Voranschreitende Zeiten verlangen offensichtlich strengere Sitten. An die Stelle des typisch paulinischen Wortes "parakalo", das zwischen "ermutigen", "trösten" und "ermahnen" oszilliert, tritt nun das auffallende Verb "anordnen" (Vers 3,5). Da ist man gespannt, was denn "angeordnet" wird.
Einordnung in den Kontext
Der heutige Lesungsabschnitt gehört zum "Zwischenstück" innerhalb des Zweiten Thessalonicherbriefs. Dieses insgesamt die Verse 2 Thess 2,13 - 3,5 umfassende "Zwischenstück" bildet die Brücke zwischen dem ersten Brief-Hauptteil 2,1-12, der vor allem vom Gericht über die Bedränger der (Recht-)Gläubigen der Gemeinde spricht, und dem zweiten Brief-Hauptteil 3,6-13 mit seinenl Weisungen zur Lebensführung der Gläubigen. Das "Zwischenstück" lässt selbst sich auch noch einmal unterteilen, so dass sich folgende Übersicht ergibt:
- 2,1-12: Erster Hauptteil (Gericht für die Falsch-Gläubigen)
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- 2,13 - 3,5: Zwischenstück:
- 2,13-15: Dank an Gott
- 2,16-17: Gebetswunsch für die Gemeinde
- 3,1-5: Aufruf an die Gemeinde zum Gebet für den Autor ("Paulus")
- 2,13 - 3,5: Zwischenstück:
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- 3,6-16: Zweiter Hauptteil: Lebensweisungen an die (Recht-)Gläubigen
Aus diesem Zusammenhang bilden die Teilstücke 2,16-17; 3,1-5 den heutigen Lesungstext.
Was es braucht, wenn es länger dauert (Vers 2,16)
Der erste Teil des Gebetswunsches knüpft an die dem Lesungstext vorangehende Ermahnung der Gemeinde an, standhaft zu bleiben und an den Unterweisungen des Briefautors festzuhalten (Vers 15), der "in persona Pauli" schreibt. In Wirklichkeit ist er ein uns unbekannter Verfasser ist, der als "Paulus" schreibt und sich in seiner Spur sieht. Sicherlich ganz im Sinne des Apostels Paulus macht der Gebetswunsch deutlich, dass alles rechte Tun aus Glauben nicht allein menschlicher Machbarkeit entspringen kann, sondern der Unterstützung Gottes selbst bedarf. Die Unterstützung ist das, was die Theologie "Gnade" nennt. Wie Paulus auch spricht der Zweite Thessalonicherbrief von Gott noch nicht in der Dreifaltigkeitsformel, also von "Vater, Sohn und Heiliger Geist", sondern meistens von "Gott, dem Vater", und "Jesus Christus, seinem Sohn" bzw. "Jesus Christus, unser Herr". Beide werden hier als Geber dessen, benannt, was die Gemeinde braucht. Dabei knüpft die auffällige Formulierung "Gott, unser Vater" den Eröffnungsvers des gesamten Briefes an:
"Paulus, Silvanus und Timotheus an die Kirche der Thessalonicher, die in Gott, unserem Vater, und in Jesus Christus, dem Herrn ..." (2 Thessalonicher 1,1).
Dabei liegt vermutlich noch keine Anspielung auf das "Vaterunser" vor, sondern mit dieser Redeweise schafft der Briefschreiber ein enges Glaubens- und damit auch Vertrauensband zwischen sich und seinen Adressaten.
Die Begriffe "Trost" und "sichere Hoffnung" verweisen auf das Kernanliegen des Briefs. Er wendet sich ja gegen die Behauptung, der "Tag des Herrn", also die Zeit der Wiederkunft Christi, sei schon da, die von einigen in der Gemeinde verbreitet wird. Weil dem nicht so ist, und wahrscheinlich auch noch lange Zeit nicht so ist, braucht es für das Aushalten aller Widrigkeiten in dieser irdischen Zeit, die es zu gestalten gilt, Stärkung. Dazu dienen - in wörtlicher Übersetzung - der "ewige Trost" und die "gute Hoffnung". Gemeint ist, dass die Menschen, wie lange auch immer der Tag der Begegnung mit Christus sich herauszögern möge, auf eine heilvolle Begegnung vertrauen und daraus Gelassenheit für den Alltag schöpfen dürfen.
"Herzenstrost" (Vers 2,17)
Offensichtlich teilt 2 Thessalonicher 2,17 die alttestamentlich-jüdische Sicht vom Menschen, dass das Herz weniger der Sitz des Gefühls als des Denkens, Planens und Wollens ist, aus dem alles Handeln und alle Schaffenskraft hervorgeht. Niedergeschlagenheit, fehlender Tatendrang bzw. Antriebslosigkeit sind biblisch also eine "Herzkrankheit" und bedürfen der "Herzensermutigung" bzw. des "Herzenstrostes", wie man auch übersetzen könnte. Die Folge eines so wieder aufgerichteten Herzens sind das "gute Werk", an das man wieder geht, und das "gute Wort" (s. dazu die Rubrik "Auslegung).
Die Bitte um Fürbitte (Verse 3,1-2)
Klingen die Verse 2,16-17 wie eine Variation zum Gebetswunsch 1 Thessalonicher 3,11-13, so könnten die Verse 3,1-2 der Lesung eine Entfaltung von 1 Thessalonicher 5,25 sein: "Brüder und Schwestern, betet auch für uns!" Bleibt hier völlig offen, was Paulus genau als Gebet für sich erhofft, hat der Verfasser des Zweiten Thessalonicherbriefes sehr klare Vorstellungen: Er bittet um das Gebet, dass ihm missionarischer Erfolg beschieden sei und dass er vor Glaubensfeinden gerettet werden möge. Damit gibt sich der sich als Paulus ausgebende Briefschreiber deutlich ich-bewusster als Paulus selbst. Hier bahnt sich schon untergründig die Positionsbeanspruchung an, die in Vers 5 im Verb "anordnen" deutlich erkennbar wird.
"Treue Christi" (Vers 3,3)
Das Bekenntnis zur "Treue Christi" (die Vorlage 1 Thessalonicher 5,24 spricht von der "Treue Gottes") meint, dass Christus sich auch die in 3,2 angedeuteten Widrigkeiten nicht abhalten lässt von seiner Grundentscheidung für die Seinen. Daraus dürfen sie die Kraft schöpfen, sich nicht auf die Seite der Bedränger und damit letztlich auf die Seite des Bösen zu schlagen. Was mit der Gefährdung durch das Böse konkret gemeint ist, wird erst die Lesung am kommenden Sonntag aufzeigen. Um es mit einem Wort vorwegzunehmen: lebenszersetzende Faulheit.
Die Einforderung von Gehorsam (Vers 3,4)
Vers 4 pocht letztlich auf Gehorsam: Tut bitte, was wir angeordnet haben. Gerade, weil so unbestimmt bleibt, was genau gemeint ist, wächst der strenge Unterton. Der im Brief angeblich sprechende Paulus wird zur unwiderruflichen und maßstabsetzenden Autorität. Der anonyme Briefautor hat vermutlich wieder den Ersten Thessalonicherbrief als Vorlage im Kopf. Doch klingt die Rede von der "Anordnung" bei Paulus selbst noch deutlich wärmer:
"10 ... Wir ermahnen euch aber, Brüder und Schwestern, darin [d. h. in der Bruderliebe] noch vollkommener zu werden. 11 Setzt eure Ehre darein, ruhig zu leben, euch um die eigenen Aufgaben zu kümmern und mit euren Händen zu arbeiten, wie wir euch aufgetragen (wörtlich: angeordnet) haben. 12 So sollt ihr vor denen, die nicht zu euch gehören, ein rechtschaffenes Leben führen und auf niemanden angewiesen sein" (1 Thess 4,10-11).
Zurück zum Anfang (Vers 3,5)
Der Schlussvers des Zwischenstücks schlägt den Bogen noch einmal versöhnlich zurück zum Gebetswunsch 2,16-17, also zu den ersten beiden Versen der Lesung.