Jetzt aber! Gottes heilbringende Gegenwart in Jesus Christus bleibt lebendig, wo das Evangelium verkündet wird.
1. Verortung im Brief
Der 2. Timotheusbrief gehört zur Gruppe der sog. Pastoralbriefe, die vermutlich erst im 2. Viertel des 2. Jahrhunderts in Kleinasien (der westlichen Türkei) entstanden sind. Zu diesem Zeitpunkt sind der Verfasser des Briefes, Paulus, und der Adressat des Briefes, sein Schüler Timotheus, längst gestorben. Der von einem unbekannten Verfasser stammende Brief lässt dennoch die Stimme des Paulus neu erklingen, als spräche er zu seinem Schüler und durch ihn zu einer Gemeinde, die sich längst weiterentwickelt hat und in deren Mitte sich feste Ämter und Strukturen herauszubilden beginnen.
Grundthema des 2. Timotheusbriefes ist die Frage nach einer verlässlichen Weitergabe des Evangeliums angesichts vielfältiger Herausforderungen. Die Verse 8b-10 entstammen dem ersten inhaltlichen Abschnitt des 2. Briefs an Timotheus (2 Tim 1,6-14). In ihm geht es um die aktuelle Situation des Gemeindeleiters Timotheus. Der Verfasser des Briefes, ruft Timotheus in Erinnerung, was ihm von Gott geschenkt wurde. „Der Geist der Kraft, der Liebe und Besonnenheit“, den Timotheus empfangen hat (2 Tim 1,7), ist eine Gabe, die größer ist als die Verzagtheit und vielleicht auch Angst, das Evangelium gegen Widerstände weiter zu verkündigen. Paulus selbst soll dem Timotheus als Beispiel und Ermutigung dienen.
2. Erklärung einzelner Verse
Vers 8b: Im Hintergrund der Aufforderung des Verfassers, steht das Schicksal des Paulus. Dieser ist in Gefangenschaft (1 Tim 2,9), weil er das Evangelium unablässig verkündete. Doch die Weitergabe der Botschaft trotz Gefahren ist das, was das Apostelamt des Paulus ausmacht und diese Berufung zur Verkündigung steckt auch in Timotheus. Auf dieser Grundlage fordert Paulus ihn auf, mit ihm für die gemeinsame Botschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, zu leiden. Die erfahrenen Anfeindungen und die Auseinandersetzung mit Irrlehrern sollen sich nicht in Verzagtheit, das Evangelium zu verkünden niederschlagen. Die Erinnerung an Paulus, den „Lehrer“ des Timotheus appelliert an deren enge, fast familiäre Verbindung. In 2 Tim 2,1 nennt ihn der Verfasser, der sich selbst als Paulus bezeichnet sogar „Kind“. So wie Timotheus der Glaube durch seine leibliche Familie (2 Tim 1,5) vermittelt wurde, so auch durch Paulus, der mit seinem Lebens- und Leidenszeugnis ein Beispiel ist für die unerschrockene Verkündigung des Evangeliums. Die notwendige Kraft für ein solches Zeugnis kann selbstverständlich nur von Gott selbst kommen, in dessen Dienst Paulus und Timotheus stehen.
Verse 9-10: Woher genau die in Vers 8 benannte Kraft kommt, wird nun begründet. Dabei scheint sich der Verfasser überlieferter Formulierungen zu bedienen, deren Herkunft aber nicht weiter nachzuvollziehen ist. Mit feierlichem Unterton sprechen sie von der bereits erfolgten Rettung und der Berufung zum Heil. Diese sind – so wird kontrastierend gegenübergestellt – nicht abhängig von menschlichem Vermögen oder Handeln, sondern allein von Gottes erwählendem Handeln. Der Verfasser spricht dabei von einem einst und einem heute („jetzt aber“), um die verschiedenen Etappen des Heilshandelns Gottes zu verdeutlichen.
Das Geschenk der Gnade ist bereits „vor ewigen Zeiten“ ergangen, aber dieser Heilswunsch für alle Menschen, er ist zunächst offenbar verborgen. „Jetzt aber“ ist er durch das Zeugnis Jesu in Leben und, Tod und Auferstehung sichtbar geworden. Nur hier wird im Neuen Testament die Wendung von der „Erscheinung“ (Epiphanie) des Retters Jesus Christus auf sein Leben bezogen. In allen anderen Fällen wird der Begriff „Epiphanie“ auf die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten bezogen. Nachvollziehbar und greifbar wird diese Offenbarung in der Auferstehung, die zugleich die „Vernichtung des Todes“ bedeutet. Diese Unheilsmacht hat Jesus als „den letzten Feind entmachtet“, wie es im 1. Korintherbrief heißt (1 Kor 15,26). Dem Tod, der mit Dunkelheit in Verbindung gebracht wird, steht das „Licht des unvergänglichen Lebens“ gegenüber, das nun verheißen ist. Die Formulierung „durch das Evangelium“ macht Timotheus, dem Gemeindeleiter und damit Verkünder der frohen Botschaft, deutlich, das Medium deutlich, in dem die rettende Erscheinung Jesu Christi gegenwärtig bleibt.