Der Weg der Liebe, der alles übersteigt.
1. Verortung im Brief
Die Kapitel 12 und 14 des 1. Korintherbrief (1 Kor) befassen sich den unterschiedlichen Charismen, die aus dem einen Geist hervorgehen. In Kapitel 12 geht es um die grundsätzliche Zuordnung der Geistesgaben zueinander und um das Kriterium des Nutzens für die Gemeinde. In Kapitel 14 wird dieser Faden aufgenommen und die Einbindung der Charismen in das Gemeindeleben und die Gottesdienstfeier näher in den Blick genommen. Das Kapitel 13 wendet den Blick nicht von den Geistesgaben weg, fügt ihrer Beurteilung aber eine weitere Perspektive hinzu: die Liebe als Wesensmerkmal Gottes, die eine beständige christliche Lebenshaltung ist.
2. Aufbau
Der Text ist rhythmisch verfasst und lässt sich in drei Strophen untergliedern. Die Verse 12, 31b-13,3 beschäftigen sich mit dem Verhältnis der zuvor beschriebenen Charismen zur Liebe. In 13,4-7 werden die Eigenschaften der Liebe beschrieben, bevor sich die abschließende Strophe 13,8-13 der Sehnsucht nach dem Beständigen widmet.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-3: Die Verse sind gleich aufgebaut mit einleitenden Konditionalsätzen, dem Verweis auf die Liebe und einer abschließenden Folgerung. Die Formulierung "hätte aber die Liebe nicht" spricht von der Liebe fast wie von einer Person. Die Liebe ist hier gedacht als eine Eigenschaft Gottes, sein Wesensmerkmal. Von Gott ausgehend strahlt die Liebe auf den Menschen aus und befähigt ihn zum Miteinander.
Einzelne Geistesgaben aus dem vorangegangenen Kapitel werden hier wieder aufgenommen und zur Liebe in Relation gesetzt. Die Sprache der Engel und Menschen ist eine Umschreibung für die Zungenrede. Sie wird verglichen dröhnendem Erz oder der lärmenden Pauke. Beides Bilder entspringen einerseits dem heidnischen Kult und sind andererseits Umschreibungen für viel Lärm hinter dem nichts steht. Hier ist die Kritik an der Geistesgabe, wenn sie ohne Liebe agiert, besonders scharf. Aber auch die Prophetie und der Glauben der Wunder wirkt, sind für Paulus ohne die Liebe als Grundlage nichts wert. Auch die Selbstaufgabe im Verschenken des Besitzes und dem selbstgewählten Martyrium ist für Paulus auf ihre eigentliche Motivation zu hinterfragen. Steht nicht die Liebe als Beweggrund solcher Handlungen dahinter, sind auch sie nichts wert.
Verse 4-7: Mit fünfzehn Verben beschreibt Paulus nun die Eigenschaften der Liebe. Die Liebe erweist sich also in der Tat, sie kann nur mit Tätigkeitsworten richtig gefasst werden. Die ersten beiden Zuweisungen „langmütig und gütig“ sind dabei Eigenschaften, die im Alten Testament fast nur Gott zugeordnet werden. Hier zeigt sich, dass die Liebe eine Wesenseigenschaft Gottes ist und ihr gründet.
Die mit Verneinungen umschriebenen Eigenschaften der Liebe erinnern an die Situation der Gemeinde von Korinth, in der es Spaltungen (1 Kor 1,10-17), Streitigkeiten (1 Kor 6) und offensichtlich die Tendenz gibt, die Gaben des Geistes in Konkurrenz zu einander zu sehen (1 Kor 12,29-30). Paulus mahnt die Gemeinde indirekt, dass sie mit solchen Umgangsformen untereinander kein Zeichen der Liebe sein kann.
Verse 8-13: Weil die Liebe aus Gott entspringt, ist sie wie er unvergänglich. Das unterscheidet sie von den Gaben, die der Geist den Menschen schenkt. Sie dienen dazu, im Hier und Jetzt die Welt zu gestalten, miteinander zu leben und zu glauben. Daher finden sie ein Ende, vergehen oder verstummen, sie stoßen an Grenzen oder bleiben unvollkommen oder Stückwerk. Insbesondere die letzten beiden Bilder des Wachsens vom Kind zum Mann und des Schauens von Angesicht zu Angesicht statt in einen Spiegel zeigen das Mehr der Liebe an. Die Liebe ermöglicht mündig wie ein Erwachsener und mit der Klarheit des direkten Schauens (nicht mehr das Sehen eines Abbildes) der Wirklichkeit Gottes zu handeln. Von „Angesicht zu Angesicht“ erinnert dabei an Mose, dem zugesprochen wird, direkt mit Gott gesprochen zu haben und nicht in Träumen oder Rätseln wie die anderen Propheten Gottes Weisungen vermittelt bekommen zu haben (Numeri 12,6-8). Auch wenn dieses direkte Erkennen der Liebe und damit Gottes für Paulus noch in der Zukunft liegt, so ist es für ihn doch Gewissheit. Grund dafür ist das Erkannt werden durch Gott, von dem er in Vers 12 spricht. Weil Gott jeden Menschen kennt und ihn liebt, kann Paulus das Vertrauen aussprechen, in die Erkenntnis der Liebe hineinwachsen zu können. Weil sie Wesensmerkmal Gottes ist, ist sie unter den christlichen Haltungen Glaube, Liebe, Hoffnung die wichtigste.