Alles gehört euch! Und doch nicht ganz! Paulus und die Parteiungen der Gemeinde in Korinth.
1. Verortung im Brief
Nach dem Anschreiben („Präskript“) des 1. Korintherbriefs (1 Kor) und der Vorrede („Proömium“) befinden wir uns im Hauptteil des Briefes („Briefkorpus“). Paulus, der die Gemeinde von Korinth gegründet hat (50/51 n. Chr.), nimmt darin Bezug zur aktuellen Situation der Gemeinde, mit der er in einem regen Austausch steht. Bis zu einem neuerlichen Besuch, bleibt das Medium des Briefes ein wesentliches Mittel, um auf Fragen und Herausforderungen der jungen christlichen Gemeinde einzugehen. In dem in Ephesus verfassten Brief (ca. 54 n. Chr.) findet Paulus tröstende, ermahnende und klarstellende Worte und bringt sich selbst als Apostel und die Botschaft des Evangeliums in Erinnerung. Das erste Thema des Briefes sind Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde. Ihnen begegnet Paulus unter anderem mit dem Hinweis auf die einzigartige und allein aussagekräftige Botschaft des Kreuzes. Sie muss im Mittelpunkt der Gemeinde stehen und den Maßstab für alles Tun und Verkündigen bilden, insofern sie sich durch eine andere Form der „Weisheit“ auszeichnet. Mit der Weisheit der Welt und der Weisheit Gottes hatte sich Paulus bereits zuvor auseinandergesetzt (1 Kor 2,1-10). Der Abschnitt 1 Kor 3,16-23 nimmt sowohl die Gemeindethematik als auch die Weisheitsfrage wieder auf und verbindet beide.
2. Aufbau
Zwei unterschiedliche Schwerpunkte sind unterscheidbar: Zuerst richtet sich der Blick des Paulus auf die Gemeinde als „Tempel Gottes“ (Verse 16-17). Danach liegt der Fokus auf der Weisheit der Welt (Verse 18-23).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 16-17: Paulus vergleicht die Gemeinde von Korinth mit dem Tempel Gottes in Jerusalem. Das erhabene Bauwerk, das die meisten Gemeindemitglieder nur vom Hörensagen kennen, ist ihnen jedoch in ihrer Bedeutung bekannt. Der Tempel ist der Wohnort Gottes, er ist ein heiliger Ort und nur dem vorbehalten, was Gottes Willen entspricht. Die Begründung für die Bezeichnung der Gemeinde als Tempel Gottes liefert Paulus unscheinbar mit: Der Geist Gottes wohnt in ihnen.
Der erste Teil von Vers 17 klingt wie ein Satz heiligen Rechts. Dem irdischen Handeln gegen den Tempel, den Wohnort Gottes, wird eine himmlische Bestrafung entgegengestellt. Entsprechend der Übertragung der Tempelwürde an die Gemeinde, wendet der zweite Teil von Vers 17 die Androhung auf diejenigen, die der Gemeinde schaden. Angesichts der schwelenden Streitigkeiten in Korinth, die auch hier mit zu bedenken sind, kommen einem die gegenläufigen Parteiungen als Handeln gegen den „Tempel“ der Gemeinde in den Sinn.
Verse 18-20: Die Worte über die Einheit der Gemeinde verbindet Paulus an dieser Stelle des Briefes eng mit der Frage nach der Weisheit. Dazu ruft Paulus zunächst in Erinnerung, was er bereits erläutert hatte (vgl. 1 Kor 2,6-10). Weil für Gott das Weise töricht ist und vor ihm das Törichte weise, soll sich niemand etwas auf seine Weisheit einbilden. Um dies zu untermauern, bindet Paulus zwei Schriftzitate ein – wenn auch auf seine Weise. Im Psalmzitat ersetzt der z.B. „Menschen“ durch „Weise“, um seine Pointe zu stärken.
Verse 21-23: Weil alle menschliche Weisheit vor Gott nicht besteht, macht es auch keinen Sinn, sich auf die Weisheit eines Menschen zu berufen oder sich seiner zu rühmen. Der Apostel festigt seine Begründungsstrategie mit einem Zuruf, der den Korinthern aus dem philosophischen Umfeld bekannt sein dürfte, wendet sie jedoch zu seinen Gunsten. „Alles gehört euch“ schreibt Paulus und nimmt damit Bezug auf den Satz „dem Weisen gehört die Welt“ philosophischer Wanderprediger. Die Gemeinde darf Paulus, Apollos und Kephas (Petrus), die großen Glaubenszeugen, als auf sie bezogen verstehen. Denn Petrus, Apollos und Paulus sind für die Gemeinde da, sie sind da, damit die Gemeinde Gemeinde sein kann. Wenn nun aber die Gemeinde sich aufspaltet und behauptet zu einem der Verkünder zu gehören, dann ist das eine irrige Annahme der Gemeinde. Der Begriff „gehören“ beschreibt eine Bindung und eine Freiheit zugleich. Die Gemeinde hat sich der Welt gegenüber, aber auch gegenüber Leben und Tod, Zukunft und Vergangenheit als losgelöst von vielen Nöten und Ängsten begreifen. Was ihr dazu verhilft und damit immer der Grund ihrer Freiheit ist, ist die Zugehörigkeit zu Christus und damit Gott selbst. Nachdem Paulus am Ende von Vers 22 den Zuruf „alles gehört euch“ noch einmal betont hatte, ordnet er ihn in Vers 23 ein in das größere Ganze. Zugleich enthüllt Vers 23 noch einmal, warum die Streitigkeiten und Parteiungen der Gemeinde völlig verfehlt sind. Es kann keine Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Verkündiger geben, denn die Zugehörigkeit besteht einzig und allein zu Christus und durch ihn zu Gott.