Der Blick ist auf denjenigen gerichtet, der durchbohrt ist – um ihn trauern alle, aber niemand weiß, wer er ist.
1. Verortung im Buch
Das bedrohte Jerusalem kann sich in Sicherheit wiegen – Gott kündigt die Vernichtung aller Feinde seiner Stadt an: „An jenem Tag wird es sein, da werde ich danach trachten, alle Völker zu vernichten, die gegen Jerusalem anrücken.“ (Sacharja 12,9) – und nach dieser Verheißung wendet er den Blick auf sein Volk. Sacharja 12,10-13,1 sind auf der Perspektive der überstandenen Bedrohung gegen Jerusalem zu lesen: Auf den Sieg folgt die Trauer!
2. Aufbau
Sacharja 12,10-14 thematisiert die zukünftige Trauer ganz Israels. Die in der Lesung ausgelassenen Verse 12-14 verdeutlichen, dass sowohl das Königshaus als auch die Priesterfamilien wie das gesamte Volk trauern werden – „das gesamte Land“. Ausgelöst wird die Trauer durch Gott (Vers 10) und er ist es auch, der auf die Trauer reagiert (Sacharja 13,1), indem er die Möglichkeit zur Vergebung der Sünde und der Aufhebung der Unreinheit erschafft. Dieses Handeln Gottes ist der Kontext, um die Aussage über denjenigen zu verstehen, den das Königshaus Davids und die Bewohner Jerusalems „niedergestochen haben“ (Sacharja 12,10).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 10-11: Gott gießt einen „Geist des Mitleids und des flehentlichen Bittens“ über das Königshaus und die Bewohner Jerusalems aus. Die Folge ist eine das gesamte Land umfassende Trauer (Vers 12). Die nähere Beschreibung des Geistes durch die hebräischen Wörter חֵן וְתַחֲנוּנִים (gesprochen: chen we-tachnunim) zeigt eine zweifache Bewegungsrichtung an: Der erste Begriff ist die Gunst, die man erlebt, und der zweite Begriff bezieht sich auf die Gunst, die man sucht. Diesen Geist zu empfangen bedeutet, sich der Gunst, bzw. Gnade Gottes wieder sicher sein zu können – und er veranlasst, um den Erweis der Gnade zu bitten durch einen neu gefunden Glauben an Gott. Der Blick auf Gott verweist jedoch auf eine durchbohrte Gestalt – angesichts dieser Gestalt bricht die Volksmenge in Trauer aus. Diese Trauer wird zweifach beschrieben: Zum einen wird sie verglichen mit dem Verlust des erstgeborenen Sohns, der ein Symbol für den Fortbestand in der Zukunft darstellt. Zudem wird die Trauer mit einem altorientalischen Klageritus verglichen, in dem um den jährlichen Tod des Fruchtbarkeitsgottes während der Trockenperiode getrauert wurde, bis die Regenzeit als ein Zeichen seiner Rückkehr gedeutet wird. Zur Frage, wer der Durchbohrte ist, siehe die Rubrik „Auslegung“.
Kapitel 13, Vers 1: Gott gewährt dem Königshaus und den Bewohnern Israels ein Entsündungsmittel. Daran wird deutlich, dass ihre Trauer auf der Erkenntnis beruht, dass sie sich versündigt und damit unrein gegenüber Gott gemacht haben. Zugleich symbolisiert die Öffnung einer Quelle einen Neuanfang, die fortwährend die Entsündung ermöglicht.