Das große "Überthema", dass die beiden Lesungen sowie das Evangelium zusammenhält, kann man mit dem Stichwort "Rettung" zusammenfassen, das in jedem der drei biblischen Texte seine besondere Entfaltung findet: Die Erste Lesung verkündet die von Gott unter allen Umständen festgehaltene Bundestreue mit den Menschen, die Zweite Lesung beschreibt den extremen Einsatz Gottes, um diese Bundestreue aufrechtzuerhalten, und das Evangelium fordert die Menschen zu einer Reaktion auf das Vernehmen vom Evangelium der Bundestreue Gottes auf: Umkehr zum Glauben an dieses Evangelium.
Vorab-Lesehinweis zur Zweiten Lesung
Da an den Fastensonntagen das Prinzip der fortlaufenden Lektüre eines neutestamentlichen Briefes innerhalb der Zweiten Lesung verlassen wird zugunsten einer stärkeren thematischen Geschlossenheit der beiden Lesungen sowie des Evangeliums am jeweiligen Fastensonntag, sei hier nur auf die Einleitung zum Ersten Petrusbrief im vergangenen Lesejahr A (Weißer Sonntag) verwiesen. Dort bestimmte dieses Schreiben alle Lesungen der Sonntage der Osterzeit.
Einordnung der Lesung
Aus der Einleitung in den Ersten Petrusbrief ist für das Verständnis der heutigen Lesung festzuhalten: Er ermutigt zum christlichen Glauben in schwierigen Zeiten, in denen es den Christen erstmals auch in geregelten - damit aber auch staatlich gewollten - Prozessen juristisch an den Kragen geht. Die der Lesung direkt vorangehenden Verse 1 Petrus 3,13-17 fordern in diesem Zusammenhang dazu auf, bloß nicht durch "böse Taten" (Vers 17) berechtigten Anlass zu Anklagen zu geben. Wenn es um "guter Taten" (ebenflls Vers 17) willen geschehe, deren man sich nicht zu schämen brauche, könne man dies nicht verhindern, hätte aber ein gutes Gewissen und dürfe ganz auf das aus dem Tode rettende Wirken Jesu vertrauen. Selbiges wird in den Versen 18-22, also in der heutigen Lesung, entfaltet.
Dabei erinnert die Abfolge der Bekenntnissätze an das seit dem 4. Jh. n. Chr. bis heute in der Kirche gebetete Glaubensbekenntnis ("Credo"):
"gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt und gestorben " - vgl. Vers 18
"hinabgestiegen in das Reich des Todes" - vgl. Verse 19-20
"auferstanden von den Toten" - vgl. Vers 21
"aufgefahren in den Himmel; dort sitzt er zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters" - vgl. Vers 22.
Dies zeigt die bedeutsame Rolle dieses Abschnitts des Ersten Petrusbriefes (vermutlich aus dem Beginn des 2. Jh. n. Chr.) für die Herausbildung der Glaubenstradition: Zum einen versammeln die wenigen Verse in sich bereits einzelne Bekenntnissätze zum Glauben an Jesus Christus, die uns verstreut aus den älteren Paulus-Briefen (alle zwischen ca. 50 und 62 n. Chr. entstanden) bereits bekannt sind und quasi zum tragenden "Skelett" des Credo wurden; zum anderen liefern sie mit dem einzigen neutestamentlichen Zeugnis vom Hinabstieg zu den Toten (dies verbirgt sich in den Versen 19-20, vgl. dazu unter "Auslegung") ein eigenständiges Element, das seinen Weg ins christliche Glaubensbekenntnis gefunden hat.
Vers 18: Jesus - Vorbild und Grund der Hoffnung in einem
Zunächst verweist der erste Vers der Lesung die in Versen 13-17 angesprochenen Briefadressaten begründend auf das Vorbild Jesu: Er litt als Gerechter, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen. So sollen auch die Angeklagten sich als solche erweisen, die sich im Sinne des bürgerlichen Rechts nichts haben zu Schulden kommen lassen. Nur ihr Glaube darf der Anlass der gerichtlichen Verfolgung sein.
Um dieser Begründung willen ändert 1 Petrus das von Paulus her geläufige Bekenntnis um, dass Christus für unsere Sünden "gestorben" ist. Nicht der "Sühnetod" Jesu ist hier das Thema, sondern sein ungerechtes Leiden. Die Einheitsübersetzung hat an dieser Stelle entgegen dem griechischen Text (griechisch: épathen = "gelitten") zugunsten des paulinischen "gestorben" (griechisch: ảpéthanen) geändert bzw. sie beruht noch auf einer älteren in der neutestamentlichen Wissenschaft vertretenen Entscheidung, welche griechischen Handschriften des Ersten Petrusbriefes die vermutlich ursprüngliche Lesart darstellen
Aber auch in der Aussage "Christus hat ein einziges Mal wegen der Sünden gelitten - ein Gerechter für die Ungerechten" wird deutlich: Christus ist weitaus mehr als "nur" ein Vorbild im Aushalten ungerechtfertigten Leids. Sein am Ende zum Tod führendes Leiden eröffnet vielmehr unnachahmlich(!) einen Gotteszugang, der wiederum in ewiges, unvergängliches Leben führt. "Sünde" und "Ungerechtigkeit" sind hier vermutlich nicht nur allgemein zu verstehen, sondern meinen die Adressaten des Briefs, die als "Heiden" aus einem in der Sicht des Petrusbriefes von "Sünde" und "Ungerechtigkeit" bestimmten Leben kamen, dessen finale Grenze Tod hieß. 1 Petrus 1,14 nennt diese frtühere Phase die "Zeit der Unwissenheit". Aus dieser Gottferne haben sie sich durch ihre Zuwendung zu Christus in die Gottesnähe begeben und dürfen auf dessen Tod in Leben verwandelnde Kraft vertrauen. Der physische Tod ist nicht zu ändern. Der blieb auch Christus nicht erspart. Aber die vom lebenschaffenden Geist Gottes gewirkte Heimholung ins ewige Leben können die "ungerechten" Richter denen nicht nehmen, die vor Gericht am Grund ihrer Hoffnung festhalten.
Verse 19-20: Christi Gang ins Gefängnis
Über diese beiden Verse ist in der Exegese viel nachgedacht und gerätselt worden. Was genau ist mit den "Geistern" (griechisch: pneúmata) gemeint? Warum "Gefängnis" und nicht der näherliegende "Hades" (für den es auch Textzeugen gibt)? Und schließlich: Ist die Predigt Jesu eher als Gerichts- oder als Heilsverklündigung zu verstehen?
Während genauere Hintergründe der konkreten Formulierungen unter "Auslegung" erklärt werden, sei hier nur die plausibelste Deutung vorgestellt:
Anknüpfend an die Rede vom "lebendig machenden Geist" aus Vers 18 heißt es nun: "In ihm", also genau in diesem selben lebendigmachenden Geist hat Christus die wie in einem Gefängnis auf ihr endgültiges Ergehen wartenden Seelen der längst Verstorbenen (sie sind mit "Geister" gemeint), aufgesucht, um auch ihnen zu "predigen". Das entsprechende griechische Wort kērýssein wird neutestamentlich in der Regel mit "Evangelium" als Objekt verbunden, so dass die Deutung der Heilsverkündigung plausibler erscheint als die Annahme einer Gerichtsverkündigung (s. die letzte der o. aufgelisteten Fragen). Die Fortsetzung macht deutlich, dass das Evangelium vom ins Leben rufenden Gott auch den aussichtslosesten "Fällen" gilt, nämlich den Verursachern der Sintflut.
Dies alles ist aber nur der große, hoffnungsvoll stimmende Horizont. Denn den Adressaten eher vergleichbar als die Unrechtstäter(innen) vor der Sintflut sind eher der biblisch als "gerecht und untadelig" geltende Noach (vgl. Genesis/ 1 Mose 6,9 und 1 Petrus 3,14 "Aber auch wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leidet ...") und seine Familie, die direkt gerettet wurden (die Zahl Acht bezieht sich dabei auf Noach, seine drei Söhne Sem, Ham und Jafet sowie die vier zugehörigen, anonym bleibenden Ehefrauen). Merkwürdig mutet dabei zunächst die Formulierung "durch das Wasser" an, die man noch genauer übersetzen könnte: "durch Wasser hindurch" (vgl. 1 Korinther 3,15: "wie durch Feuer"). Man würde eher "aus dem Wasser" erwarten, was griechisch auch genau so gesagt werden könnte. Doch einmal mehr arbeitet der Petrusbrief mit beziehungsreichen Wortbrücken, wie die Fortsetzung zeigt.
Vers 21: Die Taufe
Die Rettung der Noachfamilie "durch Wasser hindurch" mittels der Arche wird zum vorausverweisenden Vorbild (Typos) für die christliche Taufe, die "durch Wasser" geschieht - was der Brief gar nicht mehr eigens erklären muss. Umso mehr erstaunt die Erklärung der Taufe als "Bitte an Gott um ein reines Gewissen". Als Gegenüber einer rein äußerlichen "Reinigung des Körpers von Schmutz" besagt die Erklärung, dass die Taufe den "inneren Menschen", seine Existenzweise betrifft. Nicht zufällig hatte schon 1 Petrus 1,9 die Taufe zusammenfassend als "Rettung der Seelen" bezeichnet, was die Einheitsübersetzung ("eure Rettung") leider unterschlägt. Dabei scheint es dem Verfasser gerade auf dieses das innere Wesen des Menschene erfassende Wort "Seele" anzukommen, denn er wählt es auch in Vers 20, wonach bei wörtlicher Übersetzung "acht Seelen" von Gott durch die Wasser der Sintflut hindurch gerettet worden sind (hier schreibt die Einheitsübersetzung "acht Menschen").
Das "Gewissen" ist ein Entsprechungsort zu "Seele": Wo die innere Existenz des Menschen ganz von der alles neu machenden Gottesherrschaft erfüllt ist, ist er von der Macht der Sünde befreit bzw. hat er ein "reines Gewissen". Ganz ungewöhnlich ist dieser vielleicht kompliziert klingende Gedanke im Neuen Testament nicht, denn auch der zeitlich gar nicht so weit weg vom Ersten Petrusbrief liegende, aber vermutlich doch ihm gegenüber ältere Hebräerbrief (ausgehendes 1. Jh. n. Chr.) spricht vergleichbar vom "Gewissen". Zwei Belege (von vier) seien angeführt:
Hebr 9,14: "... um wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst als makelloses Opfer kraft des ewigen Geistes Gott dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen."
Hebr 10,22: "... lasst uns mit aufrichtigem Herzen und in voller Gewissheit des Glaubens hinzutreten, die Herzen durch Besprengung gereinigt vom schlechten Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser!"
Nun macht der Erste Petrusbrief das Verständnis doppelt schwer, weil er die Taufe als "Bitte .... aufgrund der Auferstehung Jesu Christi" bezeichnet. Damit bindet er zwei verschiedene Aspekte zusammen: In der Taufe geschieht eine Erneuerung des Menschen, die allein von Gott her bewirkt wird. Es geht um die Hineinnahme in das lebensbegründende Geheimnis der Auferweckung Jesu aus dem Tode. "Bitte" besagt aber zugleich, dass die Taufe "nur" ein Anfangsgeschehen ist, das der Mensch in seinem irdischen Dasein durch ein christusförmiges Leben weiterführen und ver-wirklichen sollte. Auch dazu bedarf es göttlichen Beistandes. Die Bitte um ihn bleibt ein mit der Taufe einsetzendes Hintergrundleuchten. Das gilt für die Gläubigen, an die der Brief sich wendet. Das gilt aber in gleicher Weise auch für alle Getauften durch alle Zeiten hindurch.
Vers 22: Jesu Gang in den Himmel
Der letzte Vers der heutigen Lesung knüpft an den "Gang (griechisch: poreúomai) Christi ins Gefängnis der Geister" (Vers 19) an. Diesem "Hinabstieg in die Unterwelt" (entsprechend dem antiken Weltbild) wird nun der "Gang" (griechisch: poreúomai) Jesu zum Vater ("Himmelfahrt") gegenübergestellt, der neutestamentlich als Ausstattung mit einer göttlichen Macht verbunden wird, der jede andere denkbare himmlische Macht (neben den traditionellen "Engeln" werden bereits in Kolosser 1,16; 2,10.15 und Epheser 6,12 "Mächte und Gewalten" angeführt) unterworfen ist.
Damit erweist sich 1 Petrus 3,18-22 als eine eigenständige Entfaltung des sog. Philipper-Hymnus, jenem uralten christlichen Lied, das vermutlich schon Paulus übernommen hat:
"5 Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: 6 Er ... 8 ... war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. 9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht ..., 10 damit alle im Himmel [vgl. Vers 22 der Lesung], auf der Erde und unter der Erde [vgl. Vers 19 der Lesung] ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu 11 und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters" (Phil 2,5-11).