Der Zyklus der Lesungen aus dem Ersten Petrusbrief an den Sonntagen der Osterzeit geht seinem Ende entgegen. Im heutigen Lesungsabschnitt nimmt die Bedrängnis der Diaspora-Christen, die als Hintergrund des Schreibens durchgängig zu erkennen ist, konkrete Gestalt an: Es geht um die rechte Haltung und das Zeugnis, wenn eine Christin bzw. ein Christ vor Gericht gestellt wird . Wie sieht die Verteidigungsstrategie angesichts verleumderischer Anklagen aus?
Einordnung in den Zusammenhang
Nachdem ab 1 Petrus 2,11 zum christlichen Zeugnis in guten Taten aufgerufen worden ist, die sich vor allem im Verzicht auf Vergeltung und einer gewissen Leidensbereitschaft zeigen, aber auch z. B. in zuverlässiger, nicht zu beanstandender Erledigung der aufgetragenen Arbeit, geht es ab 1 Petrus 3,13 um das Zeugnis im Wort. Vor allem 1 Petrus 3,15-17 setzt als Szene wohl den Gerichtssaal voraus, vor dem sich ein - hoffentlich zu Unrecht - angeklagter Christ verteidigen muss.
Das in der Lesungsauswahl ausgelassene Wörtchen "vielmehr" in Vers 15 macht deutlich: Der zugehörige Briefabschnitt muss schon vorher anfangen. Tatsächlich ist in den beiden vorangehenden Versen das Bemühen um gutes Handeln (Vers 13) in einer Seligpreisung zusammengefasst worden: "... wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leidet, seid ihr seligzupreisen" (Vers 14). Aus dieser aus der Bergpredigt bekannten Maxime (Matthäus 5,10) leitet der Petrusbrief einen Aufruf zur Furchtlosigkeit ab ("Fürchtet euch nicht vor ihnen [d. h. vor "denen, die euch Böses zufügen"]), den Vers 15 als erster Satz der Lesung ins Positive umwandelt: "... heiligt vielmehr Christus!"
Der abschließende Vers 18 der Lesung gehört eigentlich schon zum nächsten Briefabschnitt (Vers 18-22), der sich einmal mehr der Betrachtung des Leidens Christi, seiner Auferweckung und der Taufe widmet. Bei genauerer Betrachtung ist Vers 18 allerdings ein Scharniervers, der durch sein einleitendes "Denn ..." als Begründung für die Verse (13-14.)15-17 gelesen werden will, als "Christuslied" aber zugleich Vers 19 ("in ihm [d. h. Christus] ...") einleitet.
Vers 15: Christusgemäße Ruhe bewahren
Wenn also die Situation eintritt, "um der Gerechtigkeit willen zu leiden" (Vers 14), d. h. als zu Unrecht Angeklagter, der im Namen Jesu nur Gutes getan hat, vor Gericht zu stehen, dann ist erstens "Furchtlosigkeit" (ebenfalls Vers 14), sodann aber vor allem die "Heiligung Christi" angesagt. Die Stichworte aus Vers 14 und 15 lassen eine Anspielung auf den Propheten Jesaja erkennen:
"2 Nennt nicht alles Verschwörung, was dieses Volk Verschwörung nennt! Was es fürchtet, sollt ihr nicht fürchten; wovor es erschrickt, davor sollt ihr nicht erschrecken. 13 Den HERRN der Heerscharen sollt ihr heilig halten; vor ihm sollt ihr euch fürchten, vor ihm sollt ihr erschrecken" (Jesaja 8,12-13).
Könnte man "heiligen" von Jesaja her als "gottgemäß handeln" verstehen, so wendet 1 Petrus dieses Wort mit dem Zusatz "im Herzen heiligen" auf Christus an: "Handelt christusgemaß!" Was damit gemeint sein könnte, erhellt aus 1 Petrus 3,4:
"... sondern was im Herzen verborgen ist, das sei euer unvergänglicher Schmuck: ein sanftes und ruhiges Wesen. Das ist wertvoll in Gottes Augen."
Die Maßgabe des Petrusbriefes lautet also, vor Gericht nicht "Furcht" und "Schrecken" gegenüber dem Ankläger zu zeigen, sondern in "Sanftmut und innerer Ruhe" zu sagen, was zu sagen ist im Wissen um den, der der eigentliche "Herr" ist: Christus. Das schließt natürlich das ängstliche Befolgen einer Forderung vor Gericht aus, mit der man die Christen offensichtlich gerne drangsalierte: Christus abzuschwören zugunsten des römischen Kaisers und der Götter des römischen Reiches (vgl. den Bief des Plinius unter "Kontext").
In solcher Haltung der wohlmeinenden Zuwendung ("Sanftmut"; griechisch: praýtēs) und "inneren Ruhe" (griechisch: hēsychía) soll die "Verteidigung" bzw. "Rechtfertigung" (griechisch: apología) erfolgen, wenn immer ein "vernünftiges Wort" (griechisch: lógos) über den Grund der Hoffnung eingefordert wird, die die Christen - in den Augen der Gegner: angeblich - erfüllt. Die Einheitsübersetzung hat sich zu einer etwas freieren Wiedergabe entschlossen, wenn sie schreibt: "jedem Rede und Antwort zu stehen (apología), der von euch Rechenschaft (lógos) fordert ...".
Vers 16: Den Respekt nie verlieren
Vers 16 bestätigt die Auslegung von Vers 15: Ausdrücklich fällt noch einmal das Wort "Sanftmut" - in der Einheitsübersetzung mit "Bescheidenheit" übersetzt. Es ist genau die Tugend, die auch die Seligpreisung aus der Bergpredigt rühmt: "Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben" (Matthäus 5,5). Die Koppelung mit "Furcht" (Einheitsübersetzung: "ehrfürchtig"), die vom Wortlaut identisch ist mit der in Vers 14 verbotenen "Furcht" (griechisch: phóbos) im Sinne von "Angst" lässt erkennen: in Vers 16 meint phóbos "Respekt". An dem soll es der Christ niemandem gegenüber, auch nicht seinem Ankläger gegenüber mangeln lassen, um nicht Anlass zu berechtigter Klage zu geben. (Dass hier eher "Gottesfurcht" gemeint ist, wie manche meinen, lässt der Text zumindest nicht deutlich erkennen). So soll die Beschämung am Ende - und hier dürfte der Erste Petrusbrief durchaus auch in der Dimension des Jüngsten Gerichts denken - ganz auf die Seite der Ankläger rücken. Vielleicht gibt es aber auch schon unter den Zuschauern des Prozesses solche, die sich durch das mutige Zeugnis der Christinnen und Christen beeindrucken lassen und für die Gemeinschaft der Glaubenden gewonnen werden können. Auch in der bedrohlichen Situation des Gerichts also wird noch eine Chance zur Missionierung gesehen.
Vers 17: Das Leid des Schuldigen hat keine Zeugniskraft
Vers 17 wiederholt einen Gedanken, der bereits im Rahmen der Ermutigung der Sklaven ausgeführt worden ist (1 Petrus 2,20b-25; Lesung vom 4. Sonntag der Osterzeit): "Wenn ihr aber recht handelt und trotzdem Leiden erduldet, das ist eine Gnade in den Augen Gottes" - so begann jene Lesung. Und einen Vers vor jener Lesung, 1 Petrus 2,19, heißt es entsprechend:
"Denn es ist eine Gnade, wenn jemand deswegen Kränkungen erträgt und zu Unrecht leidet, weil er sich in seinem Gewissen nach Gott richtet."
Vers 18: Jesus - Vorbild und Grund der Hoffnung in einem
Der letzte Vers der Lesung verweist einerseits begründend auf das Vorbild Jesu: Er litt als Gerechter, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen. So sollen auch die Angeklagten sich als solche erweisen, die sich im Sinne des bürgerlichen Rechts nichts haben zu Schulden kommen lassen. Nur ihr Glaube darf der Anlass der gerichtlichen Verfolgung sein.
Um dieser Begründung willen ändert 1 Petrus das von Paulus her geläufige Bekenntnis um, dass Christus für unsere Sünden "gestorben" ist. Nicht der "Sühnetod" Jesu ist hier das Thema, sondern sein ungerechtes Leiden. Die Einheitsübersetzung hat an dieser Stelle entgegen dem griechischen Text (griechisch: épathen = "gelitten") zugunsten des paulinischen "gestorben" geändert.
Aber auch in der Aussage "Christus hat ein einziges Mal wegen der Sünden gelitten - ein Gerechter für die Ungerechten" wird deutlich: Christus ist weitaus mehr als ein Vorbild im Aushalten ungerechtfertigten Leids, allein also wegen der unaufgebbaren Gottverbindung. Sein am Ende zum Tod führendes Leiden eröffnet einen Gotteszugang, der wiederum in ewiges, unvergängliches Leben führt. "Sünde" und "Ungerechtigkeit" ist hier vermutlich nicht nur allgemein zu verstehen, sondern meint die Adressaten des Briefs, die als "Heiden" aus einem in der Sicht des Petrusbriefes von "Sünde" und "Ungerechtigkeit" bestimmten Leben kamen, dessen finale Grenze Tod hieß. Aus dieser Gottferne haben sie sich durch ihre Zuwendung zu Christus in die Gottesnähe begeben und dürfen auf dessen Tod in Leben verwandelnde Kraft vertrauen. Der physische Tod ist nicht zu ändern. Der blieb auch Christus nicht erspart. Aber die vom lebenschaffenden Geist Gottes gewirkte Heimholung ins ewige Leben können die "ungerechten" Richter denen nicht nehmen, die vor Gericht am Grund ihrer Hoffnung festhalten.