Lesejahr B: 2023/2024

2. Lesung (1 Kor 1,22-25)

22Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit.

23Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit,

24für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.

25Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.

Überblick

Das Kreuz. Gott fordert auf, neu zu denken

1. Verortung im Brief
Nach dem Anschreiben („Präskript“) des 1. Korintherbriefs (1 Kor) und der Vorrede („Proömium“) befinden wir uns im Hauptteil des Briefes („Briefkorpus“). Paulus, der die Gemeinde von Korinth gegründet hat (50/51 n. Chr.), nimmt darin Bezug zur aktuellen Situation der Gemeinde, mit der er in einem regen Austausch steht. Bis zu einem neuerlichen Besuch, bleibt das Medium des Briefes ein wesentliches Mittel, um auf Fragen und Herausforderungen der jungen christlichen Gemeinde einzugehen. In dem in Ephesus verfassten Brief (ca. 54 n. Chr.) findet Paulus tröstende, ermahnende und klarstellende Worte und bringt sich selbst als Apostel und die Botschaft des Evangeliums in Erinnerung. Das erste Thema des Briefes sind Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde. Ihnen begegnet Paulus unter anderem mit dem Hinweis auf die einzigartige und allein aussagekräftige Botschaft des Kreuzes. Sie muss im Mittelpunkt der Gemeinde stehen und den Maßstab für alles Tun und Verkündigen bilden, insofern sie sich durch eine andere Form der „Weisheit“ auszeichnet. Der Abschnitt 1 Kor 1,22-25 ist Teil dieses Gedankengangs.

 

2. Aufbau
Die Verse 22-25 entstammen einem größeren Argumentationsgang des Apostels zur Kraft des Kreuzes (1 Kor 1,18-25). Paulus greift dabei auf das Stilmittel der Antithesen zurück, das bedeutet, er stellt gegensätzliche Begriffe einander gegenüber. Zentral sind dabei zwei Gegenüberstellungen, die auch diesen Absatz prägen: Weisheit und Torheit einerseits sowie Juden und Griechen andererseits.

 

3. Erklärung einzelner Verse
Vers 22: Der Lesungsabschnitt, der mitten im Gedankengang einsetzt, beginnt mit der Gegenüberstellung von Juden und Griechen. Paulus verwendet nicht „Heiden“ als Gegenpol zu „Juden“, weil es ihm nicht so sehr um die Andersgläubigkeit geht, sondern um eine andere Denkweise; zudem wendet er sich damit konkret an den griechisch-heidenchristlichen Teil der Gemeinde in Korinth. Die Zuweisung von Zeichen und Weisheit als Zentrum der jeweiligen Erkenntnissuche ist selbstverständlich plakativ. 
Paulus greift bei der Charakterisierung der Juden womöglich gezielt die Frage nach dem vollmächtigem Handeln Jesu in Wundern und Zeichen auf, wie sie in der Tradition der Evangelien verschiedentlich zum Ausdruck kommt. So etwa im Markusevangelium im Zuge der Tempelreinigung, wenn die jüdischen Autoritäten Jesus bitten zu sagen, mit welcher Vollmacht er eigentlich handelt (Markusevangelium 11,27-28). Im Evangelium vom 3. Fastensonntag (Lesejahr B) wird der Glaube allein aufgrund von „Zeichen“ sogar deutlich kritisiert.
Die Charakterisierung der Griechen als derjenigen, die nach Weisheit suchen, verweist auf philosophische Weisheitssuche, Gnosis und auch die weit verbreiteten Mysterienreligionen, bei denen es darum geht, dass ein exklusiver Kreis in einen kultischen Vollzug eingeweiht ist.

 

Verse 23-24: Paulus betont gegenüber den Suchbewegungen von Juden und Griechen nun das Proprium der christlichen Botschaft: Der Glaube an Christus, den Messias, den Gekreuzigten. Diese Botschaft ist für Heiden eine Torheit, also unverständlich, weil ein Gekreuzigter und damit gesellschaftlich Geächteter auf keinen Fall ein Messias, ein Gesalbter und von Gott Gesandter sein kann. Die Juden nehmen Anstoß am Kreuz, weil nach Deuteronomium 21,22-23 ein Gekreuzigter ein von Gott Verfluchter ist. Wie kann so einer also zugleich ein Heilsbringer sein?
Den bereits aus Vers 22 bekannten Gruppen Juden und Griechen/Heiden stellt Paulus nun eine dritte Gruppe zur Seite, die eine Schnittmenge darstellt. Es sind jene Juden und Griechen, die „berufen“ sind, die also in dem Gekreuzigten mehr erkennen als das, was mit bloßen Augen sichtbar und nach gewöhnlichen Maßstäben verständlich ist. Die Berufenen – unabhängig aus welcher Vorprägung – sie sehen in dem Gekreuzigten „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“. Damit sind sie in der Lage, vom äußeren Schein und ersten Urteil abzusehen und die ganze Botschaft zu erfassen. Diese umfasst eben nicht nur das Kreuz, sondern auch die Verkündigung des Gottesreichs und die Auferweckung von den Toten und macht das Kreuz als Selbsthingabe zum erlösenden Handeln des Gottessohnes.

 

Vers 25: Der abschließende Satz des gesamten Gedankenganges ist wie ein Weisheitsspruch formuliert. Auch hier spielt Paulus mit den Gegensätzen, die den gesamten Abschnitt prägen: weise und töricht. Er fügt jedoch schwach und stark als weiteres antithetisches Paar hinzu. Geschickt positioniert er die menschliche Sichtweise auf das göttliche Handeln hinter dem Kreuz Jesu auf der einen Seite. Für Menschen ist der Tod eines Messias am Kreuz töricht und ein Zeichen der Schwäche. In der göttlichen Perspektive aber ist das Kreuz und damit der Tod des Sohnes zur Erlösung der vielen weise und die Hingabe als Zeichen der Liebe Ausdruck göttlicher Stärke.

Auslegung

Der Glaube an einen gekreuzigten Gott fordert eine Denkleistung – das ist keine moderne Erkenntnis, das nimmt Paulus bereits Mitte der 50er Jahre des 1. Jahrhunderts wahr. Im Kreuz ein Zeichen des Heils, der Hoffnung und des Lebens zu sehen, wie wir es am Karfreitag oft singen, ist keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr ist ein Umdenken, ein Verändern der Maßstäbe nötig, um am Kreuz den eigenen Glauben festzumachen. Paulus weiß das und fordert die Korinther gerade deshalb auf, sich auf diese Zumutung des Denkens einzulassen. Denn im Glauben an den Gekreuzigten wagen sich beide Gruppen innerhalb der Gemeinde (Juden und Heiden) einen großen Schritt aus ihrer eigenen Komfortzone heraus. Suchen die einen nach „Zeichen“, die für Gott stehen und in denen Gott erkennbar ist, so wie es einst bei den Propheten oder den großen Rettungstaten Gottes, ist der Gekreuzigte für sie Zeichen der Provokation. In ihm den Messias, den Sohn des Höchsten zu entdecken, erfordert genaues Hinsehen und ein Zutrauen darin, dass Gott in der Geschichte immer wieder ungewöhnliche Wege geht oder sich auf ungedachte Weise zeigt. So wie Elija am Gottesberg, als Gott nicht im Sturm, Erdbeben oder Feuer, sondern im Säuseln erscheint (1. Buch der Könige 19,11-13). Der Suche nach Zeichen steht auf Seite der Griechen die Suche nach Weisheit gegenüber und damit nach etwas, was intellektuell zu durchdringen und zu begründen ist. Ein Gott, der Mensch wird und dann schwach am Kreuz endet, ist weder einfach zu verstehen, noch logisch begründbar. Und dennoch haben Juden wie Griechen zum Glauben an diesen Gekreuzigten gefunden. Ja, es ist sogar der Glaube an das Schwache und Törichte, der aus diesen beiden so unterschiedlichen Gruppen eine Gemeinschaft formte. Sie sind „Berufene“, weil sie sich auf das neue, ungewohnte und zunächst nicht plausible Denkmuster eingelassen haben. Sie sind „Berufene“, weil sie sich nun an Gottes Maßstäben orientieren. 
Die Botschaft vom Kreuz mit ihrer ganz anderen Logik Gottes ist der Eckpfeiler der Gemeinde, das Bekenntnis, von dem alles abhängt. Aber sie ist auch das Verbindungszeichen einer Gemeinschaft, die aus sehr verschiedenen Denkmustern und Prägungen zusammenkommt und die es schafft, sich durch das Undenkbare zu ganz neuen Maßstäben und einem neuen Miteinander motivieren zu lassen.

Kunst etc.

Im Altarraum der Kirche der Versöhnung in Taizé steht ein Kreuz, dessen vier Ecken zu einem Herz zusammenlaufen. Im Kreuz das Zeichen der Liebe Gottes zu entdecken scheint töricht und ist dennoch der Schritt, sich auf neue Perspektiven einzulassen.