Ohne dass das Wort "Kirche" ausdrücklich fällt, spricht der heutige Abschnitt aus dem Ersten Petrusbrief von nichts anderem. Die gewählten Bilder überschlagen sich dabei geradezu. Sie wollen vor Augen führen, welches Potenzial im Leben einer Gemeinschaft steckt, die sich durch die Taufe an den Gott des Lebens gebunden weiß und sich hineingenommen glaubt in die Auferweckung Jesu von den Toten.
Einordnung in den Kontext
Hält man sich noch einmal den groben Aufbau des Ersten Petrusbriefs vor Augen, führt die heutige Lesung nach den letzten drei Sonntagen zurück in den ersten Hauptteil des Briefes:
- Empfängeranrede (1 Petrus 1,1-2) ,
- Gotteslob, eine sogenannten Eulogie (1 Petrus 1,3-4),
- zweiteiliges Briefkorpus:
- 1 Petrus 1,5 - 2,10: Stärkung zum missionarischen Zeugnis (1. Hauptteil)
- 1 Petrus 2,11 -5,11: Stärkung zur Standhaftigkeit im Leiden (2. Hauptteil)
- Schlussgruß (1 Petrus 5,12-14).
Warum die Leseordnung nicht in der Reihenfolge des Briefes selber geblieben ist, ist nicht erkennbar. Dafür ist eine Perikope ausgewählt, die zentrale Gedanken des Schreibens in wenigen Versen bündelt. Herausgestellt wird die eminente Bedeutung der Beziehung zu Christus, die aber nicht individualistisch enggeführt wird - Jesus und ich -, sondern als Wesensmerkmal aller dargestellt wird, die zusammen Kirche sind. Obwohl der Erste Petrusbrief immer wieder das Heil des Einzelnen vor Augen hat , nämlich den durch die Taufe "erworbenen" Anteil an Christi Auferweckung (vgl. die Lesungsabschnitte des 2. und 3. Sonntags der Osterzeit sowie 1 Petrus 2,2: "... damit ihr [d. h. jede/r einzelne] ... Rettung erlangt"), verliert er nicht die Gegenwart des irdischen Lebens aus dem Blick, das sich in Gemeinschaft vollzieht. Diese Glaubensgemeinschaft wird nun geradezu mit Ehrentiteln überschüttet (vgl. besonders Vers 9), die aus der Beziehung des Gottesvolkes Israels zu seinem Gott auf die Christusbeziehung der Christusgläubigen übertragen werden,
Nimmt man noch den von der Leseordnung ausgelassenen Vers 10 hinzu (er ergänzt die Titelreihe noch um die Anrede "mein Volk", die aus Hosea 2,3 übernommen wird), so schließt 1 Petrus 2,4-10 den ersten Hauptteil des Briefes, der vor allem Zuspruch sein will, mit großer Emphase ab. Vorangegangen sind wenige Verse mit eher mahnendem Charakter (1 Petr 2,1-3). Doch auch hier fehlt der Zuspruch nicht. Aufgrund des lautlichen Gleichklangs im Griechischen kann man im Schluss von Vers 3 bei der "Güte des Herrn" auch mithören. "Christus ist der Herr".1 Auf ihn bezieht sich gleich die erste Einladung der heutigen Lesung.
Vers 4
Dabei hat es das erste Verb sofort in sich. Ohne dass man es ahnt, weist es schon auf das folgende Bild von der heiligen bzw. königlichen "Priesterschaft" voraus (Verse 5 und 9). Denn "hinzukommen", genauer: "hinzutreten" (griechisch: prosérchomai) ist die typische Vokabel für das Hinzutreten des Priesters zum Altar im Alten Testametn (Levitikus 9,7f., 21,17 u. ö.) bzw. für den durch die Priester vermittelten Zugang des Volkes zu Gott (Exodus 16,9; Levitikus 9,5). Doch über diese kultische Anspieluing hinaus meint das "Hinzutreten" viel grundsätzlicher die vertrauensvolle und zuversichtliche Hinwendung zu Christus, als Konsequenz und Antwort auf dessen Heilhandeln. Ähnlich gebraucht Hebräer 4,16 das Verb, allerdings als Selbstaufforderung:
"Lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit!"
Der "Ort" des Hinzutretens bzw. die "Person", an die es heranzutreten gilt, ist Christus, für den ein paradoxes Bild gewählt wird: "lebendiger Stein". Das Wort "Stein" bereitet sowohl das "Eckstein"-Motiv in Vers 6-7 als auch das Bild vom "Stein des Anstoßes" in Vers 8 vor. Das Stichwort "lebendig" bezieht sich auf das Handeln Gottes an diesem "Stein", also auf Christi Auferweckung von den Toten durch Gottes Macht (was nach 1 Petrus 1,3 bei den auf diesen Stein Setzenden zu einer "lebendigen Hoffnung" führt). Es verweist aber auch schon voraus auf die Adressaten, die sich "als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen" lassen solen (Vers 5).
Das "Hinzukommen" - das im Griechischen nicht als Aufforderung formuliert ist, sondern als Feststellung: "Nachdem/Da ihr hinzugekommen seid zu ihm ...", wahrscheinlich als weiteres Bild für die Taufe - steht den "verwerfenden" Menschen gegenüber. Zunächst sind wohl diejenigen gemeint, die Jesus ans Kreuz gebracht haben, während Gott ihn vom Tode erweckt hat. Das "Verwerfen" setzt sich aber fort in denjenigen, die in Vers 7 als "nicht Glaubende" identifiziert werden. Damit wird schon von der ersten Zeile an deutlich, dass der Erste Petrusbrief an dieser Stelle mit einem sehr harten Schema von Abgrenzung operiert, das auch schon im 1. Kapitel beobachtbar war. Es ist sein Versuch, mit der schwierigen Situation des Christseins in der Diaspora und damit in der "Fremde" (1 Petrus 1,1.17; 2,11) umzugehen: Stärkung nach innen (Stichwort: "Erwählung""; vgl. bereits 1 Petr. 1,1: "... erwählten Fremden in der Diaspora"), Abgrenzung nach außen. Allerdings muss unbedingt hinzugefügt werden, dass dies nicht das einzige Konzept des Briefes ist, insofern er nicht etwa für Auswanderung plädiert (wie die Offenbarung des Johannes), sondern - wo es möglich ist - für Integration in die Fremde und für missionarisches Wirken durch vorbildliches Handeln, auch unter widrigen Umständen (vgl. weiter unten zu Vers 9).
Für das in diesem Lesungsabschnitt dominierende Konzept der Gegenüberstellung kombiniert der Verfasser zwei durch das "Stein"-Motiv verbundene Zitate aus dem Alten Testament:
"Ein Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden" (Psalm 118,22)
und
"Siehe, ich werde in die Fundamente Sions einen kostbaren, ausgewählten Stein einsetzen, einen wertvollen Eckstein in ihre Fundamente ..." (Jes 28,16).2
Der Psalm wird auf das Handeln von "(den) Menschen" bezogen - im Griechischen steht kein Artikel! -, das Jesaja-Zitat auf das Handeln Gottes. Mit der Taufe haben sich die Adressaten des Ersten Petrusbriefs entschieden, nach welchem Maßstab sie in ihrer Beziehung zu Christus handeln wollen: nach dem der Menschen oder demjenigen Gottes.
Vers 5
Das "Stein"-Motiv erweist sich als glücklich gewählt, denn es ermöglicht, nicht nur von Christus als "Eckstein", sondern von der Gemeinde als Bauwerk ("Haus") zu sprechen. Schon Paulus verwendet dieses Bild in 1 Korinther 3,9-17:
"9 Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bau. 10 Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein weiser Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. 17 ... Denn Gottes Tempel ist heilig und der seid ihr."
Mit Paulus teilt der Erste Petrusbrief die Grundidee, dass der "Bau" als Bild für die interaktive Gemeinde nicht die Selbstkonstitution eines religiösen Vereins ist, sondern sich dem Wirken Gottes verdankt ("Lasst euch aufbauen ...!"). Es geht um ein "geistiges", weil geistgewirktes Haus, in dem, besser: durch das "geistige Opfer" dargebracht werden. Hier klingt die Schlusszeile vom Paulus-Zitat, nämlich der "heilige Tempel" nach. Das "Haus" wird damit präzisiert, um zu verdeutlichen, um was es eigentlich in dieser Gemeinde gehen soll: Alle sind gleichermaßen "Priester". D. h. nicht: Alle stehen am Altar und opfern Stiere o. ä. Einen direkten Zusammenhang von Priester und Eucharistie kennt das Neue Testament noch nicht, so dass auch nicht daran gedacht sein kann, das alle gleichermaßen der Eucharistie vorstehen. Dieses Wort "will vielmehr einprägen, daß die Zugehörigkeit zum Hause Gottes niemals stille Teilhabe, sondern immer aktiven Dienst bedeutet. Sie sind alle ermächtigt und verpflichtet, zu tun, was sonst [d. h. nach jüdischer Tradition; G. Fleischer] Priestern vorbehalten ist, nämlich Gott zu dienen, und zwar alle ganz, so wie sie als 'Bausteine' vorgefunden und 'lebendig' gemacht wurden, mit Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen" (Rudolf Pesch, Die Echtheit eures Glaubesn. Bbilsiche Orientierung: 1. Petrusbrief, Freiburg 1980, 44). Die "geistigen Opfer" werden im Weiteren präzisiert als "Verkündigung" der "großen Taten dessen ..., der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat" (Vers 9). Nach Papst Franziskus kann solche Verkündigung "auch in Worten" geschehen. Auf jeden Fall bedeutet sie immer ein Handeln, das die eigene Existenz einbezieht, aslo keine äußerliche Aktion. Daran hätte Gött nämlich kein "Gefallen".
Das wird schon im Alten Testament deutlich, wenn der Prophet Amos statt Opfern das Tun von "Recht und Gerechtigkeit" einfordert (vgl. Am 5,21-27), wenn Psalm 51,18-19 bekennt: " 18 Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie geben, an Brandopfern hast du kein Gefallen. 19 Schlachtopfer für Gott ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen." oder wenn Ps 141,2 unter "Opfer" "Gebet" versteht:: "Mein Bittgebet sei ein Räucheropfer vor deinem Angesicht, ein Abendopfer das Erheben meiner Hände."
Da der Erste Petrusbrief aber u. a. vor allem in der Paulus-Nachfolge steht, dürfte besonders Römer 12,1 im Hintergrund stehen:
"Ich ermahne euch also, Brüder und Schwestern, kraft der Barmherzigkeit Gottes, eure Leiber als lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen - als euren geistigen Gottesdienst."
Natürlich ist hier nicht irgendeine Form der Selbsttötung oder des gesuchten Martyriums gemeint, sondern der leibhaftige Einsatz im Dienste Gottes und getrieben von seinem Geist. Und so dürfte auch der Erste Petrusbrief zu verstehen sein.
Vers 6
Das bisher Gesagte begründet der Briefschreiber mit dem Autoritäts-Argument des Schriftbeweises, das in sich ja immer mehrfach wirkt: Als Teil der Heiligen Schrift ist es Gott selbst, der hinter diesem Wort steht; dass sich dieses Wort der Vergangenheit mit der Gegenwart deckt, zeigt die Treue Gottes und die Wirkkraft seines Wortes gleichermaßen. Es zeigt aber auch über lange Zeitstrecken hinweg eine große Kontinuität auf; die Bibel denkt immer heilsgeschichtlich. Solche Kontinuität kann Vertrauen in den durch die Zeiten wirkenden Gott stiften.
Im konkreten Fall vermischt der Erste Petrusbrief verschiedene alttestamentliche Zitate:
Jesaja 28,16: "Darum - so spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen harten und kostbaren Eckstein, ein fest gegründetes Fundament: Wer glaubt, treibt nicht zur Eile."
Jesaja 8,14: "Er wird zum Heiligtum werden, zum Stein des Anstoßes und zum Felsen, an dem man strauchelt, für die beiden Häuser Israels: zum Netz und zum Fallstrick für die Bewohner Jerusalems."
Ps 118,22: "Ein Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden."
Möglicherweise lag dem Schreiber des Briefs der gesammelte Bezug dieser Stellen auf Christus schon als fertiges "Arrangement" vor, denn die Anspielung auf die beiden Jesaja-Zitate finden sich schon in Römer 9,32-33; Lukas 20,18/Matthäus 21,44; und der Psalm wird auf die Passion Christi bezogen in Markus 12,10/Matthäus 21,42/Lukas 20,17 sowie in Apostelgeschichte 4,11.
Vers 7-8
Das Besondere ist nun, dass das Schriftzitat konkret auf die Gemeinde angewendet wird. Dieses stärkende und Mut zusprechende Verfahren findet sich im Ersten Petrusbrief öfters und begegnete am letzten Sonntag, wenn das Vierte Gottesknechtslied aus Jesaja 52,13 - 53,12 aus dem Zitat (dort ist von "wir" die Rede) in die direkte Anrede der Sklaven umschwenkt: "Durch seine Wunden seid ihr geheilt." (1 Petrus 2,24b).
Neben den positiven Zuspruch tritt nun in der Anwendung aber auch das Gerichtswort über die "Nicht-Glaubenden", das noch dadurch eine besonders schwierige Note erhält, dass der Brief das Geschick des "zu Fall Kommens" und des Scheiterns am "Eckstein" Christus als "vorherbestimmt" ansieht.
Die Härte der Formulierung mahnt in aller Dringlichkeit, sich seiner Beziehung zu Gott und Christus bewusst zu werden und sich ihr zu stellen. Zugleich mahnt sie aber auch, da der Missbrauch bereits vorprogrammiert ist - wenn alles vorherbestimmt ist, ist das Leben an sich sinnlos und ein Bemühen darin sowieso -, ein Einzelwort der Heiligen Schrift absolut zu setzen und daraus große Folgen zu ziehen. Viel Unterstützung findet die Aussage des Ersten Petrusbriefes im Blick auf das gesamte Neue Testament nicht.
Vers 9
Dieser Vers zeigt einmal mehr, dass es dem Ersten Petrusbrief - auch trotz einer Aussage wie Vers 8 - nicht vor allem um die "Verurteilung" der Anderen geht, sondern um die Stärkung nach innen. Vier Kennzeichnungen des alttestamentlichen Gottesvolkes werden auf die Christengemeinde übertragen:
"auserwähltes Geschlecht" (vgl. Deuteronomium 7,6; 10,12; Jesaja 43,20: Erwählung und Verkündigungsdauftrag!),
"königliche Priesterschaft" (Exodus 19,6)
"heiliger Stamm",(vgl. Exodus 19,6)
"Volk" als "besonderes Eigentum" (Exodus 19,5; Deuteronomium 7,6; Maleachi 3,17).
Das ist ein wahres Feuerwerk an Wertschätzung, und mit jedem Begriff soll verdeutlicht werden, was es heißt, "erwählt" zu sein (vgl. noch 1 Petrus 1,1; 5,13). Es ist ein Begriff, der Hineinnahme in die engste Gemeinschaft mit Gott bedeutet, die ihr Maß an der Gemeinschaft zwischen Vater und Sohn, zwischen Gott Vater und Christus hat. Es gibt eine enge Korrespondenz zwischen Christus, dem "erwählten Stein" (Vers 6) und dem "auserwählten Geschlecht". Jedes der vier Bilder drückt größte Nähe zu Gott aus, bezieht sie aber nicht auf die Einzelperson, sondern auf die Gemeinschaft der Glaubenden. Die Nähe kommt zum Ausdruck in den Begriffen "auserwählt" (mitzuhören ist: von Gott auserwählt), "königlich" (ein König galt immer als von Gott selbst eingesetzt), "Priester" (sie hatten das Privileg, am Tempel als Stätte der Begegnung zwischen Gott und Menschen ihren Dienst zu tun), "heilig" (der Begriff grenzt den Bereich der Gottesnähe vom "profanen", strikt weltlichen Bereich ab, was etwa sichtbar wird bei Mose, der auf "heiligem" Boden seine Schuhe ablegen muss [Exodus 3,5]), "besonderes Eigentum" (der hebräische Hinergrundbegriff segulláh meint den "Kronschatz", an dem der König als Eigentümer besonders hängt und worauf sein Auge besonders ruht). "Geschlecht", "Priesterschaft", "Stamm" und "Volk" hingegen sind alles Gemeinschaftsbegriffe. Nicht um die Privilegierung Einzelner, sondern um eine Auszeichnung aller Zugehörigen geht es.
Was diese vor allem auszeichnet, ist, dass sie der Sphäre des Todes ("Finsternis"), zu der der Erste Petrusbrief besonders ihre heidnische Vergangenheit zählt, entrissen sind in die Sphäre wirklichen Lebens, für das der auferweckte Christus steht. Diesmal orientiert sich die Sprache an einem Hymnus aus dem Kolosserbrief:
"12 Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind. 13 Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. 14 Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden" (Kolosser 1,12-14).