Biblisch ist Rettung kein abgeschlossenes Geschehen, sondern die Einladung, sich handelnd auf sie einzulassen: Wenn der persische König Kyrus in der Ersten Lesung einen Tempelneubau in Jerusalem ermöglicht, bedarf es der Menschen, die nach Jerusalem ziehen - erst zum Bau, dann zur Anbetung. Wenn der Mensch in der Taufe laut Epheserbrief auch auf die bereits in Tod und Auferweckung Jesu erfolgte Rettung "zurückblicken" darf, bleibt die Aufgabe, aus ihr immer neu das Leben zu gestalten. Und wenn das Johannesevangelium schließlich dasselbe Rettungsgeschehen (Kreuz und Auferstehung) mit dem Bildwort der "Erhöhung Christi" umschreibt, bleibt die Aufforderung, zu glauben.
Einordnung der Lesung in den Epheserbrief
Der unbekannte Verfasser des Epheserbriefes, der ca. 2 Jahrzehnte nach Paulus schreibt und dabei sich ganz hinter dessen großem Vorbild und Namen verbirgt, bietet anspruchsvolle Kost.
Inhaltlich liegt es daran, dass er nicht nur die paulinische Theologie aufgreift, sondern auch noch die spezielle Theologie des ebenfalls nicht paulinischen Kolosserbriefs und dessen Auseinandersetzung mit den Einflüssen kosmischer Mächte berücksichtigt. Außerdem blickt der Epheserbrief nicht mehr auf eine Einzelgemeinde, sondern hat die sich seit Paulus aus vielen Gemeinden zusammensetzende Kirche im Blick, deren Einheit durch die beiden verschiedenen christlichen Herkunftsgruppen Judenchristen und Heidenchristen gefährdet ist. Sie trotz aller Unterschiedlichkeit als wirkliche Einheit zu verstehen, wobei keine der beiden Gruppen Grund zur Einbildung hätte, vor Gott besser dazustehen, ist gerade im zweiten Kapitel des Epheserbriefs dem Schreiber ein wichtiges Anliegen. Schließlich hat dieser Autor noch die stilistische Eigenart, soviel wie möglich an theologischen Aussagen in einen einzigen Satz zu packen. Je nach Position kann man von hoher Komplexität oder von Überfüllung sprechen.
Der Aufbau der Lesung
Formal erkennt man die zuletzt genannte Beobachtung schon daran, dass dem Lesungsabschnitt (Epheser 2,4-10) im griechischen Text mit den Versen 2,1-3 ein plötzlich abbrechender "Riesensatz" vorangestellt ist1 (sog. Anakoluth), der die Negativfolie darstellt, von der sich die Lesungsverse, die also eigentlich keinen ganz selbstständigen Satzanfang haben, lichtvoll abheben. Diese bilden - wiederum im griechischen Original - einen Langsatz (Verse 4-7) und 2 kleinteiligere Sätze (Verse 8-9.10):
Verse 4-7 sprechen von Gottes Handeln an "uns": er hat uns "mit Christus lebendig gemacht", "auferweckt" und "in die Himmel versetzt" (durchgängiges Subjekt ist Gott). Dieser Hauptsatz geht im "Gewirr" der ganzen zusätzlichen Aussagen, die Gottes Handeln näher charakterisieren (Verse 4-5: "reich an Erbarmen", "liebevoll zu den Sündern") und (in Vers 7: "um ... zu"-Satz) durch eine "Zweckangabe" begründen.
Verse 8-10 deuten dieses Handeln an "uns" als "Rettung", die ausschließlich als Gottes "Geschenk" zu verstehen ist, aber "uns" als Beschenkte zu "guten Werken" herausfordert (durchgängiges Subjekt sind "ihr" bzw. "wir", also die Briefadressaten).
Um es noch komplizierter zu machen, gibt es auch noch dem Autor wichtige Satzeinschübe:
- innerhalb von Vers 5: "aus Gnade seid ihr gerettet"
- am Ende von Vers 8: "Gott hat es geschenkt".
Zusammen mit dem Beginn von Vers 8 ("Denn aus Gnade seid ihr ... gerettet") markieren diese beiden kleinen Einschübe offen-sichtlich die Zentralaussage des ganzen Abschnitts:
"Gott hat uns geschenkweise gerettet".
Wenn dieser eine Gedanke auf so kurzer Textstrecke dreimal ausdrücklich benannt wird, scheint er alles andere als selbstverständlich zu sein. Tatsächlich kommt es auf jedes der drei kursiv geschriebenen Worte an und jedes ist im Kontext des Epheserbriefes erklärungsbedürftig.
Lesehinweis: Diese grundsätzlichen Erklärungen folgen jetzt, während ausnahmsweise der Vers-für-Vers-Durchgang unter "Auslegung" zu finden ist.
Ein Leitfaden durch die Lesung
"Gott"
Gott als handelnde und alles bestimmende Macht stellt der Briefschreiber vor allem im Blick auf die Christinnen und Christen heraus, die vor ihrer Bekehrung zum Christentum dem griechisch-römischen Kulturkreis und damit auch den entsprechenden religiösen Vorstellungen angehörten. Den Christinnen und Christen mit jüdischen Wurzeln, die natürlich und schon immer an den einen Gott Israels glaubten, musste in dieser Hinsicht nichts erklärt werden. Aber die Wirklichkeit der sog. Heidenchristen war - so sieht es jedenfalls der Epheserbrief - bestimmt von "der Herrschaft jenes Geistes, der im Bereich der Lüfte regiert und jetzt noch in den Ungehorsamen wirksam ist" (Epheser 2,2). Diese Haltung wird außerdem charakterisiert als "wie es der Art dieser Welt entspricht" (ebenfalls Vers 2). Vorausgesetzt ist dabei eine Sichtweise, die wir aus den griechischen Mysterienreligionen kennen: Die "Welt" (griechisch: aiōn) wird hier verstanden als "einheitlicher, personartiger begegnender Ewigkeitsgott" (Heinrich Schlier, Der Brief an die Epheser, Düsseldorf 51965, S. 102). Als solcher übt er eine "geistig" zu nennende Macht aus über die Sphäre der "Lüfte", die bereits vom Kolosserbrief (s. o.) kritisch als Sphäre der "Finsternis" beurteilt wird (vgl. Kolosser 1,13: "Er [Gott] hat uns der Macht der Finsternis entrissen ..."; Epheser 6,12: "Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den himmlischen Bereichen.").
M. a. W.: Nicht der griechische "Weltgott" aiōn, dem die Heidenchristen vor ihrer Taufe anhingen und dem diejenigen Zeitgenossen, die nicht zum christetum gefunden haben, immer noch anhängen, kann mit dem Gedanken der Rettung verbunden werden, sondern allein der Gott, der sich in der Auferweckung Jesu Chrsti als Retter erwiesen hat.
"uns"
Auch in dem unscheinbaren Wörtchen "uns" steckt Sprengstoff, denn es bindet auf einmal die heiden- und judenchristlichen Adressaten des Briefs zusammen. Das überrascht, da doch die Judenchristinnen und -christen bereits vor ihrer Hinkehr zum Christentum an den einen Gott geglaubt haben und sehr wohl mit ihm auch den Gedanken der Rettung verbunden haben. Dies ist geradezu ein Grundbekenntnis des Alten Testaments. Doch dieser scheinbare "Vorzug" gegenüber den Heiden verliert sich angesichts der Tatsache, dass auch jüdische Menschen - wie eben alle Menschen - von der "Natur" (griechisch: phýsis) bestimmt sind: "Unter ihnen haben auch wir alle einmal unser Leben geführt, als wir noch von den Begierden unseres Fleisches beherrscht wurden. Wir folgten dem, was das Fleisch und der böse Sinn uns eingaben, und waren von Natur aus Kinder des Zorns wie auch die anderen" (Epheser 2,3). "Wir alle" meint die jetzt Getauften, egal ob sie vormals Heiden oder Juden waren. Der Epheserbrief übernimmt damit die Anthropologie (Sicht vom Menschen) des Paulus, der "Sündhaftigkeit", letztlich die vorrangige Gebundenheit an sich selbst und das eigene Ego, in der zur Schwäche neigenden Natur des Fleisches begründet sieht. Was vielleicht als negative Sicht vom Menschen heutzutage befremdet und irritiert, korrespondiert gerade in der gegenwärtigen Zeit mit realen Erfahrungen. Wieviele Menschen sind nicht Frau oder Herr des kurzen Zwischenraums zwischen "Reiz" und "Reaktion" und reagieren auf Menschen anderer Herkunft als sie selbst oder anderer Zugehörigkeit, auf Einschränkungen oder auf Phänomene , die sie sexuell erregen, mit Gewalt, Gebrüll, Aggression, Hass oder einfach Kurzschlusshandlungen.Tief innewohnende Angst und Verunsicherung, Sorge um Benachteiligung und Verlust und damit letztlich der gefühlte Angriff auf das eigene Ego durch wen auch immer sind handlungsleitend und nicht die Frage nach Angemessenheit, Einbeziehung des Lebenswunsches und Lebensrechts auch des Gegenüber usw.
Aus dieser "Falle" herauszufinden, die in allem zum Gegenteil dessen (ver)führt, was die Hl. Schrift insgesamt, Paulus und der Epheserbrief insbesondere mit Gott verbinden, hat Gott sich auf den tödlichen Kreislauf eingelassen (Kreuzestod), um ihn von innen her zu überwinden (Auferweckung des schuldlos getöteten Christus) und damit denen, die das glauben können und sich mit der Taufe zu diesem Glauben bekennen, eine Rettungsperspektive eröffnet.
"gerettet"
Für den Epheserbrief verbindet die Taufe den Menschen derart eng mit dem auferweckten und in den Himmel aufgenommenen Christus, dass sie geradezu selbst als "Auferweckung" und "Versetzung in den Himmel" aufgefasst werden kann - eine in dieser Zuspitzung innerhalb des Neuen Testaments einmalige und geradezu enthusiastische Formulierung. Sie versteht sich als Gegenpol zum Aufgeliefertsein an die "Mächte der Finsternis" und macht deutlich, dass Taufe wirklich als Existenzwechsel zu verstehen ist: Der Mensch lebt nicht mehr aus sich selbst und seinen begrenzten Möglichkeiten, sondern aus den je größeren Möglichkeiten Gottes.
Allerdings verfällt der Epheserbrief nicht magischen Vorstellungen, als handle es sich um Automatismen. Die gottgeschenkte Eröffnung des Lebensraums mit todüberschreitender Hoffnungsperspektve will angenommen und mit Leben gefüllt werden. Denn wenn auch schon alle notwendigen Voraussetzungen göttlicherseits getroffen sind - das meint die Aussage, dass wir in der Taufe mit Christus auferweckt und in den Himmel versetzt sind -, so leben wir faktisch doch auf Erden und haben die Auferweckung (und zuvor den Tod) noch vor uns. Bis dahin gilt es, den "Türöffner" Christus, wenn man so will: das fleischgewordene "gute Werk" Gottes, in eigenen guten Werken nachzuahmen. Darin sieht der Epheserautor geradezu die Bestimmung des Menschen von allem Anfang an, was aber nicht bedeutet, dass ein Mensch diese seine Bestimmung nicht auch verfehlen kann. Aber auch dann bleibt dem Menschen immer noch die Möglichkeit, der größeren "Liebe" und dem reicheren "Erbarmen" Gottes zu trauen, von dem die Verse 4-5 sprechen.