Gott hat die Welt nicht erschaffen, damit der Mensch sündigt, sondern um eine andere Freiheit zu verwirklichen.
1. Verortung im Buch
Ausführlich beschäftigt sich der Weisheitslehrer Jesus Sirach im 2. Jahrhundert vor Christi mit der Frage nach der Freiheit des Menschen im Angesicht der Sünde und Gottes Vergeltung (Sirach 15,11-16,14). Der Ausgangspunkt für seine Überlegungen ist ein fatalistischer „Glaubenssatz“, den er widerlegt: „Sag nicht: Wegen des Herrn bin ich abtrünnig geworden! Denn, was er hasst, wird er nicht tun.“ (Vers 11). Die Idee, dass Gott der Urheber der Sünde sein könnte, ist im Alten Testament, nicht unbekannt (siehe zum Beispiel Deuteronomium 2,30 und 2 Samuel 24,1).
2. Aufbau
Seine theologische Antwort blickt auf zwei Aspekte: 1.) Wie ist die Schöpfung angelegt? (Verse 15-17). 2.) Welches Gottesbild liegt dieser Vorstellung zugrunde? (Verse 18-20). Der letzte Vers fasst die dem Abschnitt vorausgehenden Verse zusammen. In den Versen 11-14 steht:
„11 Sag nicht: Wegen des Herrn bin ich abtrünnig geworden! Denn, was er hasst, wird er nicht tun. 12 Sag nicht: Er hat mich in die Irre geführt! Denn er hat keinen Nutzen von einem sündigen Mann. 13 Jeden Gräuel hasst der Herr, und wer den Herrn fürchtet, kann den Gräuel nicht lieben. 14 Er selbst hat am Anfang den Menschen gemacht und hat ihn der Macht seiner Entscheidung überlassen.“ (Sirach 15,11-14).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 15-17: Jesus Sirachs Überlegungen müssen auf dem Hintergrund der beiden Schöpfungsgeschichte in Gen 1-3 gesehen werden: der Mensch ist als ein freihandelndes Subjekt erschaffen worden – das gilt auch gegenüber dem Gesetz und somit dem Willen Gottes (vgl. den Abschnitt „Kontexte“). Dass er hier die Lesenden direkt anredet, „wenn du willst“ ist auch als eine Ermunterung zu verstehen, sich dazu zu entscheiden, den Willen Gottes zu erfüllen. Die Verse 16-17 motivieren dazu und illustrieren zugleich die Wahlfreiheit. Sie stellt sich als fundamentale Frage, beziehungsweise als eine zu treffende Entscheidung mit existenziellen Folgen.
Verse 18-20: Wie direkt in den ersten Versen des Buches betont Jesus Sirach, dass die vollkommene Weisheit bei Gott liegt. Die Wahlfreiheit des Menschen ist in gewissem Maße in der Allwissenheit und Allmächtigkeit Gottes grundgelegt und durch diese umfangen.