Angesichts der Themen Tod und Wiederkunft Christi, die im ausgehenden Kirchenjahr die Sonntage des Novembers bestimmen (Allerheiligen bis Christkönig), springt die Auswahl der Leseabschnitte aus dem Ersten Thessalonicherbrief von der Eröffnung sogleich in den zweiten Hauptteil. Denn hier geht es im Gegensatz zum ersten Hauptteil, der mehr die Beziehung zwischen Paulus und seiner Gemeinde in den Blick nimmt, genau um jene beiden oben genannten Themen.
Einordnung in den Kontext
Der zweite Hauptteil des Ersten Thessalonicherbriefs mit ingesamt drei Unterabschnitten (4,1-12; 4,13-18; 5,1-11) beginnt vor dem heutigen Lesungsabschnitt, nämlich in 1 Thessalonicher 4,1(-12). Mit den einen Neueinsatz markierenden Worten "Im Übrigen, Brüder und Schwestern, bitten und ermahnen wir euch ..." eröffnet Paulus eine Mahnrede, wie die Thessalonicher angesichts der bevorstehenden Wiederkunft Christi, also angesichts des bevorstehenden Endes aller bisherigen Geschichte, das Leben gestalten sollten, um im Gericht Gottes zu bestehen. Denn man kann durch sein Leben auch "Gott verwerfen" (Vers 8) und sich damit um das Heil bringen, das nur von Gott her zu erwarten ist.
Die heutige Lesung (1 Thessalonicher 4,13-18) bildet den zweiten Unterabschnitt und beleuchtet die Frage, ob bei der Wiederkunft Christi nur die dann noch Lebenden Anteil an der Auferstehung haben oder auch die bereits Verstorbenen.
1 Thessalonicher 5,1-11 hingegen antwortet auf die Frage nach dem Zeitpunkt der Wiederkunft Christi. Beide Themen dürften Christinnen und Christen von heute nicht sonderlich bedrängen.
Vers 13: Die Fragestellung
In guter rhetorischer Manier beginnt Paulus damit, zunächst einmal das Thema zu benennen und zugleich die Fragestellung zu präzisieren. Es geht einerseits um das Schicksal der vor der Wiederkunft Christi Verstorbenen. Diese nennt Paulus gemäß vorgegebenem Sprachgebrauch "Entschlafene" (vgl. z. B. bereits 2 Makkabäer 1245: "Auch hielt er sich den herrlichen Lohn vor Augen, der für die hinterlegt ist, die in Frömmigkeit entschlafen."). Das äußere Erscheinungsbild (wie schlafend daliegen) wird zur Metapher, die den Schrecken des Todes abmildert.
Andererseits geht es um die Auswirkung der Ungewissheit um das Schicksal der Verstorbenen bei der Gemeinde. Die lebenden Jesusgläubigen sind offensichtlich von lähmender Traurigkeit erfüllt. Damit unterscheiden sie sich trotz Ihres Auferstehungsglaubens nicht von ihren heidnischen Mitbürgern, die - so legt es jedenfalls die sehr generalisierende Formulierung des Paulus nahe - nicht an ein Leben nach dem Tode glauben.
Vers 14: Die Grundthese
Als erstes reagiert Paulus mit einer Grundsatzantwort zum Ergehen der bereits "Entschlafenen", die er aus dem urchristlichen Bekenntnis zu Tod und Auferweckung Jesu ableitet (vgl. zum Bekenntnis vor allem 1 Korinther 15,3-4: "3 Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, 4 und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift ...".). Dieses Bekenntnis beinhaltet für ihn, dass Gott auch die Entschlafenen aufgrund ihrer Verbundenheit mit dem gestorbenen und auferweckten Christus durch die Taufe in die endgültige Gemeinschaft mit Christus führt. Typisch für Paulus: Der eigentlich Handelnde ist Gott selbst. Er ist es auch, der Christus aus dem Tod erweckt hat und deshalb wird auch er in die Gemeinschaft mit Christus führen. Er und nur er, Gott selbst, ist derjenige, "der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft" (Römer 4,17). Schöpfung und Auferweckung im Sinne einer Neuschöpfung verbinden sich mit dem selben Gottesgeheimnis und derselben schöpferischen Kraft.
Vers 15: Erste Folgerung
Damit gibt es weder Grund, bezüglich der Verstorbenen hoffnungslos zu trauern, als gäbe es für sie keine Auferstehung, noch aber besteht ein Grund, sich etwas darauf einzubilden, die Wiederkunft Christi unter Umständen noch als auf Erden Weilender zu erleben. Paulus analysiert sehr genau, wie schnell eine menschliche Unsicherheit (Was passiert mit den vorzeitig Verstorbenen?) in ein Vorrangdenken umgewandelt wird, um so von der eigenen Unsicherheit abzulenken. Solche Überheblichkeitsmechanismen funktionieren bis heute.
Zur Einleitungsformel "Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn" s. unter "Auslegung".
Verse 16-17: Präzisierung
Zur Vergewisserung der Auferweckungshoffnung entwirft Paulus mit Vorstellungen, die aus der sogenannten Apokalyptik1 stammen, eine Reihenfolge der Ereignisse bei der Wiederkunft Christi. Dreifach ist die Auslösung der dann einsetzenden Ereigniskette: Kein anderer als Gott selbst setzt das Ende mit seinem "Befehl" in Gang, dessen Sprachrohr ein Erzengel ist. Zugleich wird dieser "ergehende Befehl" mit einem akustischen Signal verbunden. Hintergrund ist ursprünglich das als Musikinstrument eingesetzte Widderhorn ("Schofar"). Aber schon das alte Ägypten kannte eine langgezogene Trompete mit konisch sich weitendem Schalltrichter. In griechischer und römischer Zeit dachte man vermutlich ebenfalls an lang gezogene Trompeten (griechisch "salpinx" bzw. lateinisch "tuba"). Die Übersetzung "Posaune" ist traditionell, instrumentalgeschichtlich aber eher falsch.
Auf den göttlichen Befehl hin kommt Christus auf die Erde herab, um die Menschen mit sich in das himmlische Reich aufzunehmen.
Dabei wird er, entgegen allen, die glauben, als dann noch Lebende einen Vorteil zu haben, mit den Verstorbenen beginnen. Ihre Auferstehung geht der Mitnahme der Lebenden voran.
Das entscheidende Ziel ist für alle dasselbe: die nicht endende Gemeinschaft mit Christus. Die konkrete Formulierung erinnert an Psalm 73,23: "... ich bin doch beständig bei dir ...".
Vers 18: Das Fazit
Nach dieser ausführlichen Schilderung dessen, was die zur Zeit der Wiederkunft Christi Verstorbenen wie die dann noch Lebenden unterschiedslos erwartet (zu einer möglichen heutigen Lesart de eher irritierenden, sehr konkreten Darstellung s. unter "Auslegung") und nach der Bekräftigung des Glaubens an die Auferweckung, die in der Auferweckung Jesu Christi gründet und im Handeln des treuen Gottes, kann Paulus zum Anfang zurückkehren. Alle bisherigen Ausführungen galten ja der Absicht, die Thessalonicher davon abzubringen, zu trauern "wie die anderen, die keine Hoffnung haben".
Jetzt kann Paulus sagen: "Weder müsst ihr hoffnungslos trauern noch euch um irgendwelchen Vorrang streiten, sondern ich lege euch eine Botschaft ans Herz, mit der ihr euch gegenseitig trösten könnt."
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