Passend zum Dreifaltigkeitssonntag ist diese Lesung ausgesucht worden, denn sie ermöglicht es, mit PaulusTrinität1 nicht als hochabstrakte theologische Spekulation, sondern als lebensrelevante Rede von Gott zu verstehen:
Als anrufbarer "Vater" erweist sich Gott als vertrauenswürdiges, dem Menschen gegenüberstehendes DU, der als solches etwas zu geben hat. Dieses "Geben" bzw. die "Gabe" kleidet Paulus in die Rechtsfigur des "Erbes". Dahinter verbirgt sich die durch keinen Menschen zu tätigende Schöpfungs-und Rettungsaussage: "Du, wer immer du bist, sollst und darfst sein, angstfrei - auch im Schlimmsten -, und von keinem Ende der Zeiten bedroht". Diese Zusage hat fleischliche Gestalt angenommen in Jesus Christus als menschlicher Ausdruck von Gottes liebender Zugewandheit und Rettermacht aus Schuld- und Todeszusammenhängen. Das ist Gott "Sohn". Und was sich zwischen "Vater" und "Sohn" ereignet, ist nicht exklusiv, sondern in dieses engstmögliche "Kind"-Verhältnis sind alle hineingenommen, die es möchten und sich auf diesen Gott einlassen können. Deshalb sind sie Träger desselben Heiligen "Geistes", der "Vater" und "Sohn" eint. Und deshalb sagen der eine "Sohn" wie auch seine "Gotteskind-Geschwister": "Abba - Vater!"
Kurze Einordnung der Lesung (ausführlicher unter "Auslegung")
Die Lektüre des 8. Kapitels des Römersbriefs hat ihren liturgischen Ort eigentlich vom 14. bis zum 19. Sonntag im Jahreskreis des Lesesjahres A. Einzig die Verse 12-17 sind an diesen Sonntagen ausgelassen, um sie unter Wegfall der Verse 12-13 für den heutigen Dreifaltigkeitssonntag zu reservieren. So wird im Hören beim Gottesdienst natürlich nicht erkennbar, dass dieser Abschnitt den Abschluss einer Gedankenführung bildet, der Paulus das ganze Kapitel 8 beschäftigt, letztlich sogar mit Kapitel 6 des Römerbriefs beginnt.
Besonders das 8. Kapitel baut insgesamt auf dem Gegensatz zwischen einem Leben "im Fleisch" und einem Leben "im Geist" auf (vgl. Röm 8,5; die Einheitsübersetzung übersetzt mit bereits eingetragener Deutung "vom Fleisch bestimmt" und "vom Geist bestimmt" und verlässt damit die im Griechischen mitklingende räumliche Vorstellung des Fleisches und des Geistes als "Sphären", in denen man sich bewegt). Mit "im Fleisch" ist ein Lebensentwurf gemeint, der sich in purer Form auf das Ich, die eigenen und die innerweltlichen Möglichkeiten stützt und nur daran Maß nimmt; mit "im Geist" ist die Prägung von den je größeren, Mensch und Weltlogik überschreitenden Möglichkeiten Gottes gemeint, die in Jesus anschaulich geworden sind, von denen aber auch schon das Alte Testament kündet.
Die heutige Lesung nimmt aus der Gegenüberstellung nur den "positiven" Teil ("im Geist leben") auf, während die Abgrenzungsfolie ("im Fleisch leben"), von der ausdrücklich in den Versen 12-13 die Rede ist, außen vor gelassen wird.
Vers 14
Denen, die sich vom Geist Gottes zu heilvollem Handeln inspirieren lassen - man könnte sagen: zu einem Handeln, das nicht zuerst fragt "Was habe ich davon?", sondern das zuerst fragt: "Will ich dem Anderen wohl und wird es ihm guttun?" -, erhalten einen Würdetitel: "Kinder Gottes". Nicht Kleinheit und Unmündigkeit sind hier gemeint, sondern vertraute Nähe und erwachsen gewordene Beziehung. Zu Recht übersetzt die neue Einheitsübersetzung an dieser Stelle "Kinder Gottes" statt "Söhne Gottes" (griechisch: hyoì theoũ), da weder eine Geschlechterbevorzugung noch gar eine Exklusivität gemeint ist, wie besonders die gleichermaßen und unterschiedslos Frauen wie Männer umfassende Grußliste Römer 16,3-13 ausweist! Anders als bei "Kind" ist allerdings beim biblischen "Sohnes"-Begriff immer klar, dass es sich um den selbstverantwortlichen, erwachsen gewordenen Nachkommen handelt und nicht um ein Kleinkind.
Der Würdetitel "Gotteskinder" beugt Missverständnissen oder Vorwürfen vor, die "Fremdbestimmtheit" durch Gottes Geist sei eher eine Art Versklavung.
Vers 15
Das verdeutlicht Vers 15 auf doppelte Weise: Ausdrücklich betont er, dass in dem gemeinten Verhältnis zwischen Mensch und Gott kein Platz für "Furcht" ist. Angstfreiheit - was für eine Botschaft in heutiger Zeit, in der soviele Beziehungen von Gewalt überschattet sind, Abhängigkeiten ausgenutzt werden und bis in die Kirche hinein traumatische Mileus aufgebaut wurden und werden!
Diese Angstfreiheit drückt sich in der Gebetsanrede "Abba" aus, die die Übernahme genau der Vokabel für die Ansprache Gottes bedeutet, die auch von Jesus bezeugt ist - und zwar besonders dann, als er seinen himmlischen Vater am nötigsten hatte: "Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst" (Markus 14,36 beim Gebet Jesu im Garten Getsemane vor seiner Gefangennahme und Kreuzigung).
Vers 16
Würdetitel verleiht man sich nicht selbst. Sonst zeugen sie nicht von Würde, sondern von Selbstüberschätzung. Paulus hat vermutlich nicht zuletzt sich selbst im Blick, der bei allem Selbstbewusstsein sich immer wieder auch als einen zerrissenen Menschen wahrnimmt. Der bekannte, aber nie wirklich entschlüsselte "Stachel im Fleisch", den er in sich trägt und spürt, ist ein sprechendes Symbol dafür (vgl. 2 Korinther 12,7: "Damit ich mich wegen der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe."). Er kennt vermutlich auch die Erfahrung, vor dem Spiegel zu stehen und sich selbst nicht zu genügen oder zu meinen, Gott nicht genügen zu können (vgl. das Spiegel-Bild in 1 Korinther 13,12: "Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse ... Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk ..."). Er weiß um die menschlichen Momente der Verzagtheit und des Aufgeben-Wollens. Dagegen setzt er den Dialog zwischen dem "Geist" des Menschen, der eher sich verstecken, davonlaufen oder ausweichen möchte, und dem "Geist" Gottes, diese von außen den Menschen wie ein Impuls erfassende Kraft, die gegen alle Gegenrede festhält: "Du, Mensch, bist mein geliebtes Kind. Vertraue mir und lebe daraus!"
Vers 17
Abgeschlossen wird der Gedanke mit einem sogenannten "Kettenschluss", bei dem ein Teilsatz ein Stichwort des vorangehenden Teilsatzes aufgreift, um es um ein neues Wort zu ergänzen. Im konkreten Fall führt die "Kette" vom "Kind" (diesmal wählt das Griechische tatsächlich nicht den "Sohnes"-Begriff, sondern das Pluralwort tékna "Kinder") zum "Erben"; der "Erbe" wird näher definiert als "Erbe Gottes", der damit auf die gleiche Stufe rückt wie Jesus, der ebenfalls "Erbe" seines Vaters ist (Träger seines Geistes und seiner verlebendigenden, aus dem Tode erweckenden Kraft). Insofern sind die Getauften und Glaubenden "Miterben Christi". Was das bedeutet, wird schließlich noch einmal in zwei Richtungen entfaltet: Als nach wie vor "im Fleische" und d. h. unter den Bedingungen unserer Natur und dieser Welt lebende Menschen haben wir auch die "Leiden der gegenwärtigen Zeit" zu ertragen (von denen im Folgetext ab Römer 8,15 ausführlich die Rede ist). Die augenblickliche Coronazeit gibt davon Zeugnis.
Der Gotteskindschaftsstatus ist ein verborgener, der seine Strahlkraft erst entfalten wird, wenn die irdischen Augen sich geschlossen haben ("verherrlicht werden"). Bis dahin ist er "nur" eine ein von Gott her gültige Zusage, die, wenn man ihr zu glauben und zu vertrauen vermag, auch und gerade unter den Bedingungen des "Leidens" Kraft zu einem immer noch liebevollen Durchstehen dieser Situation zu geben vermag - im Blick auf den "Gottesohn", dem auch das Leiden nicht erspart blieb und der immer noch ein trostvolles Wort selbst für den neben ihn hängenden Verbrecher hatte: "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." (Lukas 23,43) bzw. ein liebend-vergebendes Wort für seine Henker: "Jesus aber betete: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! " (Lukas 23,34).