Eine tüchtige Frau wird als Paradebeispiel gelebter Weisheit gepriesen – ein Lobpreis, der auch Fragezeichen hinterlässt.
1. Verortung im Buch
Kurz nach dem Beginn des Buchs der Sprichwörter ergreift die Weisheit, personifiziert als Frau, das Wort: „Die Weisheit ruft laut auf der Straße, auf den Plätzen erhebt sie ihre Stimme. Im größten Lärm ruft sie, an den Stadttoren hält sie ihre Reden: …“ (Sprichwörter 1,20-21). Die Aussagen über Frau Weisheit stehen in direkter Beziehung zu dem „Lob der tüchtigen Frau“ am Ende des Buches. Die in Sprichwörter 31,10-31 beschriebene tüchtige und weise Frau repräsentiert ein Paradebeispiel für ein gelungenes, menschliches Leben. Ihre Beschreibung fasst die Aussage des Buchs der Sprichwörter zusammen: Die zwei entscheidenden Tugenden sind Fleiß und Barmherzigkeit. So legt sich auch durch die letzten Worte des Buches ein Rahmen um das gesamte Buch. Die beschrieben Frau, „die den HERRN fürchtet, sie allein soll man rühmen“ (Vers 30), denn wie es am Anfang des Buches als Axiom festgestellt wird: „Die Furcht des HERRN ist Anfang der Erkenntnis“ (Sprichwörter 1,7), bzw. „Anfang der Weisheit ist die Furcht des HERRN, die Kenntnis des Heiligen ist Einsicht“ (Sprichwörter 9,10).
2. Aufbau
Das Lehrgedicht schreitet voran von der Perspektive auf die Frau als für Andere Handelnde zu der Perspektive, die sie betrachtet als eine Person, die es verdient hat, von Anderen gelobt zu werden. Dessen Themen sind ihr Wert (Verse 10-12), ihre Aktivitäten (Verse 13-27) und der Lobpreis auf sie (Verse 38-31). In diesem Aufbau bilden die Verse 20-21 in ihrem Aufbau das Zentrum (siehe „Erklärung einzelner Verse“).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 10: Das erste Wort mit dem die Frau beschrieben wird (חַיִל, gesprochen: hayil) hat eine breites Bedeutungsspektrum: Es drückt Stärke aus, sowohl im Sinne von Reichtum, körperlicher Kraft, militärischer Macht, praktischer Kompetenz und eines guten Charakters. Die folgende rhetorische Frage zeigt an, wie schwer es ist, sie zu finden. Es folgt die Festellung – wörtlich übersetzt: „Ihr Preis übertrifft Korallen.“ Gemeint ist hier tatsächlich der in der damaligen Zeit zu zahlende Brautpreis – jedoch in einem bildlichen Sinn. Sie ist sehr wertvoll (siehe Vers 11).
Vers 11: Üblicherweise gestatten die Texte des Alten Testament den Menschen nur auf Gott und auf keine anderen Menschen zu vertrauen – doch hier darf, kann und soll der Ehemann der beschriebenen Frau auf sie, die Gott fürchtet, vertrauen – u.a. weil sie ihm Gewinn bringt. Das mit „Gewinn“ übersetzte Wort שָׁלָל (gesprochen: schalal) stammt eigentlich aus der Kriegssprache: Die Frau ist also wie ein Krieger, die Beute nach Hause bringt.
Verse 12-13: Das geschenkte Vertrauen bringt dem Ehemann Wohlstand und Sicherheit. Sie ist gewillt, bzw. hat Freude daran (auch handwerklich) zu arbeiten.
Verse 19-20: Beide Verse bilden einen Chiasmus, d.h. die beiden Begriffe für die Hände aus Vers 19 werden spiegelbildlich in Vers 20 aufgenommen und es gibt sich eine zusammenhängende Aussage: Hand – Handfläche – Handfläche – Hand. Die schaffenden, gewinnbringenden Hände sind zugleich barmherzige Hände. Besonders interessant daran ist, dass eigentlich die Arbeit an der Spindel nicht besonders hoch angesehen war (siehe 2 Samuel 3,29).
Vers 30: Auch die Bibel wertschätzt ein gutes Aussehen (siehe zum Beispiel das Hohelied oder Sprichwörter 5,19), so wird hier auch nicht Attraktivität negativ beurteilt, sondern in ihrer Bedeutung eingeschränkt. Sie ist vergänglich, während der Gottesfurcht Beständigkeit zugesprochen wird. Der Vergleich liegt auf der Frage, welcher Ruhm länger hält: die Attraktivität oder die Gottesfurcht?
Vers 31: Der „Ertrag ihrer Hände“ und „ihre Werke“ beschreibend zusammenfassend den gesamten Inhalt des vorher gesungenen Lobpreises. In aller Öffentlichkeit soll ihr Lob gesungen werden und sie somit als Beispiel für gelebte Weisheit bekannt sein.