Paulus entwirft ein neues Bild für die Gemeinde.
1. Verortung im Brief
In den Kapiteln 12-14 im 1. Korintherbrief (1 Kor) widmet sich der Apostel Paulus sehr ausführlich den Geistesgaben. Dabei geht es sowohl um deren Ursprung aus dem einen Geist (1 Kor 12,4-11), als auch um deren Zuordnung zueinander im Bild vom Leib und den Gliedern (1 Kor 12,12-31). Über allen Geistesgaben und deren „Nutzung“ steht jedoch der Weg der Liebe (1 Kor 13,1-13). Danach widmet sich Paulus im Kapitel 14 einigen Gaben ausführlich (1 Kor 14,1-25) und beschreibt, wie diese im Gemeindegottesdienst zum Einsatz kommen (1 Kor 12,26-40). Insgesamt ist das Miteinander in der Gemeinde eines der zentralen Themen des Briefes. Ein weiteres ist die Treue zu der Verkündigung des Evangeliums durch Paulus. Der Apostel versucht, eine Eigendynamik der Gemeinde, die sich durch andere Ausleger des Evangeliums eingeschlichen hat, zu bremsen.
2. Aufbau
Der Abschnitt wird eingeleitet durch die Einführung des Bildes vom Leib und den vielen Gliedern (Verse 12-13). Der Hauptteil wendet den Vergleich mit dem Leib und den Gliedern auf die Gemeinschaft der Getauften hin an (Verse 14-27). Die abschließenden Verse (Verse 28-31) wenden den Blick zu den Gaben und Diensten, die Gott im Hinblick auf die Gemeinde verleiht.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 12-13: Das Bild von der Gemeinde als Leib Christi muss der Gemeinde schon bekannt gewesen sein, denn es wird ohne große Erklärung eingeführt. Der Leib ist dabei das Bild für die bestehende Gemeinde, in die ein Getaufter eingegliedert wird und in der bestehende Gegensätze der antiken Gesellschaft überwunden sind (Vgl. Galaterbrief 3,26-29).
Verse 14-27: Paulus greift mit dem Bild vom Leib und den vielen Gliedern auf ein Gleichnis zurück, dass in der Gemeinde bekannt gewesen ist. Es bezieht sich u.a. zurück auf einen Bürger der römischen Oberschicht, Menenius Agrippa, der 494 v. Chr. versuchte mit diesem Gleichnis den Aufruhr der einfachen Stadtbevölkerung zu beruhigen.
Paulus formuliert in den Versen 14-27 sein zentrales Anliegen in zwei Argumentationslinien aus. Ziel ist, dass jedes Glied, jeder Getaufte sich als ein Teil am Leib Christi, ein wichtiger Bestandteil der Gemeinde hin begreift. Dabei gibt es vielleicht eine scheinbare funktionale Überlegenheit mancher Körperteil oder Organe (Hand, Auge), aber dies ändert nichts an der Zuordnung der Glieder zu einander und der gegenseitigen Verwiesenheit. Gleichzeitig kann ein Leib nicht im Streit mit sich selbst oder einzelnen Teilen seines Aufbaus sein, sondern ein Körperteil muss für das andere sorgen, damit der Leib als Ganzer funktionstüchtig bleibt.
Verse 28-31: Im abschließenden Abschnitt blickt Paulus auf Funktionen (nicht Ämter), die sich in der frühen Kirche herausgebildet haben. Da die missionarische Tätigkeit der Apostel immer gemeindeübergreifend und damit überregional war, weitet sich der Begriff der Kirche hier über das Bild der einen Gemeinde hinaus. Apostel, Lehrer und Propheten tragen je auf ihre Weise zur Verbreitung des Evangeliums bei und zum Aufbau des Leibes Christi. Sind die Apostel missionarisch unterwegs, sind Lehrer und Propheten die Größen, die der Gemeinde vor Ort Gestalt und Ordnung geben.
Die folgende Auflistung von Geistesgaben erinnert an die Aufzählung zu Anfang des Kapitels, wobei auch hier die Zungenrede sicher bewusst als letzte genannt wird. Die Auflistung der Funktionen und der Gaben macht zum einen deutlich, dass Apostel, Lehrer und Propheten weitere Ausprägungen der Geistesgaben sind, aber den anderen nicht qualitativ überlegen. Zum anderen wird durch die Leitungsfunktionen eine gewisse Ordnung in den vielgestaltigen Leib hineingetragen, ohne die die Gemeinde sich zu sehr auf einzelne Gaben fokussieren könnte. Hier versucht Paulus sehr versteckt und dennoch deutlich die Gemeinde mit ihrer Tendenz zur Überhöhung der ekstatischen Gaben wie Zungenrede und Exorzismen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen.
Vers 31: Was Kriterium für die höheren Gnadengaben ist, hatte Paulus bereits im 1. Korintherbrief (1 Kor) 12,7 benannt. Die Gaben werden geschenkt, damit sie für alle zum Nutzen werden. Dieses Kriterium betont er nun indirekt wieder, wenn er auffordert nach den höheren Gnadengaben zu streben.