Reichtümer findet man nur dort, wo man sie nicht sucht.
1. Verortung
Selbst der weise und reiche König Salomo musste Gott um Weisheit bitten – und in seinem Namen lehrt der Autor des Buches der Weisheit diese Erkenntnis. Ohne den Namen des Königs zu nennen, erkennt der Leser und die Leserin doch in Weisheit 6-9, dass das hier sprechende Ich Salomo ist – am deutlichsten wird dies vielleicht in Weisheit 9,7-8: „Du bist es, der mich zum König deines Volkes / und zum Richter deiner Söhne und Töchter erwählt hat. Du hast befohlen, einen Tempel auf deinem heiligen Berg zu bauen / und einen Altar in der Stadt deiner Wohnung, / ein Abbild des heiligen Zeltes, das du von Anfang an entworfen hast.“ Dass Salomo jedoch namentlich selbst nicht genannt wird, oder sich vorstellt, ist bereits eine theologische Aussage: die biblische Gestalt ist kein Unikum, sondern ein Vorbild für die heute nach Weisheit Suchenden.
So verkündet Salomo in Weisheit 6,22: „Was aber Weisheit ist und wie sie wurde, will ich verkünden / und euch kein Geheimnis verbergen.“ – doch bevor er das Wesen der Weisheit beschreibt, sie als Quelle aller Erkenntnis, als Ratgeber und Trost preist (Weisheit 7,22-8,16), verdeutlicht er, dass auch er – der als weiser König gilt, doch nur ein vergänglicher Mensch wie jeder andere ist (Weisheit 7,1-6), der Gott um Weisheit bitten muss.
2. Erklärung einzelner Verse
Vers 7: Die erzählte Gebetsbitte ist eine Anspielung auf Salomos Bitte an Gott in 2 Chronik 1,10: „Verleih mir daher Weisheit und Einsicht, damit ich weiß, wie ich mich vor diesem Volk verhalten soll! Denn wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren?“ (vgl. die Fassung in 1 Könige 3,9, in der Salomo um ein „hörendes Herz“ bittet). Die Einleitung mit „daher“ stellt die direkte Verbindung zum vorherigen Abschnitt her: Dem vergänglichen Menschen ist die Weisheit nicht von Natur aus gegeben, sondern er oder sie muss sie erbitten, bzw. wie es im zweiten Teil des Verses vielleicht besser übersetzt heißt: „ich rief (zu Gott) um Hilfe“. Durch die Abänderung von Weisheit in 2 Chronik 1,10 zu „Geist der Weisheit“ hier in Vers 7 wird vielleicht noch stärker die Verbindung der Weisheit zu Gott betont („göttliche Geist“).
Verse 8-10: Salomo bevorzugt die Weisheit statt Machtsymbolen, Reichtum, wertvollen Edelsteinen, Gold, Silber, Gesundheit, Schönheit und selbst Tageslicht. In dieser Aufzählung verweist die Schönheit vielleicht auf den Einfluss der hellenistischen Umwelt, in der sie als wichtiges Gut galt – in der Bibel gilt Schönheit jedoch auch als königliches Attribut. Die Auflistung endet in der Bevorzugung der Weisheit statt des Tageslichtes: Dies verdeutlicht, dass Salomo die Weisheit selbst dem Alltäglichen und zugleich Lebensnotwendigen vorzieht. Dem Tageslicht, das am Abend endet, wird wörtlich der „nicht schlafende“ Glanz der Weisheit gegenübergestellt.
Vers 11: Die Lehre ist: Man soll die Weisheit um ihrer selbst willen erstreben, dann folgen ihr alle anderen Güter. Denn, wie Vers 12 erklärt, ist die Weisheit die „Erzeugerin“ all dieser Güter: „Ich freute mich über sie alle, / weil die Weisheit lehrt, sie richtig zu gebrauchen, / wusste aber nicht, dass sie auch deren Ursprung ist.“ Auch in den Büchern der Könige und der Chronik erhält Salomo nicht nur die erbetene Weisheit, bzw. das hörende Herz, sondern darüber hinaus auch Reichtum etc.; vgl. 2 Chronike 9,22: „So übertraf König Salomo alle Könige der Erde an Reichtum und Weisheit.“