Eine radikale theologische Aussage, die all unser zwischenmenschliches Verhalten ändert: Der zornige Mensch ist ein Sünder.
1. Verortung im Buch
Der Blick des Weisheitslehrers geht in seinem Buch immer wieder auf die Frage der rechten Lebensführung ein – so auch im direkten Kontext der Lesung. Er schreibt über Bosheit (Sirach 27,22-27), Zorn und Rache (27,28-28,1), Vergebung (28,2-7), Streit (28,8-11) und Leid, das man mit Worten verursacht (28,12-26).
2. Aufbau
Jesus Sirach ist davon überzeugt, dass alles Böse, das man tut, auf einen zurückfällt: Wie man tut, so ergeht es einem. „Wer Böses tut, auf den rollt es zurück und er weiß nicht, woher es ihm kommt. Spott und Schimpf treffen den Hochmütigen, wie ein Löwe lauert die Rache auf ihn“, schreibt er in Sirach 27,27-28). Dieser Grundgedanke strukturiert auch die für die Lesung ausgewählten Verse, in denen der menschliche Zorn und die Vergebung gegenübergestellt werden. Vers 30 ist grundlegende Aburteilung: „Groll und Zorn, auch diese sind Gräuel und ein sündiger Mann hält an ihnen fest.“ Gott wird als Verfüger des Tun-Ergehens-Zusammenhangs benannt und der thematische Rahmen der „Rache“, der sich um Sirach 27,28-28,1 legt, geschlossen, um den Kontrast zur Vergebung aufzeigen zu können: „Wer sich rächt, erfährt Rache vom Herrn seine Sünden behält er gewiss im Gedächtnis.“ (Sirach 28,1). Abgeschlossen werden die Ausführungen zur Vergebung durch einen wiederholten Imperativ: „Denk!“ – eigentlich besser mit „erinne!“ oder „gedenke!“ zu übersetzen. Dies ist die Mahnung, dass alles zwischenmenschliche Verhalten von Gott gerichtet wird (siehe Sirach 11,26-28) – und ihm sind, wie Sirach 27,30 betont, menschlicher Groll und menschlicher Zorn ein Gräuel.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 30: „Groll“ ist ein innerer, unversöhnlicher Zorn. Dem Menschen steht es nicht zu zornig zu sein – Gott hingegen schon (Sirach 16,11). Denn der Mensch lässt sich von seinem Zorn beherrschen, Gott nicht. Der Mensch, der sich von Gott abwendet, kann sich auch nicht von seinem Groll und Zorn abwenden.
Vers 1: Während zum Beispiel die Blutrache im Buch Levitikus rechtens ist (Levitikus 19,18), wird nun jegliche eigenständige Vergeltung erfahrenen Unrechts abgelehnt. Gott wird als der Richter benannt, der keine Sünde ungestraft lässt und der Gerechtigkeit herstellt; vgl. Sirach 5,3: „Sag nicht: Wer wird Macht über mich haben? Denn der Herr wird gewiss Vergeltung üben“
Vers 2: Was zuvor im negativen Sinne über die Rache ausgesagt wurde, wird nun ins positive gewendet. Zwischenmenschliche Vergebung führt zur göttlichen Vergebung; vgl. auch „Beschäm nicht einen Menschen, der sich von der Sünde abwendet! Denk daran, dass wir alle in Schuld stehen!“ (Sirach 8,5)
Verse 3-5: Gemäß dem vorigen Vers 30 ist ein zorniger Mensch ein Sünder, deshalb kann er keine Vergebung erlangen. Es bedarf der zwischenmenschlichen Vergebung, um das Heil Gottes zu erlangen. Heilung bedeutet in diesem Kontext sowohl das Gegenteil von Erkrankung – da Krankheit häufig als Folge einer Sünde gedeutet wurde – als auch die Vergebung der Sünden. Der Verweis auf den Menschen als Wesen aus Fleisch, verweist auf die Gebrechlichkeit und Sündhaftigkeit des Menschen.
Verse 6-7: Der Verweis auf die letzten Tage, die man nicht aus dem Blick verlieren soll, basiert auf dem Vertrauen darauf, dass Gott im Diesseits, in den letzten Tagen des Menschen, Gerechtigkeit schaffen werde: „Gegenwärtiges Leiden lässt Wohlleben vergessen und das Ende des Menschen macht seine Taten offenbar. Preise niemanden glücklich vor seinem Ende und an seinen Kindern wird ein Mann erkannt!“ (Sirach 11,27-28). Dieser Gedanke soll das Handeln des Menschen führen, der sein Leben an den Gesetzt und an dem Bund zwischen Israel und seinem Gott ausrichten soll. Besonders hervorgehoben wird das Gebot der Nächstenliebe, dass hier negativ formuliert verwendet wird; vgl. Levitikus 19,18b: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der HERR.“