,24: "Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch." Angesichts der eher konservativ klingenden Rede von der Unterodnung der Frau unter ihren Mann wird der Epheserbrief an dieser Stelle überraschend modern und wagemutig, wenn er die sexuelle Verschmelzung von Mann und Frau zum geheimnisvollen Bild für dei Einheit von Christus und Kirche wählt.