Zwischen den Zeilen lesen. Was wenige Worte eines Briefes über den Absender und die Adressaten verraten.
1. Verortung im Brief
Mit dem Abschnitt befinden wir uns in dem „Vorschreiben“ (von der lateinischen Bezeichnung „Präskript“) oder man könnte sagen dem „Anschreiben“ des 1. Korintherbriefes (1 Kor). Der Apostel Paulus folgt bei der Abfassung seiner Schreiben zumeist klar dem Aufbau antiker Briefe. Dort folgt auf das „Präskript“, mit Absender, Adressat und Gruß, das „Proömium“, das noch einmal eine Vorrede darstellt und zum Hauptteil überleitet. Der Hauptteil, „Briefkorpus“, enthält Mitteilungen und Anliegen des Schreibens. Es folgt der „Briefschluss“ mit persönlichen Grüßen und Wünschen. Die Verse 1-3 bilden das Präskript des 1. Korintherbriefes.
2. Aufbau
Dem klassischen Aufbau folgend nennt Vers 1 den Absender und Vers 2 die Adressaten des Briefes. Vers 3 enthält den christlichen Gruß. Es bleibt aber nicht bei einer Kurzformel (Paulus den Korinthern zum Gruß), sondern der Apostel nutzt bereits den formal vorgegebenen Anfang als Möglichkeit, die Gemeinde theologisch zu stärken und die Situation der Gemeinde in den Blick zu nehmen.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Die sehr betonte Selbstbeschreibung des Paulus als „durch Gottes Willen berufener Apostel Christi Jesu“ macht deutlich, dass Paulus seine Stellung und Autorität im Dialog mit den Korinthern in die Waagschale werfen will. Diese betonte Form findet sich immer dort, wo der Briefinhalt einige Diskussionspotential enthält, so auch im 2. Korintherbrief und im Galaterbrief, oder da, wo Paulus der Gemeinde fremd ist (Römerbrief). In den übrigen Briefen 1. Thessalonicherbrief, Philipperbrief und Philemonbrief kann Paulus auf eine solche Autoritätsgeste verzichten.
Als Mitabsender wird Sosthenes genannt, der als „Bruder“ bezeichnet wird und daher der Gemeinde gegenüber nicht als Autorität, sondern als Bekannter schreibt. Wahrscheinlich ist der Genannte identisch mit dem Synagogenvorsteher Sosthenes aus Apostelgeschichte 18,17.
Vers 2: Paulus packt in seine Adressatenangabe eine ganze Reihe von Formulierungen hinein, die das gemeindliche Selbstverständnis der Korinther und das Verständnis der gesamten christlichen Gemeinde betreffen. So könnte man fast von einer kleinen ekklesiologischen, d.h. das Gemeindeverständnis betreffenden Abhandlung sprechen.
Mit „Kirche Gottes, die in Korinth ist“ zeigt Paulus, dass Kirche (ekklesia, griechisch: ἐκκλησία, Volksversammlung, christlich: Gemeinschaft der von Gott Gerufenen) für ihn vor Ort real und greifbar wird. Die Gemeinde von Korinth ist Kirche, weil sie an ihrem Ort, Gottes Wirklichkeit lebendig werden lässt. Eine Verhältnisbestimmung im Sinne von Ortsgemeinde und Gesamtkirche kennt Paulus nicht.
Die Formulierung „Geheiligte in Christus Jesus“ ergänzt die Umschreibung als Kirche Gottes. Denn zu dieser gehört man, indem man an Jesus Christus glaubt. Das Bekenntnis zu ihm als dem Gekreuzigten eröffnet den Weg in die Heilsgemeinde Gottes.
„Berufen als Heilige“ umschreibt die Wirklichkeit der Gemeindemitglieder als von Gott Gerufene und zu einem Leben in Heiligkeit Berufenen. Berufen sind sie wie Paulus selbst auch, wenn auch nicht als Apostel, sondern als Heilige. Denn dies sind sie durch die Taufe (vgl. 1 Kor 6,11).
Die abschließende komplizierte Zuschreibung „mit allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus überall anrufen, bei ihnen und bei uns“ weitet die Perspektive von der Gemeinde in Korinth hin zu anderen Gemeinden. Allen Gemeinden ist das Anrufen des Namens „unseres Herrn Jesus Christus“ gemeinsam. Gemeint ist die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Christen einerseits und das öffentliche Christus-Bekenntnis andererseits. Dies verbindet über alle Unterschiede hinweg, die Kirchen Gottes.
Vers 3: Der Gruß zum Abschluss des Präskripts ist knapp gehalten. Gnade und Friede entsprechen der christlichen Gemeindesprache. Sie sind einerseits Zeichen des Heils, das Gott schenkt, andererseits sollen sie im Leben der Gemeinde bereits Realität werden.