Vielleicht gibt es eine Rettung am Tag des universalen Gottesgerichtes – aber nur für einen gebeugten Rest.
1. Verortung und Aufbau
Innerhalb von 53 Versen wird im Buch Zefanja aus der angekündigten Ausrottung aller Menschen auf Erden eine Freudenbotschaft für Jerusalem. Der Weg von der düstersten Katastrophe hin zum lichtesten Freudenjubel beinhaltet alle Elemente der prophetischen Verkündigung: Unheils- sowie Heilsworte sowohl gegen das eigene Volk wie auch gegen fremde Völker.
Das Urteil über Jerusalem, das Königreich Juda und die gesamte Welt scheint am Ende des ersten Kapitels des Buches Zefanja besiegelt. Der Tag JHWHs, d.h. der finale, universale Gerichtstag, wird über die Welt hereinbrechen: "… er bereitet allen Bewohnern der Erde ein Ende, ein schreckliches Ende" (Zef 1,8). Die Gottesworte, die diesen Tag des göttlichen Zornes beschreiben, sind drastisch und düster: "Ihr Blut wird hingeschüttet wie Schutt und ihr Lebenssaft wie Kot." (Zef 1,17). An den Versen 14 bis 17 orientiert sich auch der mittelalterliche Hymnus "Dies irae", der vor allem durch Mozarts Requiem von 1791 und durch Zitate in der Filmmusik bis heute bekannt ist. Das folgende, zweite Kapitel nimmt die Völkerwelt in den Blick: Judas Nachbarstaaten im Westen und im Osten, die Philister, Moabiter und Ammoniter, und die Großreiche im Norden und im Süden, Ägypten und Assyrien, werden untergehen. Doch in diesen Rundumschlag mischen sich neue Töne. Eine mögliche Rettung der Armen und der Unterdrückten in Juda wird in Aussicht gestellt: "Sucht den HERRN, all ihr Gedemütigten im Land, die ihr nach dem Recht des HERRN lebt! Sucht Gerechtigkeit, sucht Demut! Vielleicht bleibt ihr geboren am Tag des Zorns des HERRN." (Zef 2,3). Im dritten Kapitel wird aus dem düsteren Tag des göttlichen Zorns dann ein Tag der Läuterung, Rettung und heilvollen Zukunft für Israel und für die anderen Völker. Der Untergang Jerusalem in den Jahren 597 und 587/586 v. Chr. gerät in den Blick des Buches und anstatt einer völligen Vernichtung eröffnet sich eine Lebensperspektive für die Unterdrückten und Armen des Volkes Israel: "Ja, dann entferne ich aus deiner [= Jerusalems] Mitte die überheblichen Prahler und du wirst nicht mehr hochmütig sein auf meinem heiligen Berg. Und ich lasse in deiner Mitte übrig ein demütiges und armes Volk." (Zef 3,11-12). Gott wird die Völker der Welt bekehren und sie werden sein durch das Exil verstreute Volk wieder zurück nach Jerusalem bringen: "Ja, dann werde ich die Lippen der Völker verwandeln in reine Lippen, damit alle den Namen des HERRN anrufen, ihm Schulter an Schulter dienen. Von jenseits der Ströme von Kusch bringen mir meine Verehrer dann als Gabe die Gemeinde meiner Verstreuten." (Zef 3,9-10).
Zefanja lebte in einer turbulenten Übergangszeit. Das judäische Königreich war seit 733 v. Chr. unter König Ahas ein assyrischer Vasallenstaat geworden, der Tribut zu leisten hatte. Der religiöse und kulturelle Einfluss des assyrischen Großreiches erlangte in der Zeit des von 699-643 v. Chr. in Jerusalem regierenden König Manasse seinen Höhepunkt. Nach dem Tod des assyrischen Königs Assurbanipal im Jahre 631 v. Chr. verlor das assyrische Großreich doch zunehmend seinen Einfluss. Kurz zuvor war der achtjährige Joschija nach der Ermordung seines Vaters Amon durch Verschwörer am Hof zum neuen König in Jerusalem geworden. Gemäß der Überschrift des Buches wirkte Zefanja in dessen Regierungszeit. Einzelne Verse weisen in die Zeit als der neue König noch unmündig war (Zef 1,8), bevor er die Macht ergriff und 722 v. Chr. eine grundlegende Kultreform durchführte.
2. Erklärung einzelner Verse
Vers 3: Das Volk Israel wird wenige Verse zuvor verurteilt als „Volk, das nichts erstrebt“ (Vers 1). Das bedeutet, es hat seine Ausrichtung auf Gott verloren. Darum ist es nun Zeit, wieder zu Gottsuchern zu werden. Dass mit dieser Aufforderung kein philosophisches Gedankenspiel gemeint ist, verdeutlicht sich im parallelen Aufbau des Verses: Die Gottsuche bedeutet die Suche nach Gerechtigkeit und Demut – dazu ist nicht mehr das ganze Volk aufgerufen, sondern nur noch „die Gedemütigten/Gebeugten im Land“. Wer ist angesprochen? Ein Blick auf zwei Bibelstellen zeigt, dass hier die unterdrückte Unterschicht ermutigt wird, sich vom restlichen ‚schamlosen Volk‘ (Vers 1) loszusagen: „Hört dieses Wort, die ihr die Armen verfolgt / und die Gebeugten im Land unterdrückt!“ (Amos 8,4); „Vom Weg drängen sie die Armen, / es verbergen sich alle Gebeugten des Landes.“ (Ijob 24,4) – in Zefanja 1 wird zuvor die Jerusalemer Oberschicht abgeurteilt. Alleine „die Gedemütigen im Land“ haben sich, so der Prophet, am Recht Gottes ausgerichtet und somit eingefügt in die von Gott gewollte Lebens- und Gemeinschaftsordnung, der sich die Jerusalemer Oberschicht widersetzt hat. Darum dürfen nur sie, die Gedemütigten/Gebeugten, darauf hoffen, am Tag des Zornes JHWHs, d.h. dem universalen Gottesgericht, durch die göttliche Treue geborgen zu sein. Die Hoffnung besteht jedoch nur in einem „Vielleicht“. Die Anerkenntnis der Souveränität Gottes führt in die Demut, die zugleich das eigene Schicksal völlig in die Hände Gottes legt, als auch die Demütigung durch die Unterdrücker in eine selbstbewusste Haltung gegenüber Gott überführt. Im Hebräischen stammen die Worte für „Demut“ und „die Gebeugten“ aus derselben Wortwurzel. Und Sprichwörter 15,33 führt vor Augen, welche Art von Demut und Gebeugt-Sein verlangt ist: „Die Furcht des HERRN erzieht zur Weisheit / und Demut geht der Ehre voran.“
Verse 12-13: Die Beschreibung des zukünftigen Volkes, des Restes Israels als „demütig und niedrig“ hat zwei Sinnebenen: sowohl wirtschaftlich-soziale Armut als auch spirituelle Demut. Der Rest Israels, der verschont wird, vom Gericht Gottes, stammt aus den Armen, die sich in ihrem Handeln und Vertrauen ganz auf Gott ausgerichtet haben. Die beschriebene Untadeligkeit des Restes Israels in Vers 13 ist keine Zustandsbeschreibung, sondern eine Verheißung, die durch Gottes Handeln gemäß den Versen 11-12 grundgelegt wird. Zugleich formuliert Vers 13 somit grundlegende ethische Forderungen im Hier und Jetzt! Gottes Volk wird so wie eine wohlbehütete Herde sein, die sich weder vor inneren Feinden (siehe die Kritik an der Oberschrift in Zefanja 1), noch vor äußeren Feinden (siehe den Blick in die Völkerwelt in Zefanja 2) fürchten muss. Die Lebensmitte Israels wird das Geborgensein in Gott sein. Das Bild von der behütetenn Herde wird in Vers 19 fortgeführt: „Siehe, in jener Zeit schreite ich ein gegen alle, die dich unterdrücken. Ich helfe den Hinkenden und sammle die Verstreuten. Ich mache ihnen ihre Schmach zu Ruhm und Ansehen auf der ganzen Erde.“