Kurze Einleitung in den Zweiten Petrusbrief
In der sonntäglichen und festtäglichen Leseordnung spielt der Zweite Petrusbrief keine Rolle, ausgenommen am Fest Verklärung des Herrn. Hier allerdings hat er seinen "natürlichen" Platz gefunden, denn 2 Petrus 1,16-19 nimmt eindeutig Bezug auf die Verklärungsszene, wie sie das heutige Evangelium Matthäus 17,1-9 sowie die Parallelen Markus 9,2-8 und Lukas 9,28-36 erzählen. Die Unterschiede in den Details der drei Evangeliendarstellungen spielen dabei kene Rolle.
Der Rückgriff zeigt aber bereits, dass der Zweite Petrusbrief eine Spätschrift des Neuen Testaments ist, gemeinhin um 120 n. Chr. angesiedelt, d. h. zwischen dem Ersten Petrusbrief (Ende des 1. Jh. v. Chr.), auf den ausdrücklich in 2 Petrus 3,1 Bezug genommen wird, und 135 n. Chr., der Entstehung der sogenannten Apokalypse des Petrus, eine außerhalb der Bibel entstandene Schrift, die den Zweiten Petrusbrief bereits kennt. Das Schreiben ist zu jung, um es noch wirklich mit dem Apostel Petrus in Zusammenhang bringen zu können, und tatsächlich wurde der Brief schon im Altertum als pseudonymes Schreiben eines unbekannten Verfassers gelesen. Dass dieser sich aber als Petrus verstanden wissen will bzw. sich mit der Autorität dieses für die Kirche mittlerweile so zentral gewordenen Apostels in Verbindung bringt (2 Petrus 1,1), zeigt neben dem Briefbeginn gerade der Rückgriff auf die Verklärungsszene in der Form der Ich-Rede im heutigen Lesungsabschnitt.
Tatsächlich geht es um ein Schreiben, das sich an eine oder mehrere Gemeinden im Missionsgebiet des Paulus wendet und sich mit Irrlehren auseinandersetzt. Ein zentraler Inhalt der falschen Lehre scheint neben laxer Moral (2 Petrus 2,2-3 spricht von "Ausschweifungen" und "Habgier") die Leugnung der Wiederkunft Christi zu sein, mit der die Gegner angesichts der schon ca. 90 Jahre währenden Verzögerung (Kreuzigung Jesu: 30 n. Chr.) nicht mehr rechneten. "Wo bleibt seine verheißene Ankunft? Denn seit die Väter entschlafen sind, bleibt alles wie von Anfang der Schöpfung an." - so werden die Spötter in 2 Petr 3,14b zitiert. Dem stellt der Verfasser die Gewissheit der Verheißung entgegen, "in das ewige Reich unseres Herrn und Retters Jesus Christus einzutreten" (2 Petrus 1,11b).
Einordnung der Lesung in den Anfang des Briefes
Die Gültigkeit solcher Verheißung hängt u. a. an der Legitimation und Verlässlichkeit ihrer Boten. Genau hier ordnet sich 2 Petrus 1,16-19 ein. Nach der "klassischen" Briefeinleitung mit Gruß (1,1-2) und Vorab-Nennung einiger thematischer Schwerpunkte (Aufforderung zur Tugenhaftigkeit mit dem Ziel, die in 1,11 genannte Verheißung zu erlangen, die auch schon - wie zur Rahmung - in Vers 4 erwähnt wird), bringt der Verfasser ab Vers 12 sich selbst als glaubwürdigen Zeugen ins Spiel, der vor seinem Tode seiner Gemeinde noch alles Erinnerungswürdige, das dem Festhalten an der "Wahrheit" (2 Petrus 1,12) dient, aufschreiben möchte.
Um nun seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, verweist er auf seine Zeugenschaft, als Jesus vor seinen Augen und den Augen zweier weiterer Jünger verwandelt wurde (s. dazu die Auslegung des Evangeliums vom Tage).
Vers 16: Keine "klug ausgedachten Geschichten"
Nicht "ausgeklügelte" (das Griechische schreibt das Wort, das dem englischen "sophisticated" zugrunde liegt) "Mythen" [griechisch: sesophiménoi mýthoi) stehen hinter der Verkündigung der Wiederkunft Christi.
Gegen den Vorwurf "ausgeklügelter Mythen" (Einheitsübersetzung: "klug ausgedachte Geschichten"), denen damit sowenig Wahrheitsgehalt zukäme wie Homers Odyssee und Ilias oder der Theogonie Hesiods (so sahen es jedenfalls kritische griechische Denker wie Xenophanes oder Pythagoras), stellt der Verfasser die Augenzeugenschaft. Aus heutiger Sicht wird man sein Argument, da er ja kein wirklicher Augenzeuge war, sondern sich nur in die Rolle des Petrus hineinbegibt, nur retten können mit dem Gedanken: "Ich - der Schreiber des Briefes - glaube so fest an das Zeugnis der Evangelien vom Geschehen 'auf dem Berg', als sei ich selbst dabei gewesen."
Verse 17-18: Die Verklärung
Diese beiden Verse geben in eigenen Worten den Kern der Verklärungs-Erzählung wieder, den Moment, in dem Himmel und Erde, Gott und Mensch einander berühren, und zwar im Vernehmen der Stimme: "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe." Interessanterweise stammt die exakte Formulierung aber nicht aus einer der drei oben genannten Verklärungserzählungen, sondern aus der Erzählung von der Taufe Jesu (s. Markus 1,11, wobei hier die Stimme Jesus direkt anspricht) . Auch dort geht es ja um die Öffnung des Himmels und das Bekenntnis des himmlischen Vaters zu Jesus als seinem Sohn. Doch während es bei der Taufe nur um diese Selbsterklärung Gottes geht, verbindet die Verklärung mit ihr zugleich den Auftrag, auf diesen Sohn zu hören (s. das heutige Evangelium). Dieser Teil der Botschaft ist aber offensichtlich für den Zweiten Petrusbrief an dieser Stelle nicht wirklich wichtig. Umgekehrt: Bei der Taufe Jesu war Petrus noch nicht dabei. Diese Problematik löst der Briefschreiber durch Mischung der Texte. Es könnte aber auch durchaus sein, dass er aus dem Kopf zitiert und deshalb die Formulierungen miteinander vertauscht. Auch eine von den uns bekannten Evangelien abweichende Manuskriptvorlage wird diskutiert.
Vers 19: "... das Wort der Propheten"
Vers 19 bindet die Verklärung zurück an die Tradition des Alten Testaments, das sich nach jüdischer Betrachtung aus Tora (5 Bücher Mose), Propheten (Bücher Josua bis 2 Könige sowie Jesaja, Jeremia, Ezechiel und die 12 kleinen Propheten Hosea bis Maleachi) und den übrigen "Schriften" zusammensetzt. Die Verklärung wird zum Geschehen, das die Verlässlichkeit des prophetischen Wortes noch stärker aufscheinen lässt. Dabei scheint 2 Petrus das gesamte Alte Testament aus dem Geist der Prophetie zu verstehen. Denn vermutlich stehen, wie das zitierte Wort Gottes in Vers 19 einerseits und die Lichtmetaphern in Vers 19 andererseits zeigen, mindestens drei alttestamentliche Stellen im Hintergrund:
aus der Torah: Numeri/Viertes Buch Mose 24,17a (Weissagung des Propheten Bileam):
"Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel. ";
aus den Propheten: Jesaja 42,1:
"Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen."
(vgl. evtl. auch noch Jesaja 9,1: "Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht");
aus den Schriften: Psalm 110,3:
"Dich umgibt Herrschaft am Tag deiner Macht, im Glanz des Heiligtums. Ich habe dich aus dem Schoß gezeugt vor dem Morgenstern."
Die in der Leseordnung ausgelassenen, zum Gedanken eigentlich noch hinzugehörenden Verse 20-21 betonen, dass bereits das Prophetenwort nicht Menschenwort (und damit eben nicht "erklügelter Mythos"), sondern von Gottes Geist hervorgebrachtes Wort ist.