Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Paulus, seine Gegner und die Gnade Jesu Christi.
1. Verortung im Brief
Der Apostel Paulus hatte die Gemeinde von Korinth selbst gegründet (50/51 n.Chr.) und steht seitdem in regem Kontakt zu ihr über Briefe und seine Mitarbeiter, die die Gemeinde im Auftrag des Paulus besuchen. Hatte er im 1. Brief an die Korinther (1 Kor) aktuelle Fragen aus der Gemeinde beantwortet und Themen angesprochen, die sich aus den Schilderungen von Gemeindemitgliedern oder seiner Mitarbeiter ergaben, so ist der 2. Brief an die Gemeinde in Korinth (2 Kor) stark geprägt durch eine Auseinandersetzung zwischen dem Apostel und der korinthischen Gemeinde, so dass der Brief an vielen Stellen sehr persönlich wird. Paulus wehrt sich im 2 Kor vor allem dagegen, dass ihm andere Verkündiger versuchen den Rang des prägenden Apostels für die Gemeinde streitig zu machen. So versucht Paulus mit verschiedenen rhetorischen Mitteln seinen Dienst für die Christen in Korinth zu umschreiben und in seiner Besonderheit darzustellen: Ein Dienst in Demut und Schwäche, stark durch Christus, der Paulus zu seinem Apostel macht.
Der Abschnitt 2 Kor 12,7-10 steht im größeren Kontext der sogenannten „Narrenrede“ (2 Kor 11,16-12,13) des Paulus. In ihr setzt sich Paulus mit seinen Gegnern in der korinthischen Gemeinde auseinander und versucht sie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Rühmen sich die anderen Verkündiger und die Kritiker des Paulus ihrer eigenen Stärken, so möchte er sich lieber der eigenen Schwächen rühmen. Wenn seine Gegner meinen, sie müssten sich bei der Gemeinde in Szene setzen und selbst empfehlen, so ist Paulus der Überzeugung, dass sein „Empfehlungsschreiben“ die Gemeinde selbst ist (2 Kor 3,1-3) und Christus es ist, der jemanden empfiehlt oder nicht (2 Kor 10,18).
Im direkten Kontext der Lesungsverse spricht Paulus in der 3. Person über sich und eine Christusvision (2 Kor 12,1-6), die nicht identisch ist mit der vor Damaskus, die zu seiner Bekehrung führte.
2. Aufbau
Vers 7 legt die Ausgangssituation dar: Paulus ist von einer Krankheit gezeichnet, die in seinem Dasein aber einen Sinn hat. In den Versen 8-9a berichtet der Apostel von seinen Versuchen, den Herrn um Erlösung vom Leiden zu bitten und der an ihn ergangenen Antwort. In den Verse 9b-10 schildern Paulus schlussendlich seinen Umgang mit der Situation.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 7: Ohne die vorherigen Verse, in denen Paulus über seine Entrückung beziehungsweise Vision spricht, ist der Bezugspunkt des Verses nur schwer zu greifen. In 2 Kor 12,2-4 hatte Paulus von sich in der 3. Person gesprochen und davon berichtet, „entrückt“ worden zu sein und „unsagbare Worte“ gehört zu haben, „die kein Mensch aussprechen darf“. Auf diese „einzigartigen Offenbarungen“ bezieht Paulus sich in Vers 7. Damit dieses außergewöhnliche Erlebnis nicht zu einer Überheblichkeit führt, erlebt sich Paulus als einer, dem ein „Stachel ins Fleisch gestoßen wurde“. Der Apostel bezieht sich hier wohl auf eine Krankheit, die ihn und sein Wirken eingeschränkt und geprägt hat (vgl. Galaterbrief 4,13-14). Um welche Krankheit es sich handelt und ob sie dauerhaft oder nur über einen Zeitraum präsent war, muss offenbleiben. Dass es um eine Krankheit geht, bringt die Dämonisierung zum Ausdruck („Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll“). Diese Formulierung entspricht der zeitgenössischen Vorstellung, dass eine lebensbestimmende Erkrankung von widergöttliche Kräften stammen muss.
Wichtig ist: Paulus versteht die erlittene Krankheit als Mittel zum Zweck. Sie ist ihm gegeben, damit er nicht in Überheblichkeit verfällt.
Verse 8-9a: Trotz der Erkenntnis, dass die Krankheit ihn vor dem Selbstruhm etc. bewahrt, berichtet Paulus davon, dass er Christus dreimal gebeten hat, von der Krankheit geheilt zu werden. Das dreimalige Gebet ist Zeichen für die Inständigkeit der Bitte. Dies entspricht der dreimal täglichen Gebetspraxis des Judentums, aber auch den drei Gebetsgängen Jesu im Garten Getsemani (Markusevangelium 14,32-42).
Wenn Paulus dann nicht von der Erhörung seiner Bitte schreibt, sondern die Antwort des Herrn wiedergibt, legt er die Grundlage für seine aus der Situation resultierende Einstellungen zur Schwachheit. Die Antwort Jesu an seinen Apostel ist das einzige direkte „Jesus-Wort“ an Paulus, das von ihm selbst überliefert wird.
Die Aussage, dass allein die Gnade, also die liebende und vergebende Zuwendung des Herrn genügt, meint nichts anderes als: Durch meinen Beistand hast du genügend Kraft, mit der Situation und dem Leid umzugehen. Der Nachsatz formuliert dies noch einmal allgemeingültig: Gerade in Situationen der Not zeigt sich wirkliche Stärke.
Verse 9b-10: Aus der Antwort Jesu Christi zieht Paulus für sich eine klare Konsequenz. Wenn die heilende Zuwendung (Gnade) ausreichend ist und die körperliche Schwäche bleibt, dann will Paulus auch alles auf diese Schwäche setzen. Er möchte seine Unzulänglichkeiten und Bedrängnisse annehmen und in ihnen auf die verheißene Kraft setzen. Der Schlusssatz fasst diese Erkenntnis zusammen: Das Anerkennen der eigenen Schwäche führt zu der Erfahrung von Bestärkung.