Lesejahr A: 2022/2023

2. Lesung (Kol 3,1-4)

31Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so strebt nach dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt!

2Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische!

3Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott.

4Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit.

Überblick

Die Auferweckung Jesu von den Toten verändert das Leben derer, die daran glauben können. Das ist die Grundthese, die  der Verfasser des Kolosserbriefes sowohl als Zusage wie auch als Aufforderung entfaltet.

 

Einordnung der Lesung in den Kolosserbrief

Der Verfasser

Dass der Verfasser des Kolosserbriefes unter dem Namen des Apostels Paulus schreibt, gehört zum antiken Gebrauch, dass ein Autor sich ganz in den Schatten eines größeren und bekannteren Vorgängers stellt. Dies soll anzeigen, in wessen Spuren er sich bewegt; es verleiht dem Schreiben auch eine größere Autorität.

 

Die Philosophie, gegen die der Brief sich wendet

Der Brief des uns namentlich also unbekannten Schreibers richtet sich an eine Gemeinde in der heutigen südlichen Türkei: Kolossä (griechisch: Kolossai) in der römischen Provinz Phrygien. Als durchaus bedeutende Stadt hatte sie offensichtlich Kontakt mit Philosophien der damaligen Zeit (d. h. um das Jahr 70 n. Chr.), die die Menschen in gewisser Weise auch „verrückt“ machten. Das Leben scheint beherrscht zu werden von einer Lehre von den „Elementen“ (Kolosser 2,8), aus der man ableitete, was man wann tun darf und mit welchen Dingen der Kontakt besser zu meiden ist. Askese zur Überwindung der Materie und als Zugang zu einer rein geistigen Welt ("Aether") hieß wohl die Parole, für die z. B. die Namen Pythagoras und Empedokles stehen.

Gerade einer so stark das Alltagsleben einengenden und die Menschen fesselnden Lehre gegenüber will der Kolosserbrief Freiheit, Aufatmen, nicht an Äußerlichkeiten sich festmachendes Leben verkünden. Genau in diesen Zusammenhang ordnet sich der kurze Lesungsabschnitt des Ostersonntags ein.

 

Kol 3,1-4 als "Verbindungstext" und die Absicht der Verse

Die vier Verse greifen einerseits den schon in Kapitel 2 vorgestellten Gedanken auf, dass die Taufe mit dem auferweckten Christus verbindet, und leiten zugleich über zu dem ab Vers 5 folgenden Teil, der ganz konkrete ethische Handlungsanweisungen formuliert. Sie haben nichts mehr mit Kalenderfragen oder asketisch orientierten „Kontaktverboten“ zu tun, sondern ausschließlich mit dem zwischenmenschlichen Verhalten.

Der Kolosserbrief betont das spannungsvolle Dasein des Christen zwischen dem, was schon ist, und dem, was nach dem Tod auf den Menschen wartet. Einfach gesagt: Die Taufe verbindet zwar mit dem gekreuzigten und aus dem Tode erweckten Christus, der bereits beim Vater („im Himmel“) ist, aber sie versetzt eben noch nicht „in den Himmel“.  Was im Tode geschieht, lässt sich nicht vorwegnehmen. Aus der Hoffnung, dass es nach dem Tod aber eine dauernde Gemeinschaft mit Christus gibt, ist das Leben hier auf Erden zu gestalten. – ohne Scheu vor der Materie.

 

Vers 1-2: Nach "oben" streben

Das Stichwort „oben“ ist  mit Sehnsucht verbunden; damit, dass wir von Gott erwartet werden und etwas von ihm erwarten dürfen (vgl. Bitten des Vaterunser); mit Horizontweitung über alle irdische Schwere und Begrenzung hinaus; also letztlich mit Freiheit. Das ist zwar dieselbe Richtung wie der Blick der Philosophie, die Kolossä beherrschte: der „Aether“ als oberste Sphäre, in den man unter Überwindung der „Elemente“, also alles Irdischen und Materiellen, gelangen will. Aber dieser Blick war von der ängstlichen Frage nach Gesetzmäßigkeit bestimmt ist, wann jemand was wann und wie zu tun hat. Die Ausrichtung des Getauften nach „oben“  ist hingegen getragen von großer Angstfreiheit, die nicht im eigenen Mut gründet, sondern in dem Glauben, dass ein Anderer (Christus) vollenden wird, was der Mensch hier anfanghaft tut. Das ist jedenfalls das Ideal des Briefschreibers.

Zu solcher Anders-Orientierung ruft der Kolosserbrief gleich zweimal auf (in Vers 1 und 2), weil - wie so oft - Ideal und Wirklichkeit auseinanderklaffen; weil die Ausrichtung auf das Irdische, auf das sofort Erledigbare oder das, was Gewinn auf Kosten anderer bringt, erst einmal näher liegen. Eine Form der Ausrichtung auf das Irdische bedeutete im Letzten auch die kolossäische Philosophie. Denn die Forderung nach Totalaskese klingt zwar sehr fromm, ist aber letztlich eine allein auf den Menschen setzende Selbsterlösungslehre, für die die Erde eine Qual ist. Diese Lehre führt für den Kolosserbrief zu zerstörerischen Grundhaltungen: „Zorn, Wut, Bosheit, schmutzige Rede“ (Kol 3,5.8).  Ihnen stehen als Haltungen gegenüber, die dem Blick nach „oben“ entspringen:– also einem Blick, der nicht alles von sich selbst erwartet und Selbsterlösung ausschließt: „Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld“  (Kol 3,12). Hier geht es nicht um Automatismen und Zwangsläufigkeiten, aber darum, dass Grundentscheidungen, die man im Leben für sich fällen muss, oft Konsequenzen für das gelingende oder weniger gelingende Miteinander haben.

 

Vers 3: Verborgenheit

Vers 3 liefert die innere Begründung für die Ausrichtung nach „oben“: Ganz im Sinne des Paulus (vgl. die Auslegung zur 8. Lesung der Osternacht: Röm 6) deutet der Kolosserbiref die Taufe als Sterben und Auferweckt-Werden mit Christus. Wer aber mit Christus verbunden ist,  wird sich auch dorthin ausrichten, wo Christus ist: dafür lauten die biblischen Umschreibungen: „beim Vater“, „im Himmel“, „oben“, "Thron Gottes". Das „Oben“ ist also nicht örtlich, sondern vor allem personal bestimmt: Gott selbst. Von ihm her kommt das Leben, wird es bewahrt und von ihm wird es vollendet, wie es in Jesus durch dessen Auferweckung schon vollendet worden ist. Dass damit das Entscheidende, die Vorwegnahme des endgültigen Lebens, in Christus geschehen ist, obwohl äußerlich beim Menschen noch alles im Vorläufigen und Begrenzten sich abspielt, meint die Rede von der „Verborgenheit“. Sie ist nur zu verstehen als „Geheimnis des Glaubens“. 

 

Vers 4: Schon und noch nicht

Der Zustand zwischen „schon“ (an der Auferweckung Jesu teilhabend) und „noch nicht (endgültig mit ihm verbunden sein)" ist für jede und jeden, der glaubt, ein vorläufiger. Das Geheimnis Gottes und seiner Verborgenheit wird sich in reines Schauen wandeln, wenn der Mensch im Tode seinem Schöpfer und Erlöser begegnet; wenn Gott mit offenen Armen dem nach „oben“ Strebenden aus der Verborgenheit entgegentritt und darin den Menschen zugleich auch ganz zu sich selbst bringen wird. Das wird „herrlich“!

Auslegung

„Oben“ und „unten“ sind Spiegelungen dessen, was Tod und Auferweckung meinen: die irdische Welt, die begrenzt ist, am meisten durch die Grenze des Todes; und die Welt Gottes, die biblisch ganz gar mit „Leben in Fülle“, mit „Freude“, „Überfluss“ und grenzenloser Liebe verbunden ist. 

Oben“ und „unten sind nicht einfach „Erde“ und „Himmel“ im Sinne der wahrnehmbaren Räume unter den Wolken und über den Wolken, wo der russische Astronaut Gagarin Gott bekanntermaßen nicht gefunden hat.  Es geht darum, ob der Mensch nur an sich selbst glaubt oder an einen, der größer ist als er, der ihn geschaffen und zur ewigen Gemeinschaft mit sich bestimmt hat. „Oben“ und „unten“  meint, ob der Mensch (nicht nur als einzelner, sondern auch als Gattung) sich selbst als die letzte Grenze seines Handelns sieht, oder glauben kann, dass es ein ihn überschreitendes Gegenüber gibt: eben Gott, unendlich liebevoller, geduldiger, bejahender und auch mächtiger, alles Begrenzende wegzunehmen, selbst und vor allem den Tod.

Oben“ und „unten“ umschreiben also den Unterschied, wie ein Mensch sein Leben gestaltet und lebt, woraus er Sinn, Kraft und Halt bezieht und was er als sein Ziel ansieht. Das mit „oben“ verbundene Ziel, die dauernde und beglückende Gemeinschaft mit Gott, steht für jede und jeden bis zum Tode aus. Da lässt sich nichts vorwegnehmen und auch nichts abkürzen. Selbst die asketischsten Wege, die offensichtlich in Kolossä vorgeschlagen und praktiziert wurden, helfen da nicht. Im Gegenteil, sie machen mürrisch und übellaunig und vermiesen das Leben. Recht verstandenes Christsein, ein Leben aus dem Glauben an die Auferweckung, richtet auf, schenkt Gelassenheit und Souveränität – auch im Umgang mit allen Elementen, ohne die das irdische Leben nicht zu haben ist.

Das ist leichter gesagt als getan. Deshalb beharrt der Kolosserbrief so hartnäckig darauf. So widersprüchlich es klingen mag: Seine Osterbotschaft "Strebt nach dem, was oben ist!" heißt übersetzt: Blickt in aller Gelassenheit und voll Osterfreude nach unten, dort wo ihr lebt, und werdet angstfrei tätig, wo immer ihr Anderen zum Nächsten werden könnt.  Wer so handelt, gibt den Blick frei nach "oben", zu Jesus Christus und seinem Vater, getragen vom Heiligen Geist.

Solche aus einer Gott mehr als den eigenen begrenzten Möglichkeiten trauenden Hoffnung und darin ihren Grund findende Angstfreiheit können vielleicht auch Wege zwischen unverantwortlichem Leichtsinn und überängstlicher Totallähmung entdecken, mit COVID 19 umzugehen. Auch Statistiken, wenn sie verabsolutiert werden,  können zu einer neuen "Elemente"-Lehre werden, die zumindest in Kolossä dem Zusammenleben mehr geschadet als genutzt hat.

Kunst etc.

Aether im Kampf mit einem löwenköpfigen Riesen, Pergamon-Museum Berlin, Photo: Carlos Gonzalez (23.5.2013) CC BY-SA 4.0
Aether im Kampf mit einem löwenköpfigen Riesen, Pergamon-Museum Berlin, Photo: Carlos Gonzalez (23.5.2013) CC BY-SA 4.0

Der Luftgott Aether kämpft gegen einen "erdenschweren", löwengestaltigen Riesen. Das beeindruckende Fresko-Fragment aus dem Berliner Pergamon-Museum gibt Zeugnis von der im alten Griechennland verbreiteten Philosophie (z. B Pythagoras und Empedokles), dass die Erde etwas sei, das überwunden werden muss zugunsten der immateriellen Luft, zugunsten der Welt des Geistes. Ziel ist die "aetherische" Existenz.

Für das Christentum ist die Erde als Gottes gute Schöpfung nicht zu bekämpfen oder zu überwinden, sondern zu gestalten - nach dem Maßstab Gottes, der in Jesus Mensch geworden ist. Nach ihm, dem Auferstandenen, zu streben und sich so nach "oben" zu orientieren, wie es der Kolosserbrief einfordert, ist kein Löwenkampf, sondern ist Nächstenliebe.