Auch 70 Jahre nach dem Ersten Thessalonicherbrief (um 50 n. Chr.), aus dem die Zweite Lesung an den letzten Sonntagen vor Christkönig genommen war, hat sich die Frage nach dem endgültigen Gericht Gottes, der Wiederkunft Christi und dem damit verbundenen Ende dieser Erdenzeit nicht erledigt. Davon zeugt die Lesung aus dem Zweiten Petrusbrief (zwischen 120 und 135 n. Chr., zur Einleitung in dieses Schreiben s. die Hinführung zur Zweiten Lesung am Fest Verklärung Christi Lesejahr A), Dabei ist es spannend wahrzunehmen, dass der uns unbekannte Autor von 2 Petrus im Rahmen derselben Diskussion deutlich andere Akzente setzt als Paulus.
Einordnung der Lesung in den Zusammenhang
Dass die Zeit gegenüber Paulus weiter vorangeschritten ist, merkt man daran, dass der mit der geliehenen Autorität des Apostels Petrus auftretende Verfasser weniger den Glauben als Vollzug im Blick hat (also ein Glaube, der Hoffnung und Trost gibt, weil er gelebte Gottes- und Christusbeziehung ist), als vielmehr einen Glauben als Lehre, deren Wahrheit unerschütterlich feststeht und der als solcher Folge zu leisten ist. Die Irrlehre, gegen die 2 Petrus sich wendet, ist eine doppelte:
a) Sie besteht einerseits in der Leugnung Christi. Die Irrlehrer nehmen ihn nicht ernst als denjenigen, der von den Bindungen an die irdischen Attraktionen befreien wollte und von den unheilvollen, weil nie wirklich zu befriedigenden Versuchungen erlöst hat, die vor allem mit Habgier und (sexueller) Ausschweifung identifiziert werden (zur "Lehre" vgl. 2 Petrus 1,4: "Durch sie [d. i. Christi göttliche Macht] sind uns die kostbaren und überaus großen Verheißungen geschenkt, damit ihr durch diese Anteil an der göttlichen Natur erhaltet und dem Verderben entflieht, das durch die Begierde in der Welt herrscht."; der beschriebene Vorwurf an die Irrlehrer findet sich in 2 Petrus 2,1-22).
b) Neben der Leugnung Christi als Heilsbringer verspotten die Irrlehrer aber auch die Erwartung einer Wiederkunft Christi zum Gericht. Damit entfällt die Vorstellung einer Letztverantwortung für das, was man im Leben tut, in dem Augenblick, wenn dieses irdische Leben endet. Damit gibt es aber auch endgültig keine Rechfertigung für moralische Grenzen.
In den Rahmen dieses zweiten Argumentationsgangs (2 Petrus 3,1-13) ordnen sich die ausgewählten Lesungsverse 8-14 ein. Vers 14 zieht das Fazit aus dem in Versen 11-13 Gesagten und leitet damit in den ersten Briefschluss (2 Petrus 3,15-16) über, der indirekt begründet, warum der Verfasser überhaupt diesen Brief schreibt: Eigentlich sagt er nichts anderes als schon der Apostel Paulus, doch dieser habe missverständlich geschrieben, so dass es der erläuternden Widerholung bedurfte.
Verse 17-18 bilden den zweiten und endgültigen Briefschluss mit Mahnung und Segenswünschen.
Vers 8: Die Botschaft an die "Geliebten"
Nachdem der Briefschreiber sich - in am Schluss sehr polemischem Ton - in Kapitel 2 über die anderen, nämlich die Ihrrlehrer ausgelassen hat, wendet er sich in Kapitel seinen Adressaten selbst zu. Nach der über das Ziel wohl etwas hinausschießenden Bildrede von "Hund" und "Schwein" (2 Petrus 2,22) wählt der Autor sehr bewusst die Anrede "Geliebte", die im Schlusskapitel des Zweiten Pretrusbriefes sogar viermal begegnet: 3,1.8.14.17 (die fettgedruckten Verse kommen in der Lesung vor). Sie bedeutet Wertschätzung wie Solidarisierung des Autors mit seiner Gemeinde (Vers 13 spricht ausdrücklich von "wir"). Zugleich darf, ja muss wohl mitgehört werden, dass alle gleichermaßen "Geliebte Gottes" sind im Gegensatz zu den für das Gericht und das Verderben bestimmten "gottlosen Menschen" (Vers 7, der letzte Vers vor der Lesung).
Von ihnen, den "Gottlosen", handeln die Verse 1-7. In ihnen zitiert der Verfasser nicht nur die Irrlehre der "Gottlosen" (Vers 4: "Wo bleibt seine verheißene Ankunft? Denn seit die Väter entschlafen sind, bleibt alles wie von Anfang der Schöpfung an."), sondern widerlegt zugleich deren Behauptung einer ewigen Zeitengleichheit mit dem Hinweis auf die Unterscheidung zwischen der Zeit vor und nach der Sintflut. Jetzt setzt Vers 8 zu einem neuen Argumentationsgang an.
Die Unterscheidung der beiden Weltzeiten vor und nach der Sintflut ändert nichts daran, dass die Zeit bis zum Kommen Christi zum Gericht für die Menschen unendlich lange dauert. Doch das ist nur deren Sichtweise. Aus der Perspektive Gottes als dem, der nicht nur jenseitig, sondern auch jenzeitig ("ewig") ist, für den also die Gesetzmäßigkeiten unserer Zeitvorstellungen überhaupt nicht gelten bzw. auf den sie nicht anwendbar sind, stellt sich die Sache völlig anders dar. Aus seiner Perspektive, die nur die reine Gegenwart kennt, relativieren sich noch so lange Zeiträume zur kurzen Frist. Dabei kann der Verfasser an Psalm 90,4 anknüpfen: "Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht."
Vers 9: Geduld und Umkehr
Bei aller für Gott geltenden Aufhebung der Zeitgesetzlichkeiten bleibt die Problematik auf menschlcher Seite, da sich hier die Zeit "zieht". Selbst "tausend Jahre" scheinen dem Autor denkbar und aus heutiger Perspektive blicken wir schon auf zwei Jahrtausende zurück. Er sieht sie jedoch nicht als emotionale Belastung, sondern - wiederum aus der Perspektive Gottes - als Ausdruck von Geduld, die Zeiträume der Umkehr eröffnet. Wieder aus heutiger Sicht könnte man sagen: Diese Zeiträume können gar nicht lang genug sein, da der Mensch in Sachen Umkehr (man denke nur an das Thema Gewalt, auch sexueller Gewalt) offensichtlich nur sehr, sehr langsam - wenn überhaupt - lernt und sich auf Änderungsprozesse einlässt.
Vers 10: Heiße Aussichten
Die unbestimmt lange Verzögerung (Vers 9) des "Tages des Herrn", den der Briefschreiber bereits in Vers 7 (außerhalb der Lesung) als "Tag des Gerichts" in Erinnerung gerufen hat, ändert nichts an der Gewissheit seines Eintreffens. In Vers 7 ist auch schon das Motiv des Weltenbrandes vorbereitet, das in seiner eher Schwierigkeiten bereitenden Umfassendheit (wie sollen bei einer Totalzerstörung die "Heiligen und Frommen" Vers 11 gerettet werden?) eine Besonderheit des Zweiten Petrusbriefes zu sein scheint, auch wenn es Anknüpfungspunkte in das Alte Testament und "Ausläufer" in die Offenbarung des Johannes gibt (s. "Auslegung"). Offensichtlich baut der Zweite Petrusbrief ein massives Drohpotenzial gegen diejenigen auf, die "gottlosen Menschen" (Vers 7), um zugleich auf der Folie der "heißen" Untergangsaussichten das Hoffnungsbild eines "neuen Himmel(s) und eine(r) neue(n) Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt" (Vers 13) um so lichtvoller und erstrebenswert vor Augen zu stellen.
Vers 11: Was heißt "heilig" und "fromm"?
Ob am Ende das Verbrennen alles Getanen steht oder ein Bestehen vor Gott und seiner "Gerechtigkeit" , hat jeder Mensch selbst in der Hand. So fordert Vers 11 zu "heiligem" und "frommem" Tun auf. Was "heilig" meint, ergibt sich in 2 Petrus aus der Gegenüberstellung der "heiligen Propheten" (3,2) des AltenTestaments als zu beherzigenden Kündern des Wortes Gottes und den "falschen Propheten" (2,1), die mit "Ausschweifungen", "Habgier" und "erdichteten Worten" und "Verderben" (2,2-3) in Verbindung gebracht werden. "Heilig" ist von all dem das Gegenteil und damit "richtig" im Sinne von: zu Gott hinführend.
Das Wort "Frömmigkeit" (griechisch eusébeia) ist vom Griechischen her der Gegenbegriff zur "Gottlosigkeit" (griechisch: asébeia), von der 2 Petr 3,7 spricht (wenn auch in Form des Adjektivs "gottlos"/griechisch: asebḗs). Die "Gottbezogenheit", wie man "Frömmigkeit" zur Verdeutlichung des Gegenbegriffs besser wiedergeben könnte, ist für den Zweiten Petrusbrief eine zentrale Forderung, die nichts mit Innerlichkeit zu tun hat, sondern - wie die Heiligkeit - sich auf der Ebene konkreten Handelns zeigt:
"5 Darum setzt allen Eifer daran, mit eurem Glauben die Tugend zu verbinden, mit der Tugend die Erkenntnis, 6 mit der Erkenntnis die Selbstbeherrschung, mit der Selbstbeherrschung die Ausdauer, mit der Ausdauer die Frömmigkeit, 7 mit der Frömmigkeit die Brüderlichkeit und mit der Brüderlichkeit die Liebe!" (2 Petrus 1,5-7).
Vers 12: Tätige Erwartung
Sich tätig auf die Ankunft des Zeitenwechsels, des "Tages Gottes" bzw. der Wiederkunft Christi vorzubereiten, ist ein Motiv, das im neuen Testament nur allzu bekannt ist und besonders deutlich in der großen Gleichnisrede Jesu Matthäus 24,37 - 25,46 (vgl. dazu unter "Kontext" die Kommentierung der Zweiten Lesung am 33. Sonntag i. Jk. Lesejahr A) ausgebreitet wird. Dass die Ankunft dieses Tages durch das "heilige und fromme" Handeln gar beschleunigt werden kann - auch dies ein schwieriger Gedanke, da zumindest das Verhältnis zur Souveränität Gottes zu klären wäre -, könnte an eine jüdische Tradition anknüpfen. Nach breitbezeugtem rabbinischen Glauben würde der Sohn Davids sofort kommen, wenn die Israeliten einen Tag Buße täten (vgl. dazu Hubert Frankemölle, 1. und 2. Petrusbrief. Judasbrief [Die Neue Echter Bibel Bd. 18 und 20], Würzburg 1987, S. 113 unter Verweis auf Paul Billerbecks Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch Bd. I, München 1922, 162-170).
Vers 13: Das Ziel
Vers 13 bildet den eigentlichen Zielsatz der Lesung, da hier nach allen negativen Abgrenzungen positiv umschrieben wird, was Christen erhoffen und erwarten dürfen, und zwar aufgrund "seiner", also Gottes "Verheißung", die sich schon in den "heiligen Propheten" (s. o.) kundgetan hat:
"Ja, siehe, ich erschaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde." (Jesaja 65,17)
"Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir stehen - Spruch des HERRN - , so bleibt eure Nachkommenschaft und euer Name bestehen." (Jesaja 66,22)
Neutestamentlich wird ausdrücklich auf diese Verheißung noch in der Offenbarung des Johannes zurückgegriffen:
"Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr." (Offenbarung 21,1)
Im Zusammenhang des Zweiten Petrusbriefes und seinem Zeitenschema sind es der dritte Himmel und die dritte Erde: Der erste Himmel und die erste Erde meint die Zeit von der Schöpfung bis zur Sintflut. Der zweite Himmel und die zweite Erde meint die Zeit ab dem Austrocknen der Sintflut bis zum Ende dieser Welt, der dritte und "neue Himmel" und die dritte und "neue Erde" meinen die Zeit, wenn diese Weltzeit zuende geht und Christus wiederkommt (zum Verständnis für heute s. unter "Auslegung").
Vers 14: "ohne Makel nud ohne Fehler"
Der Schlussvers der Lesung zieht die Konsequenz aus dem bisher Gesagten und fordert noch einmal zum "heiligen und frommen Leben" auf, also zu einem Handeln, das zum Bestehen des Endgerichts und zum Leben "im neuen Himmel und auf der neuen Erde" führt. Die neu gewählte Begrifflichkeit ("ohne Makel und ohne Fehler") ist einmal mehr aus der Abgrenzung von den "Gottlosen" gewonnen. Sie werden durch ihre Taten in 2 Petrus 2,13 als "Schandflecken und Makel" bezeichnet (griechisch: spíloi kai mōmoi). Demgegenüber sollen die angeschriebenen Christinnen und Christen keine "Schandflecke" und "Makellose" (griechisch: á-spiloi kai a-mṓmētoi) sein.
Insofern "Makel und Fehler" die Folge sind, wenn man den falschen Propheten und Irrlehrern nachfolgt, die Gott und Jesus Christus "verspotten" (2 Petrus 3,3), ist "Friede" das Verhalten derer, die in der Gottesbeziehung leben und erfüllt sind vom "Friede(n) in Fülle durch die Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn" (2 Petrus 1,2).