Als religiöse Grundhaltung getarnte Faulheit ("unordentliches Leben") und unermüdliche "Arbeit", um Anderen nicht zur Last zu fallen - auf diesem Gegensatz baut die Ermahnungsrede der heutigen Lesung aus dem Zweiten Thessalonicherbrief auf.
Einordnung in den Kontext
Dieser Lesungsabschnitt gibt die entscheidende Passage aus dem zweiten Teil des Zweiten Thessalonicherbriefes wieder. Nachdem der erste Teil mehr auf die "Falschgläubigen" in der Gemeinde und deren Ergehen am Ende der Zeiten bei der Wiederkunft Christi geschaut hat (2,1-12), geht es jetzt um Weisungen zum innergemeindlichen Leben.
Diese Weisungen lassen deutlich zwei Teile erkennen:
- Verse 7-10: der Hinweis auf das eigene vorbildliche Leben des Briefschreibers, der in die Rolle des Paulus samt seiner Mitstreiter Silvanus und Timotheus schlüpft (s. ihre Nennung im Briefeingang 2 Thessalonicher 1,1 und die ständige "Wir"-Rede in der Lesung).
- Verse 11-12: die konkrete Aufforderung an die Gemeinde, ein "ordentliches Leben" nach dem in Versen 7-10 beschriebenen Vorbild.
Weggelassen ist der eigentlich noch hinzugehörige Einleitungsvers 3,6 mit der Grundsatzforderung, sich von denen, die ein "unordentliches Leben" führen, "fernzuhalten", sowie der abschließende Vers 13, der ebenso grundsätzlich fordert: "...werdet nicht müde, Gutes zu tun!"
Verse 7-8: Vorbildlichkeit
Der Einstieg der Lesung stellt die Vorbildlichkeit der sich als Autorenteam ausgebenden "Paulus, Silvanus und Timpotheus" vor Augen. Die etwas verschleierte Einstiegs-Aufforderung "Ihr wisst, wie man uns nachahmen soll" spricht eine deutliche Sprache. Das nachzuahmende Vorbild heißt konkret: Die Missionierungsarbeit war kein Grund, den zivilen Beruf aufzugeben und auf Kosten der Gemeinde zu leben. Handwerk - bei Paulus war es die Zeltmacherei - für den Lebensunterhalt und Verkündigung gingen Hand in Hand. Auf Ruhezeiten wurde nicht geachtet. Bei dieser Schilderung geht es nicht um den Selbstruhm der Schreibenden, sondern um einen verbindlichen, auf der Autorität des Paulus fußenden Lebensstil. Paulus selbst ist im Zweiten Thessalonicherbrief nicht nur letztverbindlicher Verkündiger (vgl. Vers 12), sondern auch ein Maßstab setzendes Modell.
Vers 9: Verzicht
Vers 9 verstärkt noch einmal die Aufforderung zur Nachahmung. Sie wird sogar zum eigentlichen Grund für die anstrengende Lebensweise bei der Missionierung. Denn der Verzicht auf den Unterhalt durch die Gemeinde ist für den Zweiten Thessalonicherbrief keineswegs selbstverständlich. Sie bedeutet vielmehr den Verzicht auf die Inanspruchnahme eines eigentlich bestehenden Rechts. Worauf dieses Recht zur Entgegennahme von Gaben aus der Gemeinde beruht, wird an dieser Stelle nicht begründet. Wahrscheinlich stehen Gedanken aus dem Ersten Korintherbrief im Hintergrund (s. die Rubrik "Auslegung")
Vers 11: Keine Faulenzerei
Jetzt schwenkt der Brief von der Vorbildlichkeit des Paulus, Silvanus und Timotheus - sie sind in jedem "wir" des Briefes gemeint - zur Mahnrede. Näherhin ist es eine in die Form des Gerüchts ("Wir hören ...") gekleidete Anklage. Offensichtlich ist der Briefschreiber durch Boten aus der Gemeinde darüber unterrichtet worden, dass einige Gemeindemitglieder das Arbeiten eingestellt haben und lieber auf Kosten der übrigen Gemeinde leben. Damit zeigt sich, dass die in Kapitel 1-2 genannten "Bedränger" nicht nur Außenstehende sind, von denen man sich fernhalten soll (so im der Lesung vorrangehenden Vers 6). Vielmehr haben sie mit ihrer Parole "Der Tag des Herrn ist schon da!" (vgl. 2 Thessalonicher 2,2) schon einige Gemeindeglieder angesteckt. Diese glauben, dass es jetzt nur noch darum geht, sich ausschließlich auf den letzten Augenblick dieser Weltzeit ("Tag des Herrn") vorzubereiten und sich davon nicht durch so etwas Weltliches wie die Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts ablenken zu lassen. Was sie selbst vermutlich ganz toll und als Zeichen wirklichen Glaubens empfinden, stellt sich für den Briefschreiber als "unordentlich" und "alles Mögliche treiben" dar. "Unordentlich" (griechisch: ʼatáktōs) bewegt sich zwischen "sich nicht an Vorschriften haltend" (vgl. Vers 6: "die ein unordentliches Leben führen und sich nicht an die Überlieferung halten") und "untätig" (vgl. Vers 7). Der Ausdruck "alles Mögliche treiben" (griechisch: periergázomai) meint "sich mit überflüssigen, unnützen Dingen beschäftigen". Religiöse Übersteigerung führt bei einigen offensichtlich zu einer Mischung aus Faulenzerei hinsichtlich der Erwerbsarbeit und übertriebener, aber sinnloser Geschäftigkeit.
Der entscheidende Punkt dürfte sein, dass für den Zweiten Thessalonicherbrief ein solches Treiben das Gemeindeleben zersetzt.
Vers 12: Wer hat das Sagen?
Wenn Vers 12 gebietet, unaufgeregt ("in Ruhe") der Erwerbsarbeit nachzugehen und so für sich selbst zu sorgen ("ihr eigenes Brot zu essen"), so entspricht das genau dem, was Paulus vorgelebt hat. Denn, so hält es Vers 7 ja fest: Er und seine Gefährten wollten "keinem von euch zur Last ... fallen" (Vers 8).
Das bedeutet aber: Die Ermahnten können sich mit ihrer Einstellung weder auf Paulus berufen noch gar auf Jesus Christus. Wenn der Briefschreiber sich selbst als Paulus ausgibt und sich zugleich auf die Autorität des Herrn Jesus Christus beruft, übernimmt er wohl das Argumentationsmuster des echten Paulus, der in 1 Thessalonicher 4,1.11 schreibt:
1 Im Übrigen, Brüder und Schwestern, bitten und ermahnen wir euch im Namen Jesu, des Herrn: ...
11 Setzt eure Ehre darein, ruhig zu leben, euch um die eigenen Aufgaben zu kümmern und mit euren Händen zu arbeiten, wie wir euch aufgetragen haben.
Schlechte Karten für die angesprochenen, endzeitlich "hochgetunten" Thessalonicher!