Die Sonntagslesung wendet sich diesmal speziell an Sklaven. An ihnen lässt sich für den Ersten Petrusbrief das gewünschte Ideal christlicher Existenz besonders gut veranschaulichen: die Balance zwischen Kompromiss mit der Gesellschaft und kompromisslosem No-Go. Als das schwächste Glied der Gesellschaft brauchen sie zugleich die meiste Zuwendung und Stärkung.
Einordnung in den Kontext
Nachdem der Erste Petrusbrief bis einschließlich 2,10 vor allem herausgestellt hat, in welchem besonderen Stand die Christen als "Erwählte in der Fremde" (1 Petrus 1,1) leben, die sich also gegenüber der nichtchristlichen Umwelt tortz aller Verachtung oder Bedrängnis, auf die sie treffen mögen, nicht zu schämen brauchen, geht es ab 1 Petrus 2,11 um die Bewährung der auf diese Weise moralisch Gestärkten innerhalb der heidnischen Gesellschaft. Diese Bewährung bedeutet einerseits Standhaftigkeit gegenüber allen Versuchungen, den Glauben an den einen Gott und seinen Sohn Jesus Christus, der in der Taufe übernommen wurde, preiszugeben. Sie bedeutet aber andererseits auch, in der Gesellschaft als leuchtendes Beispiel zu leben; also Werte, die für die heidnsche Gesellschaft wichtig sind und dem Christentum nicht wirklich widersprechen, vorbildlich zu leben und sogar den einen oder anderen "Heiden" für die christliche Gemeinde zu gewinnen.
Diese Gratwanderung zwischen Aushalten von Leid und vorbildlichem Leben wird in 1 Petrus 1,18-25 mit besonderem Blick auf die Sklaven durchbuchstabiert. Da die ausgewählte Lesungsperikope erst mit Vers 20b beginnt, wird der eindeutige Bezug und Zusammenhang leider nicht erkennbar. Deshalb seien die ausgelassenen und eigentlich unverzichtbaren Verse hier zunächst zitiert, ehe dann die Lesung selbst ausgelegt wird:
"18 Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Ehrfurcht euren Herren unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den launenhaften! 19 Denn es ist eine Gnade, wenn jemand deswegen Kränkungen erträgt und zu Unrecht leidet, weil er sich in seinem Gewissen nach Gott richtet. 20 Ist es vielleicht etwas Besonderes, wenn ihr wegen einer Verfehlung Schläge erduldet?" (1 Petrus 2,18-20a).
Vers 20b
Die Lesung beginnt mit einem Satz, der eigentlich als Gegensatz formuliert ist. Denn im Zusammenhang mit dem ausgelassenen Vers 20a ist gemeint: Ein christlicher Sklave, der seine Arbeit nicht ordentlich macht und dafür Schläge bekommt, wird allerhöchstens alle Vorurteile der heidnischen Gesellschaft gegen das Christentum bestätigen. Ganz anders ist es, wenn ein Sklave zu Unrecht geschlagen wird und dennoch nicht gegen seinen Herr rebelliert, sondern das erlittene Unrecht aushält. Der Widerstand gegen die Versuchung zum Ungehorsam gegenüber dem Sklavenhalter birgt in sich die Chance, in einer Situation äußerer Ohnmacht (gegen die Gewalttätigkeit des Herrn) zu einem beeindruckenden Zeugen für den christlichen GLauben zu werden und damit missionarisch zu wirken. Im Grunde bietet die Maßgabe des Ersten Petrusbrief - ohne direkte Bezugnahme auf das Evangelium - eine Veranschaulichung zu Jesu so schwer zu lebender Forderung, auch die andere Wange hinzuhalten, wenn man auf eine geschlagen wird (vgl. Matthäus 5,39). Man könnte von der suberversiven Kraft der Gewaltlosigkeit und des ordentlichen (Sklaven-)Lebens sprechen. Entscheidend ist dabei: Sie erwächst nicht aus einer aus stoischer Weltüberlegenheit gewonnenen Unempfänglichkeit für Schmerz und Leid, sondern aus dem tiefen Glauben an einen gerechten Gott, der in dieser Situation des Aushaltens auch die notwendige Kraft gibt. Insofern ist die Stunde ungerechten Leidens "Gnade" in den Augen Gottes. Anders als sonst im Ersten Petrusbrief meint "Gnade" hier nicht das am Ende zu erwartende Heil, also das ewige Leben. Vielmehr bezeichnet "Gnade" hier das Wohlgefallen Gottes an dem sich so bewährenden "Sklaven", dem er deshalb auch die"behütende Kraft" zum Bestehen schenkt, von der 1 Petrus 1,5 spricht. Vor allem aber besteht die "Gnade" darin, dass dem leidenden Sklaven Gelegenheit gegeben wird, Jesus Christus als seinen eigentlichen Herrn nachzuahmen.
Vers 21
Darin besteht für den Schreiber des Ersten Petrusbriefes die "Berufung" des Christen: Christus nachzuahmen. Dabei gilt es eine wichtige Unterscheidung zu beachten: Diese Nachahmung des Beispiels Jesu bezieht sich auf seine Haltung, ungerechtfertigtes Leiden bzw. durch das Festhalten an Gott entstandenes Leiden auszuhalten. Die Nachahmung bezieht sich eindeutig nicht auf das erlösende Handeln Jesu, von dem in Vers 24 die Rede ist. Auch wenn im Griechischen jeweils andere Begriffe verwendet werden, trifft der Petrusbrief hier durch das Wort "Beispiel" (griechisch: hypogrammós) dieselbe Unterscheidung, die in den Evangelien getroffen wird, wenn einerseits von der "Lebenshingabe für die vielen" gesprochen wird (vgl. Markus 10,45), die nur und einzig von ihm im Sinne einer Erlösungstat für andere ausgesagt werden kann, und wenn andererseits das Johannesevangelium in 13,15 die Fußwaschung als ein "Beispiel" (hypódeigma) anführt, das auf Nachahmung zielt.
Das Stichwort "Berufung" ("Dazu seid ihr berufen worden": eklḗthḗte) greift mindestens lautlich zurück auf den ausgelassenen Vers 20a. Was in der Einheitsübersetzung "Ist es vielleicht etwas Besonderes ...?" lautet, heißt wörtlich: "Denn was für ein Ruf/Ruhm (griechisch: kléos) ist das ...?" Dieses Wort kléos kommt nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vor und scheint fast bewusst auf Vers 21 hiun ausgewählt zu sein. Man kann für einen schlechten "Ruf" sorgen oder seiner "Berufung" gerecht werden.
Vers 22-23
Ab diesem Vers bezieht sich der Erste Petrusbrief auf das Vierte sogenannte Gottesknechtslied (Jesaja 52,13 - 53,12), das an jedem Karfreitag als Lesung vorgetragen wird. Unabhängig von der Frage, wer in diesem "Lied" aus dem Buch Jesaja mit dem Gottesknecht wirklich gemeint ist, das sicher nicht dem Propheten Jesaja zuzuschreiben ist (8. Jh. v. Chr.), sondern in die ausgehende Exilszeit oder später gehört (also 2. Hälfte des 6. Jh. v. Chr.), wird erkennbar: Hier geht es um eine Gestalt, die - ohne Schuld auf sich geladen zu haben - für die Schuld der Anderen stirbt. Diese "Gestalt" - ein einzelner Mensch, vielleicht aber auch ein Symbol für die aus Babylon zurückkehrenden Juden - wird in seinem geduldigen Ertragen des Leides und seiner Wehrlosigkeit einerseits mit einem "Lamm" verglichen, das "vor seinem Scherer verstummt" Jesaja 53.7), ist aber auch als Mensch erkennbar, der "kein Unrecht getan hat" und in dessen Mund "kein trügerisches Wort ... war" (Jesaja 53,15). Genau auf diesen Vers bezieht sich Vers 22 der Lesung, wobei der Begriff "Unrecht" aus Jesaja im Petrusbrief durch "Sünde" ersetzt wird. Einmal mehr geht es dem Schreiber um die gerade gemachte Unterscheidung: Das in Vers 21 genannte "Leiden" Jesu und das Vermeiden von "Falschheit" beschreibt die nachzuahmende Seite Jesu; die "Sündlosigkeit" hingegen - die vom Menschen vielleicht anzustreben, ihm aber unmöglich ist - verweist voraus auf das "Unnachahmliche", einzig als Geschenk von Jesus Anzunehmende, das in Vers 24 so umschrieben wird: "Er hat unsere Sünden mit seinem eigenen Leib auf das Holz des Kreuzes getragen". Das war eben nur dem möglich, der selbst sündenlos war. Ansonsten wäre er vor allem damit "beschäftigt" gewesen, für die Vergebung seiner eigenen Sünden zu handeln.1
Vers 23 spielt wohl - wenn auch keineswegs wörtlich - weiterhin auf das Vierte Gottesknechtslied an, hat aber jetzt vor allem die Adressaten, die leidenden und zur zur Standhaftigkeit ermutigten Sklaven vor Augen. Um ihretwillen heißt es von Christus: Er "überließ seine Sache dem gerechten Richter". Dieser "gerechte Richter" ist kein anderer als Gott selbst, auf den auch die Sklaven - letztlich natürlich alle (bedrängten) Christen - vertrauen sollen. Hier kann der Blick auf den Gottesknecht helfen, der in seinem Vertrauen auf Gott bis hin zur eigenen Lebenshingabe - ohne dass hier das Wort "Richter" fiele - von eben diesem Gott belohnt worden ist: "Doch der HERR hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten. Wenn du, Gott, sein Leben als Schuldopfer einsetzt, wird er Nachkommen sehen und lange leben. Was dem HERRN gefällt, wird durch seine Hand gelingen" (Jes 53,10).
Vers 24
Vers 24 benennt den eigentlichen Grund für die Hoffnung der Christen, für die die Sklaven ja nur eine Beispielgruppe darstellen. Im Grunde werden Aussagen aus der Lesung vom letzten Sonntag in anderen Worten wiederholt. Dort hieß es:
"18 Ihr wisst, dass ihr aus eurer nichtigen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, 19 sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel" (1 Petr 1,18-19).
Jetzt tritt an die Stelle des alttestamentlichen "Blut"-Bildes (s. die Kommentierung am vorigen Sonntag) eine Sprache, die von Paulus entliehen ist. Er schreibt z. B. in Römer 6,6:
"Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde, sodass wir nicht mehr Sklaven der Sünde sind."
Wenn Taufe bedeutet, mitgekreuzigt zu werden, dann liegt im Glauben an den heilbringenden Tod Jesu am Kreuz und seine Auferweckung Grund und Kraft zugleich, von der "von den Vätern ererbten Lebensweise" (1 Petrus 1,18) abzulassen und dieselbe Gerechtigkeit als Maßstab für das eigene Handeln anzulegen, die auch den "gerechten Richter" auszeichnet. Wo diese Grundorientierung gegeben ist, da darf der "Sünder" (Vers 24: "unsere Sünden") - also der Mensch, der in seiner Schwachheit hinter dem Maßstab zurückbleibt - darauf vertrauen, dass alles Versagen im Heilstod Jesu bereits aufgehoben und von Gott "zurecht gerückt" (paulinisch: "gerechtfertigt") ist. Damit ist Vers 24 Mahnung und Zuspruch in einem.
Dabei wird der Zuspruch durch die Anwendung eines erneuten Zitats aus dem Vierten Gottesknechtslied auf die Leserschaft besonders herausgestellt:
"Durch seine Wunden seid ihr geheilt" (vgl. Jesaja 53,5b: "... durch seine Wunden sind wir geheilt.").
Vers 25
1 Petrus 1,9 - der letzte Vers der Zweiten Lesung am 2. Sonntag der Osterzeit - nannte als letztes Ziel des Glaubens: "die Rettung eurer Seelen" (so die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortlauts). Völlig zutreffend hat die Einheitsübersetzung sich auf die Wiedergabe "eure Rettung" beschränkt, weil nach biblischem Sprachgebrauch "Seele" für den Menschen in seiner Ganzheit, für seine Personenhaftigkeit steht und nicht für irgendeinen Teil von ihm. "Meine Seele" meint ganz einfach: "Ich" in meinem ganzen Sein.
Nicht ganz konsequent heißt es heute in der Übersetzung von Vers 25: "Hirte und Hüter eurer Seelen" statt "euer Hirte und Hüter". Immerhin wird aber durch den Vergleich erkennbar: Vers 25 nimmt Rückbezug auf 1 Petrus 1,9. Das ist insoweit wichtig, weil unklar ist, wer genau der "Hirte und Hüter" ist. Da Vers 9 sehr stark Christus in den Mittelpunkt rückt, scheint eher er gemeint zu sein als Gott Vater, wie manche meinen. Dafür spricht auch, dass von "seinen (d. h. Jesu) Spuren" in Vers 21 die Rede ist. Der erste Petrusbrief scheint das alttestamentliche Bild von Gott als "Hirte" (vgl. nur Psalm 23: "Der HERR ist mein Hirte ...") ganz im Sinne des Johannesevangeliums von Christus her zu füllen. Dort sagt Jesus von sich: "Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe" (Johannes 10,11; vgl. auch 1 Petr 5,4: Dieser Vers bezeichnet eindeutig Christus als den "obersten Hirten").
Ungewöhnlich und eigenständig ist die Kombination des Hirtenbildes mir dem Bild des "Hüters". Denn hier steht im Griechischen "epískopos", was "Aufseher" zu übersetzen wäre. Während der Begriff im weltlichen Bereich ein Versorgungsamt bezeichnet, wird er bei den Christen zum "Amt" für diejenigen, die das Leben einer Hausgemeinde organisieren, schließlich aber vor allem zur die "gesunde Lehre" absichernden "Aufseher" über mehrere christliche Gemeinden (vgl. 1 Timotheus 3,1-7 sowie 2 Timotheus 4,3). Es ist der Vorläufer des "Bischofs", wobei von liturgischen Aufgaben im Neuen Testament noch nichts erklennbar ist. Wird hier bereits auf diesen "epískopos" angespielt? 1 Petrus nennt aber das entsprechende Amt an keiner Stelle und spricht nur von den "Ältesten" (1 Petrus 5,1.5).
Von daher könnte das Wort in der sehr viel allgemeineren Bedeutung "Aufseher" gemeint sein. Eine Parallele dazu wäre Weisheit 1,6:
"Die Weisheit ist ein menschenfreundlicher Geist, doch lässt sie die Reden des Lästerers nicht straflos; denn Gott ist Zeuge seiner heimlichen Gedanken, untrüglich durchschaut er sein Herz und hört seine Worte."
Der griechische Texgt spricht hier von Gott als "Aufseher" (epískopos) über das Herz des Menschen. Dann ist Jesus derjenige, der auf den Menschen Acht gibt ("Aufseher"), aber zugleich auch vor den Folgen dess Irrlaufens bewahrt ("Hirt").
Ds Bild des "Verirrens", das sich wieder auf die frühere Zeit des heidnischen Daseins der Sklaven bezieht, stammt ein letztes Mal aus dem Vierten Gottesknechtslied:
"Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg" (Jesaja 53,6).