Der Tonfall gegenüber der Zweiten Lesung vom vorigen Sonntag ist ein anderer. Aus dem Zuspruch, der auf Hoffnung zielt und und mit der schützenden Kraft Gottes argumentiert, der Christus aus dem Tode auferweckt hat, wird nun die Mahnung, ein spezifisch christliches Leben zu führen.
Einordnung der Lesung in den Kontext
Dieser Wechsel wurde bereits mit den von der Lesungsauswahl übersprungenen Versen 13 - 19 eingeleitet. Er ergibt sich fast zwangsläufig aus der Sichtweise, dass die Taufe in eine Daseinsweise überführt (Vers 3: "neu gezeugt"), die im Alltagsleben zu konkreten Handlungen führen soll. Ein neues Denken, Abstand halten von allem, was den nüchternen Blick trübt und statt auf die unzuverlässige "Gnade" von Menschen ganz auf die bei der Wiederkunft Christi zu erwartende "Gnade" Gottes hoffen - das sind Verhaltensweisen, die Vers 13 zusammenfasst. Zur Begründung wird die Nachahmung Gottes angeführt, also ein Verhalten, an dem erkennbar wird, dass der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist. Dazu zitiert der der heutigen Lesung vorangehende Vers 16 einen Kernsatz aus der Torah, den Fünf Büchern Mose: "Seid heilig, weil ich heilig bin!" (die alttestamentliche Vorlage findet sich in Levitikus/3. Buch Mose 19,2).
Dieser Gedanke einer spezifisch christlichen Lebensführung wird in den Versen 17 - 21, also der Lesung von heute, ein weiteres Mal entfaltet und zugleich noch einmal anders begründet.
Vers 17
Der etwas unvermittelt einsetzende Lesungsanfang "[Und] wenn ihr den Vater anruft ..." knüpft innerhalb des Ersten Petrusbriefs an Vers 14 an, der die Getauften als "Kinder des Gehorsams" anspricht. Dieser Gehorsam gilt letztlich Gott, dem "Vater". Dies ist eine gewisse Engführung des Vater-Motivs, das für die Christen einerseits aus der "Vaterunser"-Tradition bekannt ist, das aber auch Paulus - ohne eine Kenntnis von diesem Gebet erkennen zu lassen - häufig verwendet. Nach ihm ist die Anrufung Gottes als "Abba - Vater" geradezu ein Kennzeichen der Christen, zu dem sie durch das Wirken des Geistes Gottes ermächtigt sind (vgl. Galater 4,6; Römer 8,15). Dabei denkt er aber eher an den "Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes" (2 Korinther 1,3). Doch bereits in seinem ältesten uns überlieferten Schreiben, dem Ersten Thessalonicherbrief, geht es Paulus um die Verantwortung, dass "ihr [die Christen von Thessaloniki) ohne Tadel seid, geheiligt vor Gott, unserem Vater, bei der Ankunft Jesu, unseres Herrn, mit allen seinen Heiligen" (1 Thessalonicher 3,13).
In dieser Spur wendet sich der Erste Petrusbrief gegen eine "Verharmlosung" des Vaterbildes, das eventuell nur die Rolle des sorgenden, gütigen und letztlich gebenden Gottes betont, darüber aber übersieht, dass gegenüber diesem Vater auch eine Verantwortung besteht. Er ist ein Vater, der auch etwas verlangen darf. Schon Paulus operiert dazu mit dem Begriff "Gehorsam", den er zuerst für Christus verwendet (Phil 2,8: Er war "gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz"), dann aber auch für seine Gemeinden (vgl. z. B. ebenfalls im Philipperbrief: "Darum, meine Geliebten, - ihr wart ja immer gehorsam, nicht nur in meiner Gegenwart, sondern noch viel mehr jetzt in meiner Abwesenheit - : Wirkt mit Furcht und Zittern euer Heil!" [Philipper 2,12], aber auch in den anderen Briefen).
Auf dieses Vaterveständnis legt sich der Erste Petrusbrief gleich zu Beginn fest, wenn er seinen Adressaten schreibt, sie seien "von Gott, dem Vater, ... von jeher ausersehen und durch den Geist geheiligt, um gehorsam zu sein und besprengt zu werden mit dem Blut Jesu Christi" (1 Petrus 1,2). Diese Sichtweise verstärkt der Verfasser des Briefes, indem er die Rede vom "Vater" mit dem im Alten wie Neuen Testament durchgängig bezeugten Bild von Gott als "Richter" verbindet ("der jeden .... nach seinem Tun beurteilt"). Von den sich damit verbindenden Aspekten betont er besonders die Objektivität von Gottes Gerechtigkeit, die sich nicht nach dem Ansehen der Person richtet - wohl ganz im Gegensatz zur heidnischen Umwelt der Gemeinde, in der Ansehen entscheidend war. Man denke nur an die für Christen aufgehobene Unterscheidung zwischen Sklaven und Freien, die gleichermaßen und vermischt in den Gemeinden ihren Platz fanden. Darüber gab es außerhalb der Gemeinden bestenfalls Kopfschütteln.
Gerade unter der Rücksicht der Unterscheidung von der umgebenden Bevölkerung erhält der Hinweis "solange ihr in der Fremde seid" einen doppelten Sinn. Die Gemeinden sollen ihr "gottesfürchtiges" Leben gerade dort führen, wo es befremdlich wirkt, weil die Menschen Anderes oder nichts glauben. Sie sollen aber ihr Leben auch im Bewusstsein führen, dass ihre auf die Auferweckung hin neu gestaltete Existenz in der Taufe ihr "eigentliches" Leben erst bei Gott finden wird. Die irdische Existenz, ohne die Anschauung Gottes und von vielen Beschwernissen belastet, ist ein Leben "in der Fremde". Der Schriftsteller Heinrich Böll formuliert einmal in einem Brief, dass "niemand in dieser Welt so ganz zu Hause ist".
Vers 18
Die beschriebene "Fremde" ist ja nicht nur das "Umfeld" der angesprochen Christen, sondern sie bezeichnet auch ihre Herkunft. Vers 18 umschreibt sie als "nichtige Lebensweise", die sie selbstverständlich, solange sie noch keine Christen waren, als "Erbe ihrer Väter" übernommen hatten. Das griechische Wort mátaios verbindet "eitel" im Sinne von "ohne Kraft, ohne Wahrheit, ohne Erfolg" und "nichtig" im Sinne von "ohne Inhalt, Wert und Bestand".1 Die Aufgabe des väterlichen bzw. elterlichen Erbes zusammen mit einer solchen Abwertung ist ein gewaltiger Schritt und die Versuchung, dorthin zurückzukehren, kann groß sein, besonders, wenn die Mehrheit bei den Traditionen bleibt. Diese Versuchung dürfte auch in den Gemeinden bestanden haben. Deshalb betont der Erste Petrusbrief den hohen Einsatz Gottes bei der Herausholung aus diesem "nichtigen" Erbe.
Der Einsatz wird zunächst negativ abgegrenzt vom Kaufwert des "Goldes" und des "Silbers". Diese Edelmetalle haben die Menschen immer schon fasziniert. Wenn es um Reichtum und wirtschaftlicheh Macht geht, werden sie bereits im Alten Testament gerne zur Veranschaulichung herangezogen. Als ein Beispiel von vielen sei nur Jesaja 39,2 angeführt. Hier wird der Reichtum Hiskijas, des insgesamt positiv bewerteten Königs von Juda mit der Hauptstadt Jerusalem (725 - 696 v. Chr.), so beschrieben:
"Hiskija freute sich darüber und ließ sie sehen sein Schatzhaus, das Silber und das Gold, die Vorräte an Balsam und feinem Öl, sein ganzes Waffenlager und alles, was sich in seinen Schatzkammern befand."
Ebenfalls sind Gold und Silber aber auch verbunden mit der Produktion von Götzenbildern, die - da sie nur Menschenwerk sind - nichts bewirken können. So heißt es in Jeremia 10,9:
"Sie sind gehämmertes Silber aus Tarschisch und Gold aus Ofir, Arbeit des Schnitzers und Goldschmieds; violetter und roter Purpur ist ihr Gewand; sie alle sind nur das Werk kunstfertiger Männer."
So wundert es nicht, dass der Prophet Zefanja kategorisch feststellt:
"Weder ihr Silber noch ihr Gold kann sie retten. Am Tag des Zorns des HERRN ..." (Zefanja 1,18).
Vielleicht standen gerade Vorstellungen wie die beiden zuletzt genannten dem Schreiber des Ersten Petrusbriefs vor Augen. Anlass genug gab es dafür in der römischen Kaiserwelt, die ganz auf Gold und Silber einerseits und Waffengewalt andererseits setzte. Die christlichen Gemeinden, die "erwählten Fremden in der Diaspora" (1 Petrus 1,1), die von diesen Gütern höchstens träumen können, aber ihren Einfluss sicher zu spüren bekommen haben, dürfen auf einen viel wertvolleren Kaufpreis blicken, der sie aus der "Fremde" ihres früheren Lebens befreit hat. Das für "befreien" gewählte Wort "loskaufen" weckt seinerseits drei biblische Assoziationen: den "Loskauf" eines Menschen aus der Sklaverei, so dass er wieder zu einem Freien mit allen Bürgerrechten wird (vgl. die entsprechende ausführliche Gesetzgebung in Levitikus 25,47-55 zum "Loskaufrecht" [Vers 48]); der "Loskauf" der vor allem nach Babylon verschleppten Israeliten aus ihrem erzwungenen Exil (vgl. Jes 53,2: "Denn so spricht der HERR: Umsonst wurdet ihr verkauft und ihr sollt nicht mit Geld losgekauft werden."); schließlich legt der folgende Vers nahe, auch an Markus 10,45 zu denken, wo die Lebenshingabe Jesu am Kreuz "als Lösegeld für viele" gedeutet wird.
Gerade diese letzte Assoziation erklärt das eigenartige Kriterium für die Abwertung von Gold und Silber. Ihr Wert bemisst sich über die Dauerhaftigkeit. Heutzutage würde man sagen: Er bemisst sich über die "Nachhaltigkeit". Rein irdisch betrachtet macht dieser Hinweis nicht allzu viel Sinn, da es auf Erden kaum Dauerhafteres gibt als diese Edelmetalle. Jahrtausende alte Schatzfunde zeugen davon.
Vers 19
Noch weniger Sinn würde es machen, Gold und Silber hinsichtlich der Dauer mit "Blut" zu vergleichen. Doch nicht um dessen materielle Dauer geht es. Wieder wird ein Assoziationsraum eröffnet: Erinnert wird an das Blut der "fehlerfreien" Lämmer vor dem Auszug aus Ägypten, mit dem die Hebräer ihre Zeltstangen bestreichen sollten, um Gott in seiner in dieser Nacht tödlich an den Ägyptern wirkenden Macht fernzuhalten (vgl. Exodus/2. Buch Mose 12,1-14; der vollständige Text findet sich unter der Rubrik "Kontext"). Das Blut als "Sitz des Lebens" (vgl. Levitikus 17,11-12) bewahrt vor dem Tod und rettet zum Leben. In dieser Symbolik konnte auch Jesu Tod, des aufgrund seiner Sündenlosigkeit "fehl- und makellosen Lammes", gedeutet und verstanden werden: Sein "Blut" eröffnet zusammen mit der Auferweckung ein "unvergängliches" Leben - und ist damit eben nicht ein "vergänglicher" Preis wie Gold und Silber (Vers 18). Völlig unberücksichtigt bleibt dabei der selbstverständlich immer Gold und Silber, also rein materielle Dinge, übersteigende Wert des Einsatzes des eigenen Lebens.
Vers 20
Interessanterweise führt der Erste Petrusbrief keine der aufgerufenen theologischen Bildwelten näher aus, so dass offen bleiben muss, was im Einzelnen der Briefschreiber bewusst vermitteln wollte bzw. was die Lesenden davon tatsächlich verstanden. Ihm geht es vielmehr darum, dass das in sehr dichtem Vokabular beschriebene Handeln Gottes nicht ein zufälliges oder schicksalhaftes ist - so wie Zufall und Schicksal (griechisch: moíra, lateinisch: fatum) das Leben der Griechen und Römer stark bestimmten -, sondern sich in einen großen Heislplan einordnet. Die mit Christus sich verbindende "Rettung" - dies war ein Leitwort des Lesung am vorigen Sonntag aus 1 Petrus 1,3-9) - ist schon vor aller Menschenschöpfung von Gott vorausgedacht und wurde sichtbar im menschgewordenen Christus. Dessen Kommen in die Welt markiert in christlicher Deutung einen Zeitenwechsel, und zwar hin zum "Ende der Zeiten". Mit dieser Formulierung ist gemeint, dass sich der Verfasser der letzten Generation oder zumindest einer der letzten Generationen dieser Weltzeit zugehörig glaubt. Der Gedanke findet sich schon bei Paulus, wenn dieser von sich und den Christen von Korintht zusammenfassend schreibt als von "uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat" (1 Korinther 10,11). Dieses "Ende der Zeiten" wird eröffnet mit dem irdischen Dasein Jesu, wie schon dessen erstes Wort im Markusevangelium festhält: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" (Markus 1,15).2
In nicht zu überbietender Steigerung und zur Stärkung der Identität wie der Hoffnungskraft der Briefempfänger bezieht der Verfasser des Ersten Petrusbriefes dieses zeiten- und weltumspannende Handeln Gottes in Christus auf seine Adressaten: Die Verwirklichung des eiwgen Heilsplans Gottes geschah "euretwegen". Hier wird für den Ersten Petrusbrief die "Erwählung" (Vers 1: "erwählte Fremde") konkret. Natürlich ist diese Erwählung nicht exklusiv in dem Sinne gemeint, als gebe es über die Christen hinaus, die der Brief anspricht, nicht auch noch andere christliche Gemeinden. Wohl aber setzt der Erste Petrusbrief eine Grenze zwischen Christen und Nichtchristen, zwischen denen, die die grundsätzlich Allen geltende Erwählung Gottes zum Heil annehmen und denen, die sie bewusst ablehnen und in ihrer "nichtigen, von den Vätern ererbten Lebensweise" (Vers 18) verharren.
Hier wird man aus heutiger Sicht sagen müssen, dass das "Ende der Zeiten" deutlich länger dauert und auch noch länger dauern wird, als es der Schreiber des Briefes annahm. Und auch hinsichtlich der Erwählung wird man sicher vorsichtiger formulieren, denn wen Gott am Ende wirklich erwählt, weiß er allein und kann durch kein irdisches Vor-Urteil vorweggenommen werden. Die Erwählung ist weniger Beschreibung eines Zustands, auf den man dann pochen kann, als vielmehr eine Aufgabe, der es zu entsprechen gilt. Da ist von der Botschaft des Ersten Petrusbriefes nichts wegzustreichen.
Vers 21
Der Schlussvers der Lesung schlägt mit den Begriffen "Glauben", "Auferweckung", "Hoffnung" und "Herrlichkeit" den Bogen zurück zur Lesung vom vorigen Sonntag, die genau um diese Begriffe kreist (vgl. besonders 1 Petrus 1,3.7-8). Noch einmal wird das Ziel des Glaubens wie der Mahnung des Briefes benannt: tiefgreifende Hoffnung. Und noch einmal wird das "Urgeschehen" benannt, in dem allein diese Hoffnung gründet: die Auiferweckung des gekreuzigten Christus.
Gerade dieser Schlussvers zeigt, wie sehr der Erste Petrusbrief als Lesung gerade in die Osterzeit hineinpasst.