Geduld und Belehrung. Zwei altmodisch anmutende Haltungen, die für einen Gemeindeleiter nur gemeinsam Sinn machen.
1. Verortung im Brief
Der 2. Brief an Timotheus (2 Tim) gehört zusammen mit dem 1. Brief an Timotheus und dem Titusbrief zu den sogenannten Pastoralbriefen. In diesen wendet sich der Verfasser, der sich als Paulus ausgibt, um seinen Worten eine größere Autorität zu verleihen, an Gemeindeleiter in Ephesus (Timotheus) und Kreta (Titus). Grundthema der Briefe ist die Frage nach einer verlässlichen Weitergabe des Evangeliums angesichts vielfältiger Herausforderungen.
Die Mahnungen an den Gemeindeleiter Timotheus und die an ihn gerichteten Ermutigungen im Hauptteil des Briefes lassen sich in zwei Schwerpunkte untergliedern. Im ersten Teil des Hauptteils (2 Tim 2,1-26) steht die Person des Timotheus und seine persönliche Treue zum Evangelium auch in Krisenzeiten im Fokus. Im zweiten Hauptteil (2 Tim 3,1-4,8) liegt das Augenmerk auf der Funktion des Timotheus als Gemeindeleiter. Der Abschnitt der Lesung ist diesem Teil entnommen und ruft den Apostel als Vorbild in Erinnerung und ermutigt, die Aufgabe des Gemeindeleiters und Verkündigers treu auszuüben.
2. Aufbau
Der Abschnitt setzt sich aus drei gedanklichen Folgen zusammen, die über Stichworte oder Motive miteinander verbunden sind. Die Verse 2 Tim 3,14-15 ermahnen Timotheus sich treu an das zu halten, was ihm durch seine Lehrer und durch die Heilige Schrift anvertraut wurde. Die Heilige Schrift als Quelle des Glaubens und ihre Verwendung durch Timotheus steht dann im Zentrum der Verse 2 Tim 3,16-17. Die Verse 2 Tim 4,1-2 kehren mit einer intensiven Mahnung zurück zu Timotheus und betonen erneut die Bedeutung der Glaubensweitergabe durch ihn.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 3,14-15: Das Motiv der Erinnerung an die Glaubenstradition, die dem Timotheus überliefert wurde, kehrt wieder. Seit 2 Tim 1,5 und 1,13-14 läuft es im Brief mit, steht jedoch zumeist als konkrete Erinnerung an Situationen im Leben des Timotheus. Hier ist jedoch – vor dem Hintergrund von Vers 17 – die Erinnerung und damit verbundene Mahnung allgemeiner zu verstehen. Es geht nicht mehr nur um Timotheus, sondern er wird zum Vorbild (vgl. 2 Tim 2,13) für den Gemeindeleiter (und Christen) seiner Zeit. Darauf verweist auch die Formulierung „von wem du gelernt hast“, hinter der sich im griechischen Text ein Plural verbirgt. Damit wird auf „mehrere Lehrer“ Bezug genommen, die die christliche Botschaft weitergegeben haben. Für Timotheus selbst wird im Brief immer nur von Paulus als dem authentischen „Lehrer“ gesprochen, auf den sich der Gemeindeleiter immer wieder besinnen soll. Die Erwähnung „mehrerer Lehrer“ an dieser Stelle im Text weitet die Aussage auch auf andere Gemeindeleiter hin aus, die nicht mehr nur einen Menschen als Übermittler des Glaubens benennen können. Dies ist sowohl zur Zeit des Timotheus am Beginn des 2. Jahrhunderts als auch in späteren Jahren zutreffend. Die Kette der Glaubenszeugen vor einem wird länger und damit auch die Reihe der Personen, denen man in Treue zur Botschaft nachfolgt. Damit sind wie im konkreten Leben des Timotheus sowohl die Weitergabe des Glaubens innerhalb der Familie (vgl. 2 Tim 1,5) als auch die Unterweisungen in der Gemeinde mitgedacht. Der Bezug zur Gemeinde ist in diesem Kontext natürlich besonders wichtig, richtet sich doch die Mahnung an einen Gemeindeleiter. Die Erinnerung an die Orte der eigenen Glaubensvergewisserung dient hier auch der Stärkung der eigenen Rolle als Glaubensverkündiger für andere.
Die „heiligen Schriften“, auf die sich der Verfasser bezieht, sind die Schriften des Alten Testaments. Sie werden in der Gemeinde im Gottesdienst gelesen. Ihr Blick auf sie ist aus der christlichen Perspektive der frühen Kirche immer darauf ausgerichtet, wie und wo sich in ihnen das Heil, also Jesus Christus ankündigt und zeigt. Die Schrift ist hier als zweite Quelle für das „Lernen“ des Glaubens neben der Unterweisung durch Personen genannt.
Verse 3,16-17: Die Schriften des Alten Testaments („jede Schrift“) werden nun in ihrer pastoralen Nützlichkeit für den Gemeindeleiter Timotheus beschrieben. Fundament ihrer Bedeutung ist der Glaube, dass sie von Gott eingegeben (inspiriert) sind. Die Form der Eingebung (Inspiration) ist an dieser Stelle nicht Thema des Verfassers. Dennoch ist es hilfreich zu verstehen, dass im christlichen Verständnis die heiligen Schriften nicht von Gott in einen Menschen „eingeflößt“ also Wort für Wort hinein diktiert wurden. Vielmehr schreiben Menschen im Verstehen des Geistes Gottes die vielfältige Geschichte Gottes mit dem Menschen auf.
Eben diese heiligen Schriften, die von der Geschichte Gottes mit dem Menschen Zeugnis ablegen, sind eine Quelle der Verkündigung an die christliche Gemeinde. Der Begriff „Mensch Gottes“ steht hier für jeden Menschen, der sich zu Gott als dem Vater Jesu Christi bekennt. Für jeden einzelnen, aber auch für die Gemeinschaft der Christen sind die Schriften nützlich. Die nun genannten Anwendungsbeispiele beziehen sich auf die Situation der Gemeinde zu Beginn des 2. Jahrhunderts, sind aber auch darüber hinaus verständlich. Denn die Schriften helfen nicht nur dabei, Menschen im christlichen Glauben zu unterrichten und sie mit der Gerechtigkeit Gottes vertraut zu machen. Sie liefern auch Kriterien, mit denen andere „Glaubensunterweisungen“, wie die der „Irrlehrer“ in der Gemeinde des Timotheus, als falsche Überlieferungen enttarnt werden können.
Verse 4,1-2: Unter dem Eindruck von Vers 4,8 („ich werde schon geopfert und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe“ als Selbstaussage des Verfassers) lesen sich auch die vorangehenden Verse hier als eine Art Vermächtnis. Unter dem Eindruck der herannahenden Leiden des Apostels Paulus, als der sich der Verfasser des Briefes ausgibt, ist die eindringliche Ermahnung („ich beschwöre dich“) gut zu verstehen. Der Verfasser erinnert Timotheus an die Hoffnung auf die Wiederkunft (Parusie) Jesu Christi. Mit dieser Wiederkunft geht das Gericht über die Lebenden und Toten genauso einher wie das Wirklichkeit Werden seines Reiches. Die Erinnerung an diese christliche Grundhoffnung, wie sie bis heute im Glaubensbekenntnis formuliert ist, soll Timotheus die Kraft geben, dass Wort Gottes zu verkünden.
Die Art und Weise der Weitergabe des Evangeliums schlägt einen Bogen sowohl zum Vers 3,16 als auch zu Vers 3,14. Denn Timotheus erinnert sich angesichts der Mahnungen in 4,2 sicher an das Auftreten seines Lehrers Paulus, der ungeachtet seiner eigenen Situation das Evangelium verkündete. Zugleich steht die Verkündigung des Evangeliums, die zurechtweisend, ermahnend, belehrend sein soll, in Kontinuität zu den „heiligen Schriften“ (Vers 3,16).