Lesejahr A: 2022/2023

2. Lesung (Kol 3,12-21)

12Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld!

13Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!

14Vor allem bekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist!

15Und der Friede Christi triumphiere in euren Herzen. Dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!

16Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. In aller Weisheit belehrt und ermahnt einander! Singt Gott Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder in Dankbarkeit in euren Herzen!

17Alles, was ihr in Wort oder Werk tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Dankt Gott, dem Vater, durch ihn!

18Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt!

19Ihr Männer, liebt die Frauen und seid nicht erbittert gegen sie!

20Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem, denn das ist dem Herrn wohlgefällig!

21Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden!

Überblick

Liebe, Vergebung, Dankbarkeit und Friede - das sind für den Kolosserbrief die entscheidenden Zutaten, damit Zusammenleben aus christlichem Geist gelingen kann. Das gilt in der Familie ebenso wie in allen größeren sozialen Gemeinschaften.

 

Einordnung des Lesungsabschnitts in den Kolosserbrief

Der Kolosserbrief (zur Einleitung in den Kolosserbrief s. unter Überblick am 15. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr C) bewegt sich im Wesentlichen auf zwei Ebenen: einer philosophisch-theologischen und einer christlich-lebenspraktischen. Zwei Verse zeigen dies deutlich an:

Kolosser 2,8 setzt nach einer langen Briefeinleitung folgendermaßen an:

"Gebt Acht, dass euch niemand mit seiner Philosophie und leerem Trug einfängt, die sich nur auf menschliche Überlieferung stützen und sich auf die Elementarmächte der Welt berufen, nicht auf Christus!"

Nachdem der Brief die entsprechende Argumentation abgeschlossen hat, die zum Verständnis der Sonntagslesung nicht behandelt werden muss, heißt es in Kol 3,1:

"Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so strebt nach dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt!"

Das "Streben nach oben" meint nichts anderes als eine Ausrichtung des Lebens auf Christus hin, von dem man durch das Todesbad der Taufe hindurch in ein neues Leben auferweckt  worden ist. Diesen Existenzwechsel bezeichnet der usrprüngliche Taufritus, mit dem man als "alter" Mensch in das im Boden eingelasseneTaufbecken einstieg und untertauchte (ein Sterbesymbol), um dann als "neuer", von Jesus Christus geprägter Mensch aufzutauchen und aus dem Becken herauszukommen (ein Symbol der Auferweckung in ein neues Leben, das eben nicht erst nach dem Tode beginnt). 

Was in der Taufe rituell geschieht, soll aber im Alltagsleben Wirklichkeit werden und für andere ablesbar sein. Dazu entwickelt der Kolosserbrief  zunächst eine Art christliche Tugendlehre. Dabei beginnt er mit einer Auflistung von Verhaltensweisen, die man ablegen und meiden soll wie Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung,schmutzige Rede und Lüge (Kol 3,8-10), um dann zu positven Verhaltensweisen zu kommen.

 

Der Lesungstext

Hier genau setzt die Zweite Lesung zum Fest der Heiligen Familie ein. Der Auflistung der zu unterlassenden Verhaltensweisen steht ab Vers 12 (bis Vers 14) ein positver Forderungskatalog gegenüber: "inniges Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld, Vergebung, Liebe, Friede". Dabei kann die "Liebe" als das alles andere zusammenfassende Zentralgebot verstanden werden.

Die Verse 15-17 setzen im Grunde die positiven Forderungen fort, kleiden sie aber eher in einen Gebetswunsch und unterlegen den "Forderungskatalog" mit einem tieferen Grund: "Dankbarkeit" (Vers 15: "Seid dankbar!"; Vers 17: "Dankt Gott ..."). Der gesamte Tugendkatalog soll letztlich aus einer Haltung ins Leben umgesetzt werden, dass die in der Taufe vollzogene Anbindung an Christus eine tiefe innere Angstfreiheit um das eigene Leben bewirkt. "Friede Christi" ist das entsprechende Stichwort in Vers 15. Aus ihm heraus sind Vegebung und liebende Zuwendung möglich. Aus ihm heraus verliert die Unterweisung Anderer den Beigeschmack, sich selbst als besser darstellen zu müssen. Sie kann "in Weisheit" geschehen (Vers 16). Der lebenspraktischen Seite solcher Form von Dankbarkeit entspricht aber auch eine Ebene der "Reflexion", wo die Dinge ins Wort gefasst werden. Dies nennt der Glaube "Gebet". Die Reflexion geschieht im Hinblick auf den, dem man alles verdankt.

Was die eingeforderten Tugenden in ganz konkreten Lebenszusammenhängen bedeuten, das entfalten wiederum die Verse 18-21 - eine sogenannte "Haustafel", die allerdings im ausgewählten Lesungsabschnitt nur verkürzt  ohne die Verse Kol 3,22 - 4,1 wiedergegeben wird. "Haustafel" meint so etwas wie eine Familienordnung, wobei zur "Familie" in biblischer Zeit auch die Sklaven gehörten. Diese waren nicht etwa "Sachobjekte", sondern ordentliche Familienmitglieder, die sicherlich ihre - auch sehr schwere - Arbeit zu verrichten hatten, aber auch Anspruch auf Wahrung festgelegter Rechte und Sicherung ihrer Lebensbedürfnisse hatten (vgl. dazu besonders den Vers Kol 4,1, der sich an die "Herren" werndet"). Dass Ideal und Wirklichkeit immer wieder auch auseinanderklafften, ist keine Frage. Andererseits war es gerade ein Alleinstellungsmerkmal der frühen christlichen Gemeinden, dass Sklaven vollwertige Mitglieder waren. Das wird daran deutlich, dass innerhalb der Haustafel Frauen, Kinder, Sklaven und Herren in derselben Art und Weise angesprochen werden, auch wenn es in den inhaltlichen Forderungen Unterschiede gibt. Nicht zufällig verwendet sich Paulus im Philemonbrief für einen Sklaven namens Onesimus, dass dieser auch wirklich von seinem Herrn und in der Gemeinde als geliebter christlicher Bruder behandelt und gewertschätzt wird (zur Auslegung des gesamten Philemonbriefes s. unter "Bibellektüre").

Auslegung

Der christliche "Anzug" (Verse 12-13)

"Zieht an" - hinter dieser ersten Aufforderung steckt das Bild des sich Bekleidens. Es ist prinzipiell schon aus dem Alten Testament bekannt, wenn die Bitte, dass Gott seine Stärke zur Rettung des Volkes Israel erweisen soll, in die Worte gebracht wird: "Bekleide dich mit Macht, Arm des HERRN" (Jesaja 51,9), oder im Wortlaut eines Kirchenliedtextes: "Zieh an die Macht, du Arm des Herrn". Dies meint: Gott möge seine Wirkmacht, für die der Arm steht, wie einen Ärmel überstreifen. Es wäre ein Missverständnis, zu meinen, es gehe damit um etwas Äußerliches. Vielmehr geht es darum, dass etwas Wesentliches (Macht, Stärke, Fähigkeit zur Hilfe) sichtbar und damit erfahrbar wird.

Paulus nutzt dieses Bild des sich Bekleidens im Blick auf die Taufe:

"Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen" (Galater 3,27).

Auch hier soll gesagt werden: Taufe ist nicht etwas Äußerliches; sondern etwas Wesentliches - die Prägung durch Christus - soll sichtbar werden im Erscheinungsbild des Getauften - wie ein Kleid. Auf diese Vorstellung greift der Kolosserbrief zurück, der vermutlich nach Paulus durch einen uns unbekannten Autor geschrieben wurde, der die Paulusbriefe - übrigens ganz besonders den unter "Überblick" genannten Philemonbrief - sehr genau gelesen hat. Er verbindet das paulinische Bild der Bekleidung mit der anderen Feststellung des Paulus, dass das ganze Gesetz im Liebesgebot zusammengefasst sei (Galater 5,14). Einen großen Teil der konkreten Tugenden findet sich übrigens auch bereits im sogenannten Hohelied der Liebe in 1 Korinther 13 (s. Kontexte) und in Galater 5,21.

Die eigentliche Mahnung des Kolosserbriefes lautet also. All ihr Getauften, lasst Euer Getauftsein spürbar und sichtbar werden. An eurem Verhalten muss ablesbar sein, dass ihr Christus "angezogen" habt und zu ihm gehört.

 

Das "Band der Vollkommenheit" (Vers 14)

"Vollkommenheit" ist ein starkes Wort und führt schnell zur Entmutigung. Wer ist schon vollkommen? Doch es geht ja nicht einfach um eine Aufforderung zur Vollkommenheit. Vielmehr wird mit dem Begriff die "Leistungsfähigkeit" der Liebe an und für sich beschrieben. Gemeint ist also: Besser als im Begriff der Liebe, die prinzipiell am Wohl des Anderen Maß nimmt und nicht an den eigenen Ansprüchen, lässt sich nicht zusammenfassen, was eine Lebensgemeinschaft wirklich zusammenhalten kann. Alle anderen denkbaren "Bänder" - z. B. Gerechtigkeit, Gleichberechtigung usw. - haben nicht dieselbe Bindekraft und Umfassendheit. Da es hier um eine entschieden christliche Sicht geht, schließt die Vorstellung der "Liebe" auch eine Liebe bis zur Selbsthingabe ein, die in Jesus ihr Vorbild hat.

 

Die christliche Familienordnung (Verse 18-21)

Es ist sehr einfach, gerade diese Verse schnell abzutun mit ihrer Forderung an die Frauen, sich den Männern unterzuordnen, und an die Kinder, zu gehorchen. Das ist heute - jedenfalls in vielen westlichen Ländern - so nicht mehr vermittelbar und widerspricht völlig dem Lebensgefühl der Menschen.

Den Text so zu lesen heißt aber, ihn fundamentalistisch misszuverstehen. Schon im Überblick wurde festgehalten, dass die christliche Lebensordnung gegenüber der griechischen Ordnung, die den gesellschaftlichen Hintergrund des Kolosserbriefes bildet, einen gewaltigen Sprung in Richtung Gleichberechtigung bedeutet. Dass Männer, Frauen, Kinder und Sklaven als absolut gleichrangiges Gegenüber des Briefschreibers auftauchen, wäre in keiner griechischen Haustafel denkbar gewesen. Dass dieser Sprung nicht schon gleichzeitig das Herausspringen aus patriarchalischen Vorstellungen bedeutet, die wir gerade einmal im ausgehenden 20. Jahrhundert wirklich zu ändern begonnen haben, ist für das erste nachchristliche Jahrhundert nun wirklich nicht erwartbar oder es ist die Erwartung derjenigen, der zweitausend Jahre später alles besser wissen.

So gelesen steckt in der Haustafel des Kolosserbriefes eine große Sprengkraft für das vorbildliche Leben christlicher (Lebens)-Gemeinschaften. Stark zu machen sind die Forderungen, dass gerade die Männer zur Liebe aufgefordert werden, und die Väter zu einer Erziehung, die die Kinder nicht einschüchtert und entmutigt. Wo in der Kirche aus dem Getauftsein aller gegenseitig solche herzensgute, wohlmeindende und wertschätzende Zuwendung zwischen allen Geschlechtern, Generationen und sozialen Gruppen gelebt wird, könnte eine große missionarische Kraft entstehen.

Und so gelesen beschreibt das Fest der Heiligen Familie keine Idylle, sondern einen herausfordernden Auftrag.

Kunst etc.

Grabstein Vatikanische Museen (Agnete 19.10.2009), Wikimedia Commons
Grabstein Vatikanische Museen (Agnete 19.10.2009), Wikimedia Commons

Der römische Grabstein zeigt eine Kleinfamilie mit dem Elternpaar und ihrem Kind. Zumindest in der Darstellung strahlt die Konstellation etwas von dem aus, was die Lesung aus dem Kolosserbrief "Band der Vollkommenheit" nennt (Vers 14).

In  der Wirklichkeit ist Vollkommenheit kaum zu erreichen. Hier gilt eher, was die folgende Meditation zu dem unter "Kontext" wiedergegebenen "Hohelied der Liebe" (1 Korinther 13) festhält:

 

Die Liebe ist 
einfach und schlicht, 
verschwenderisch 
und voll Vergebung.

Die Liebe beginnt täglich neu. 
Sie endet nicht, 
sondern vermehrt sich, 
um in das Meer 
der Liebe Gottes 
einzumünden. 
Diese ist 
Quelle und Mündung 
in einem. 
Aus der Quelle strömt der Glaube, 
zur Mündung fließt die Hoffnung, 
und das Element, 
in dem sich beide bewegen, 
ist die 
Liebe.

Lass aus meinem Herzen 
deine Liebe strömen. 
Heute!

Die Liebe ist 
leise. 
Sie weiß nicht alles. 
Was immer sie 
weiß und glaubt - 
sie lässt dem anderen Raum 
für sein Wissen und seinen 
Glauben, 
für sein Nicht-Wissen und seinen 
Unglauben.

Die Liebe kann zuwarten 
und gibt nicht auf. 
Trauern, Klagen, Beten 
sind Formen der Liebe, 
die sich bewusst ist, 
stark und schwach zugleich 
zu sein.

Die Liebe will nicht. 
Sie lässt wachsen.

Kein Wort von Selbstliebe 
im Hohen Lied der Liebe. 
Und doch spricht es laufend von 
ihr: 
Wer seinen Leib dem Feuer 
übergeben möchte, 
liebt sich nicht. 
Der Prahler und Bläher, 
er liebt sich nicht und verdeckt 
was er an sich nicht mag. 
Wer zürnt und nachträgt, 
ist unversöhnt mit sich selbst. 
Wer am Unrecht Freude hat, 
 kann sich nicht lieben.

Liebe ist die Annahme des 
Fragments - 
meinerselbst und des anderen. 
Die Einfügung ins Ganze 
ist der Horizont der Liebe.

Liebe ist die Selbstbescheidung, 
Fragment zu sein.

Liebe ist Erkennen.

Erkennen ist nicht Vorwitz und 
Neugier, 
sondern die Suche nach tiefer 
Begegnung, 
das Aufspüren der Wege 
auf denen bereichernder Austausch 
möglich ist.

                                                                                                   Gunther Fleischer