Die Auferweckung Jesu von den Toten verändert das Leben derer, die daran glauben können. Das ist die Grundthese, die der Verfasser des Kolosserbriefes sowohl als Zusage wie auch als Aufforderung entfaltet.
Einordnung der Lesung in den Kolosserbrief
Der Verfasser
Dass der Verfasser des Kolosserbriefes unter dem Namen des Apostels Paulus schreibt, gehört zum antiken Gebrauch, dass ein Autor sich ganz in den Schatten eines größeren und bekannteren Vorgängers stellt. Dies soll anzeigen, in wessen Spuren er sich bewegt; es verleiht dem Schreiben auch eine größere Autorität.
Die Philosophie, gegen die der Brief sich wendet
Der Brief des uns namentlich also unbekannten Schreibers richtet sich an eine Gemeinde in der heutigen südlichen Türkei: Kolossä (griechisch: Kolossai) in der römischen Provinz Phrygien. Als durchaus bedeutende Stadt hatte sie offensichtlich Kontakt mit Philosophien der damaligen Zeit (d. h. um das Jahr 70 n. Chr.), die die Menschen in gewisser Weise auch „verrückt“ machten. Das Leben scheint beherrscht zu werden von einer Lehre von den „Elementen“ (Kolosser 2,8), aus der man ableitete, was man wann tun darf und mit welchen Dingen der Kontakt besser zu meiden ist. Askese zur Überwindung der Materie und als Zugang zu einer rein geistigen Welt ("Aether") hieß wohl die Parole, für die z. B. die Namen Pythagoras und Empedokles stehen.
Gerade einer so stark das Alltagsleben einengenden und die Menschen fesselnden Lehre gegenüber will der Kolosserbrief Freiheit, Aufatmen, nicht an Äußerlichkeiten sich festmachendes Leben verkünden. Genau in diesen Zusammenhang ordnet sich der kurze Lesungsabschnitt des Ostersonntags ein.
Kol 3,1-4 als "Verbindungstext" und die Absicht der Verse
Die vier Verse greifen einerseits den schon in Kapitel 2 vorgestellten Gedanken auf, dass die Taufe mit dem auferweckten Christus verbindet, und leiten zugleich über zu dem ab Vers 5 folgenden Teil, der ganz konkrete ethische Handlungsanweisungen formuliert. Sie haben nichts mehr mit Kalenderfragen oder asketisch orientierten „Kontaktverboten“ zu tun, sondern ausschließlich mit dem zwischenmenschlichen Verhalten.
Der Kolosserbrief betont das spannungsvolle Dasein des Christen zwischen dem, was schon ist, und dem, was nach dem Tod auf den Menschen wartet. Einfach gesagt: Die Taufe verbindet zwar mit dem gekreuzigten und aus dem Tode erweckten Christus, der bereits beim Vater („im Himmel“) ist, aber sie versetzt eben noch nicht „in den Himmel“. Was im Tode geschieht, lässt sich nicht vorwegnehmen. Aus der Hoffnung, dass es nach dem Tod aber eine dauernde Gemeinschaft mit Christus gibt, ist das Leben hier auf Erden zu gestalten. – ohne Scheu vor der Materie.
Vers 1-2: Nach "oben" streben
Das Stichwort „oben“ ist mit Sehnsucht verbunden; damit, dass wir von Gott erwartet werden und etwas von ihm erwarten dürfen (vgl. Bitten des Vaterunser); mit Horizontweitung über alle irdische Schwere und Begrenzung hinaus; also letztlich mit Freiheit. Das ist zwar dieselbe Richtung wie der Blick der Philosophie, die Kolossä beherrschte: der „Aether“ als oberste Sphäre, in den man unter Überwindung der „Elemente“, also alles Irdischen und Materiellen, gelangen will. Aber dieser Blick war von der ängstlichen Frage nach Gesetzmäßigkeit bestimmt ist, wann jemand was wann und wie zu tun hat. Die Ausrichtung des Getauften nach „oben“ ist hingegen getragen von großer Angstfreiheit, die nicht im eigenen Mut gründet, sondern in dem Glauben, dass ein Anderer (Christus) vollenden wird, was der Mensch hier anfanghaft tut. Das ist jedenfalls das Ideal des Briefschreibers.
Zu solcher Anders-Orientierung ruft der Kolosserbrief gleich zweimal auf (in Vers 1 und 2), weil - wie so oft - Ideal und Wirklichkeit auseinanderklaffen; weil die Ausrichtung auf das Irdische, auf das sofort Erledigbare oder das, was Gewinn auf Kosten anderer bringt, erst einmal näher liegen. Eine Form der Ausrichtung auf das Irdische bedeutete im Letzten auch die kolossäische Philosophie. Denn die Forderung nach Totalaskese klingt zwar sehr fromm, ist aber letztlich eine allein auf den Menschen setzende Selbsterlösungslehre, für den die Erde eine Qual ist. Diese Lehre führt für den Kolosserbrief zu zerstörerischen Grundhaltungen: „Zorn, Wut, Bosheit, schmutzige Rede“ (Kol 3,5.8). Ihnen stehen als Haltungen gegenüber, die dem Blick nach „oben“ entspringen:– also einem Blick, der nicht alles von sich selbst erwartet und Selbsterlösung ausschließt: „Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld“ (Kol 3,12). Hier geht es nicht um Automatismen und Zwangsläufigkeiten, aber darum, dass Grundentscheidungen, die man im Leben für sich fällen muss, oft Konsequenzen für das gelingende oder weniger gelingende Miteinander haben.
Vers 3: Verborgenheit
Vers 3 liefert die innere Begründung für die Ausrichtung nach „oben“: Ganz im Sinne des Paulus (vgl. die Auslegung zur 8. Lesung der Osternacht: Römer 6) deutet der Kolosserbrief die Taufe als Sterben und Auferweckt-Werden mit Christus. Wer aber mit Christus verbunden ist, wird sich auch dorthin ausrichten, wo Christus ist: Dafür lauten die biblischen Umschreibungen: „beim Vater“, „im Himmel“, „oben“, "Thron Gottes". Das „Oben“ ist also nicht örtlich, sondern vor allem personal bestimmt: Gott selbst. Von ihm her kommt das Leben, wird es bewahrt und von ihm wird es vollendet, wie es in Jesus durch dessen Auferweckung schon vollendet worden ist. Dass damit das Entscheidende, die Vorwegnahme des endgültigen Lebens, in Christus geschehen ist, obwohl äußerlich beim Menschen noch alles im Vorläufigen und Begrenzten sich abspielt, meint die Rede von der „Verborgenheit“. Sie ist nur zu verstehen als „Geheimnis des Glaubens“.
Vers 4: Schon und noch nicht
Der Zustand zwischen „schon“ (an der Auferweckung Jesu teilhabend) und „noch nicht (endgültig mit ihm verbunden sein)" ist für jede und jeden, der glaubt, ein vorläufiger. Das Geheimnis Gottes und seiner Verborgenheit wird sich in reines Schauen wandeln, wenn der Mensch im Tode seinem Schöpfer und Erlöser begegnet; wenn Gott mit offenen Armen dem nach „oben“ Strebenden aus der Verborgenheit entgegentritt und darin den Menschen zugleich auch ganz zu sich selbst bringen wird. Das wird „herrlich“!