Verborgene Weisheit. Paulus unterscheidet zwischen weltlichem Erkennen und dem Verstehen im Heiligen Geist
1. Verortung im Brief
Der 1. Korintherbrief (1 Kor) folgt dem Muster eines antiken Briefes. Dort folgt nach einem „Vorschreiben“ oder auch „Anschreiben“ (von der lateinischen Bezeichnung „Präskript“) mit Absender, Adressat und Gruß (1 Kor 1,1-3) das „Proömium“, das noch einmal eine Vorrede darstellt und zum Hauptteil überleitet (1 Kor 1,4-9).
Mit 1 Kor 1,10 beginnt der Hauptteil des Briefes („Briefkorpus“). In ihm widmet sich der Apostel Paulus verschiedenen aktuellen Fragen der Gemeinde, aber auch Themen, die ihm selbst für die Gemeinde wichtig erscheinen. In einer ersten Argumentation beschäftigt sich Paulus mit Streitigkeiten in der Gemeinde von Korinth, über die er sowohl mündlich wie schriftlich Kunde erhalten hat. Paulus selbst hatte die Gemeinde 50/51 n. Chr. gegründet. Sein Brief, den er rund um das Jahr 54 n. Chr. aus Ephesus schreibt, gibt einen tiefen Einblick in die Fragen und Herausforderungen einer jungen christlichen Gemeinde. Im Zuge seiner Mahnungen zu den entstandenen Streitigkeiten ist die Verkündigung des Kreuzes der zentrale Argumentationspunkt des Paulus, denn in ihm zeigt sich Gottes Kraft und Weisheit (1 Kor 1,24). Die genauere Abgrenzung oder Unterscheidung zwischen der Weisheit der Menschen und der Weisheit, die von Gott ausgeht, beschäftigt Paulus im vorliegenden Abschnitt.
2. Aufbau
In dem kurzen Abschnitt lassen sich zwei argumentative Schwerpunkte ausmachen: die Weisheit, die Paulus verkündet und die Erkenntnisbedingungen dieser Weisheit. Dabei wechseln sich immer wieder positive Bestimmungen der Verkündigung des Paulus ab mit Erkenntnisversuchen oder Weisheiten „der Welt“.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 6-8: Im Gegensatz zu dem Abschnitt 1 Kor 2,1-5, in dem Paulus die Weisheit als Mittel der Verkündigung und als Selbstzweck ablehnt, wird der Begriff nun zum zentralen und positiv gefassten Terminus. Dafür muss Paulus jedoch zwischen verschiedenen „Weisheiten“ unterscheiden. Dabei verwendet er Wortverbindungen, die an apokalyptische Texte erinnern. So spricht Paulus von der „Weisheit unter den Vollkommenen“ und „dem verborgenen Geheimnis der Weisheit Gottes“. Apokalyptische Texte decken bislang verborgene Dinge auf oder machen auf sie aufmerksam. Häufig wird dabei differenziert zwischen denen, die Zugang zu dem Enthüllten, der eigentlichen Weisheit etc. haben (z.B. Vollkommene) und denen, die etwas nicht erkennen.
Paulus unterscheidet an dieser Stelle im 1. Korintherbrief eine Erkenntnis (Weisheit), die nur den Vollkommenen offen liegt, also denen, die es von Gott durch den Geist geschenkt bekommen (vgl. Vers 10). Die Vollkommenen als Geistbeschenkte sind die Christen der Gemeinde von Korinth. Sie haben den Gekreuzigten als Gottes Sohn erkannt, den Gott ihnen zu ihrer „Verherrlichung“, d.h. zu ihrem Heil gesandt hat. Im Gekreuzigten die Herrlichkeit Gottes zu erkennen entspricht aber nicht der „Weisheit“ der Welt und ihrer Machthaber. Hier ist durchaus konkret an die jüdischen und römischen Autoritäten zu denken, die Jesus ablehnen, ausliefern und zu Tode bringen. Ihr Nicht-Erkennen zeigt sich darin, dass sie Jesus kreuzigen. Ihnen hat sich „das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes“ nicht erschlossen.
Verse 9-10: Paulus liefert nun eine Begründung für das Nicht-Erkennen durch die Machthaber und das Erkennen durch die Vollkommenen. Die Erkenntnis der wirklichen Botschaft des Kreuzes kommt nämlich nicht durch die Sinne zustande, wie Paulus unter Rückgriff auf den Propheten Jesaja formuliert. Sie wird durch den Heiligen Geist gegeben und ist damit Geschenk der Liebe Gottes. Dem letzten Satz folgend ist das Geheimnis Gottes nur im und mit dem Heiligen Geist zu verstehen, denn nur der Geist, der von Gott kommt, kann auch Gottes Wesen verständlich machen.