Lesejahr A: 2022/2023

1. Lesung (Offb 11,19a; 12,1-6a.10ab)

19Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet und in seinem Tempel wurde die Lade seines Bundes sichtbar:

121Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.

2Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen.

3Ein anderes Zeichen erschien am Himmel und siehe, ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen.

4Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab.

Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war.

5Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt.

6Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte;

10Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen:

Jetzt ist er da, der rettende Sieg, / die Macht und die Königsherrschaft unseres Gottes / und die Vollmacht seines Gesalbten;

Überblick

Am Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel sind ausnahmsweise beide Lesungen aus dem Neuen Testament genommen - wie an den Sonntagen der Osterzeit. In diesem Lesejahr führt  der Bogen auch inhaltlich in diese Zeit, denn noch einmal wird, diesmal als Erste Lesung, ein Abschnitt aus der Offenbarung gelesen, aus der bereits an allen Sonntagen der Osterzeit die Zweite Lesung genommen war.

 

Einordnung in den Kontext

In einer Zeit, die für die Christen durch die Bedrängung der Römer geprägt ist,  schreibt der nach Patmos verbannte Wanderprediger und Seher Johannes an sieben Ortsgemeinden entlang der heutigen türkischen Küste mit dem Ziel der Ermutigung zum Festhalten am christlichen Glauben. Zugleich mahnt er vor falschen Kompromissen mit dem römischen Kaiserkult, d. h. der öffentlichen Verehrung des Kaisers als Gott in eigens dafür errichtetenTempeln (eine ausführlichere Einführung in die Offenbarung des Johannes findet sich am Zweiten Sonntag der Osterzeit/Zweite Lesung).

Das Schreiben des Johannes, das im Kern die Mitteilung von endzeitlichen Visionen ist, die er als göttliche Offenbarungen empfangen hat, ist durch drei große Visionszyklen gegliedert: Die sieben Siegel eines im Himmel hinterlegten Buches werden geöffnet (Offenbarung 6,1 - 8,1); es folgen sieben Posaunenstöße durch Engel  (8,2 - 11,18) sowie schließlich die Ausgießung von sieben Schalen (Offenbarung 15,1 - 16,21).

Zwischen den Posaunen- und den Schalen-Visionen hält das Buch noch einmal inne. Ein erschreckendes Himelsbild - die Lesung des Hochfestes - führt am Ende zum Sturz des Drachens (Vers 9), der eine schwangere Frau bedroht. Aber er geht im Meer, dem biblischen Symbolort des alles verschlingenden Chaos, nicht unter, sondern taucht am Meeresstrand wieder auf (Vers 18, bereits außerhalb des Lesungsabschnitts). Kapitel 13 enlarvt in einer furchtbaren Karikatur den römischen Herrscher und sein Propagandasystem als eben diesen wieder aufgetauchten Drachen (das Kapitel 13. Kapitel ist vollständig wiedergegeben unter "Kontext"). Kapitel 14 wird in dieser aussichtlos erscheinenden Lage zeigen, dass die Zukunft dem "Lamm", dem auferstandenen Christus und eigentlichen Weltenherrn gehört.

 

Vers  11,19a: Die Tempelvision

Der Einleitungsvers gehört eigentlich noch in die letzte Posaunenvision (s. o.), die die Durchsetzung der Gottesherrschaft am Ende der Zeiten schildert. Sie wirkt sich für die Glaubenden als Heil, für dieAanderen als Gericht aus. Ein Symbolbild des Sichtbarwerdendes der Herrschaft Gottes ist das Sichtbarwerden des Allerheilgsten, d.h. des Bereichs im Tempel von Jerusalem, der durch einen Vorhang den Blicken der Gläubigen strikt verborgen war. Wenn die Offenbarung dabei die "Bundeslade", also das Erinnerungssymbol an Gottes vierzigjähriges Geleit durch die Wüste, sichtbar werden lässt, knüpft dies nicht an die Zeit Jesu an, sondern an die Zeit vor der Zerstörung des Tempels 586 v. Chr. durch die Babylonier. Der neue Tempel aus persischer Zeit (Einweihung: 515 v. Chr.) hielt das Allerheiligste nämlich leer. Die niedergebrannte Bundeslade wurde nicht mehr ersetzt. Die Symbolik der Verborgenheit des Raumes für die Allgemeinheit blieb aber bestehen. In den Evangelien heißt es beim Tode Jesu bereits in ähnlicher Symbolik, dass der Vorhang von oben bis unten riss (vgl. Markus 15,38). Und ähnlich wie im Matthäusevangelium angesichts der Gottesgegenwart im Augenblick des Kreuzestodes Jesu, der mit der Überwindung des Todes durch Gott einhergeht, ein Erdbeben als äußeres Zeichen der Gottesgegenwart geschildert wird (vgl. Matthäus 27,51-52), so verbinden sich im ausgelassenen Vers 19b der Lesungseröffnung mit der Gottesgegenwart Gewitter, Erdbeben und Hagel.

Während diese Vision vom Text her in sich einen Abschluss bedeutet, auf den in Kapitel 12 eine neue Vision folgt, wird durch die Leseordnung der Eindruck erweckt, es gebe einen inneren Zusammenhang zwischen Tempelvision (11,19) und dem "großen Zeichen am Himmel" in 12,1 (vgl. zu diesem Zusammenhang die Rubrik "Auslegung").

 

Verse 12,1-2: Die bedrängte Frau

Entsprechend der apokalyptischen Vorstellung (s. dazu die oben genannte Einführung in die Offenbarung) setzt die Lesung vielmehr voraus, dass jedes irdische Geschehen sich in einem himmlischen Geschehen spiegelt. Dann ist es aber am plausibelsten, in der kosmisch ausgestatteten und mit 12 Sternen bekränzten Frau eine himmlische Entsprechung zum Gottesvolk zu sehen, das zu Jesus Christus unterwegs ist. Die Zahl 12 erinnert dabei natürlich an das alttestamentliche Zwölfstämme-Volk Israel, auf das, um es mit einem Bild des Apostels Paulus zu sagen, die Gemeinschaft der Christen wie auf einen tief verwurzelten Baumstamm "aufgepfropft" wurde (vgl. Römer 11,16-18). Hieraus erklärt sich die Zahlensymbolik der 12 Apostel.

Das Gottesvolk aber, von Gott im Sinne der Erwählung mit königlichem Glanz ausgestattet, ist ein bedrohtes. Man könnte sagen: Die Geburt des Christentums - es ist ja zur Zeit der Offenbarung 60 - 80 Jahre alt - vollzieht sich unter Schmerzen. Dies könnte nun tatsächlich als eine Interpretation von Genesis 3,16b durch die Offenbarung aufgefasst werden. Dort spricht Gott zur Frau (Eva): "Unter Schmerzen gebierst du Kinder." Dabei geht es zumindest in der Interpretation der Offenbarung nicht um Strafe, sondern um die Erfahrung der Wirklichkeit, wie sie ist.  Dieses Motiv passt zur Geschichte des jüdischen Volkes. Der aus ihm hervorgehende Messias, Jesus, kommt in Zeiten des Römerjochs zur Welt, das schließlich im Jahr 70 n. Chr. zur Totalzerstörung Jerusalems führte. Die liegt zur Zeit der Offenbarung schon in der Vergangenheit.

 

Verse 3-4: Der bestialische Drache

Die Horrorvisionen der Offenbarung - und die Schilderung des zerstörerischen Drachens ist eine solche - antworten auf die als Horror erfahrenen Bedrängnisse. Dabei verbinden sich vermutliche reale Erfahrungen von offener Brutalität und grausamer Heimtücke mit bereits vorhandenem Bildmaterial aus früherer apokalyptischer Literatur. Aus der Bibel ist hier vor allem das Buch Daniel zu nennen. Als Beispiel sei Daniel 7,7-8; 8,10 angeführt:

"7 Danach sah ich in meinen nächtlichen Visionen ein viertes Tier; es war furchtbar und schrecklich anzusehen und sehr stark; es hatte große Zähne aus Eisen. Es fraß und zermalmte alles, und was übrig blieb, zertrat es mit den Füßen. Von den anderen Tieren war es völlig verschieden. Auch hatte es zehn Hörner. 8 Als ich die Hörner betrachtete, da wuchs zwischen ihnen ein anderes, kleineres Horn empor und vor ihm wurden drei von den früheren Hörnern ausgerissen; und an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Maul, das anmaßend redete. ... 8,10 .... und [es] warf einige vom Heer und von den Sternen zur Erde herab und zertrat sie."

Hat das Buch Daniel vor allem die mörderische Unterdrückung der Juden durch die Griechen im Blick, so die Offenbarung eben die der Christen durch Rom. Ganz offenscihtlich geht es um eine Theologie der Angstüberwindung, die nicht auf eigene Gewalttätigkeit setzt, sondern erlittener Grausamkeit ein sehr viel stärkeres Hoffnungspotenzial entgegensetzt.

Die konkrete Zahlensymbolik (sieben und zehn) dürfte unter anderem auf bestimmte Zählungen der römischen Herrscher verweisen. Das "Horn" hingegen ist bereits im Alten Orient - man denke an den Apis-Stier in Ägypten - ein Symbol der Macht und der Kraft. Diese kann den Herrschern von Rom und ihren Bütteln nicht abgesprochen werden, aber die Botschaft der Offenbarung ist, dass diese Macht nur eine vorläufige ist, die am Ende von Gott in ihrer ganzen Vorläufigkeit und Unbedeutendheit bloßgestellt werden wird.

Dies wird in den leider ausgelassenen Versen 7-9 im Motiv des Drachensturzes symbolisch veranschaulicht. Der Kampf zwischen dem Engel Michael und dem Drachen geht zugunsten Michaels aus, der in der apokalyptischen Tradition der himmlische Vertreter des irdischen Volkes Israel ist (vgl. Dan 12,1a: "In jener Zeit tritt Michael auf, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt."). Dabei spricht der Name des Engel für sich. Denn übersetzt heißt er: "Wer [mî] ist wie [kā] Gott [ēl]?"

 

Vers 5: Die nicht verhinderte Geburt

Dieser Vers schildert den Sieg Gottes über alle gottfeindlichen Mächte: Die Geburt des Messias kann niemand verhindern, auch der Drache nicht. Man hat den Eindruck, vor einer ins Kosmische geweiteten Erzählung dessen zu stehen, was auch mit der Erzählung von den drei Weisen aus dem Osten festgehalten wird: Herodes versucht mit allen Mitteln, das Großwerden eines vermeintlichen Königskonkurrenten zu verhindern, sei es durch die als Spione eingesetzten Weisen (Matthäus 2,1-12), sei es durch eine Kindermordaktion )Matthäus 2,16-18).

Die Überwindung des Drachen geschieht nicht nur durch die Durchsetzung der Geburt, sondern auch durch die Rettung des Kindes durch seine Aufnahme zu Gott. Dies ist die wie im Zeitraffer verdichtende Verbindung von Geburtserzählung und Christi Himmelfahrt. In der gottgeschenkte Vision des Johannes ist die Zeit aufgehoben - keineswegs aber in der realen Gegenwart, in der er lebt und für die er schreibt.

 

Vers 6a: Flucht in die Wüste

Bei Vers 6a ist man vordergründig geneigt,  an die Flucht der Familie Jesu nach Ägypten zu denken (vgl. Matthäus 2,13-15). Es passt dazu allerdings nicht, dass hier die Frau allein zu fliehen scheint, ohne das bereits in den Himmel entrückte Kind. Und auch das markante Wort Ägypten würde durch das allgemeinere Wort "Wüste" ersetzt werden.

Das alles spricht dafür, dass Vers 6 einmal mehr auf die Erfahrungen des jüdischen Volkes anspielt und seine Zeit der Wanderung durch die Wüste, nachdem es vor dem ägyptischen Pharao geflohen ist. Mit dieser Rückerinnerung würde das Leben der Christen, an die Johannes von Patmos aus schreibt, gedeutet werden als eine vor ihnen liegende "Wüstenstrecke", die es im Glauben an Gott und mit Blick auf das "Lamm" Christus, das den Tod überwunden hat, zu bestehen gilt.

 

Vers 10ab

In einer der für die Offenbarung typischen Jubelrufe (Akklamationen) wird der Sieg Gottes und des Lammes besungen. Durch die Auslassung der Verse 7-9 fehlt der eigentliche Auslöser dieses Jubelrufs: Der Sturz des Drachens. Er ist gemeint mit dem "rettenden Sieg". Die Vorstellung vom Drachensturz wird übrigens im Lukasevangelium mit Jesus verbunden:

"Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen." (Lk 10,18)

 

Auslegung

Was verbindet Vers 11,19a und Vers 12,1?

Auch wenn vom ursprünglichen Text her mit Kapitel 12 eher ein völlig neuer Abschnitt in der Offenbarung des Johannes zu beginnen scheint - eine mit "und" (griechisch kaì) und nicht mit "dann" (griechisch tóte) eingeleitete weitere Vision -, haben sich die Ersteller der Lesungsauswahl mit Sicherheit etwas dabei gedacht, als sie  Offenbarung 11,9a und 12,1 in einer Lesung miteinander verbanden. Am meisten spricht für eine sehr alte Tradition der Kirche als Hintergrund dieser Entscheidung.

Diese - nur unter Auslassung der Gewittermotive funktionierende  - Verbindung  von 11,19a und 12,1 könnte zum einen inspiriert sein von der altchristlichen Deutung, die Maria als die verschlossene "Tempelpforte" deutet (Bild für die Jungfräulichkeit), durch die allein Gott bzw. sein Messias (göttlicher Heilsbringer) Einzug hält. Dieser "Einzug" geschieht einerseits durch Gottes Wort (Verkündigung durch den Engel Gabriel), andererseits durch die Geburt des Heilsbringers Jesus. Das Bild wurde entwickelt aus der sogenannten Tempelvision Ezechiel Ez 44,1-2:

"1 Dann führte er mich zum äußeren Osttor des Heiligtums zurück. Es war geschlossen. 2 Da sagte der HERR zu mir: Dieses Tor soll geschlossen bleiben, es soll nie geöffnet werden, niemand darf hindurchgehen; denn der HERR, der Gott Israels, ist durch dieses Tor eingezogen; deshalb bleibt es geschlossen".

Insofern Offenbarung 11,19a vom "Tempel" spricht,. wäre hier ein erster Anknüpfungspunkt für Maria gegeben, auf die man gerne auch das Kapitel 12 bezogen wissen wollte.

Diese Verbindung könnte zum anderen inspiriert sein durch das Motiv der in 11,19a genannten "Bundeslade" (dazu s. weiter unten). Das Schutz gebende Aufbewahrungsgefäß für die zwei Tafeln mit den 10 Geboten wurde ebenfalls schon früh als alttestamentliches "Vor-Bild" für Maria gedeutet, deren Leib das "Aufbewahrungsgefäß"  für das Fleisch gewordene Gotteswort wurde. Die sog. Lauretanische Litanei (Ursprung vermutlich im 12. Jh., Name [nach dem Marienwallfahrtsort Loreto] und fertige Form im 16. Jh.) ruft Maria an als "Foederis arca" - "Du Bundeslade".

Unter dieser Voraussetzung ergibt sich als Gedankengang ab Offenbarung 11,1: Der Tempel Gottes öffnet sich, d. h. Gott gibt Einblick in seinen Heilswillen - dieser wird sichtbar in der Bundeslade, gedeutet als Maria, die Gottesmutter - diese wiederum erscheint in Offenbarung 12,1-2 als schwangere Frau, die schließlich ihren Sohn Jesus gebiert (Vers 5).

Die Hinzuziehung von Offenbarung 11,19a scheint also vor allem beeinflusst zu sein von einer Interpretation des Kapitels 12 auf Maria hin. Einige Züge des Textes scheinen tatsächlich auf sie zu verweisen: Dazu zählen vor allem die Geburt des Messias und das Fluchtmotiv, das zumindest bei ganz allgemeiner Betrachtung an die Flucht der "heiligen Familie" nach Ägypten erinnert. Ein weiterer Zusammenhang ergibt sich wiederum aus einer altkirchlichen Deutung eines alttestamentlichen Verses: Diesmal ist es  Genesis 3,15: "Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse." Einige frühe Kirchenväter (Theologen der allerersten christlichen Jahrhunderte) haben das Wort an die Schlange im Rahmen der Paradieseserzählung auf den Kampf zwischen Satan und Christus als Überwinder des Satans bezogen und Maria als neue Eva verstanden.

Diese auf Maria ausgerichtete Interpretation von Kapitel 12 dürfte  die Lesungsauswahl zum Hochfest bestimmt haben. In der wissenschaftlichen Schriftauslegung wird sie so heutzutage jedoch nicht mehr vertreten. Zu viele Einzelzüge passen nicht zu Maria: Biblisch kennt man noch keine "Himmelskönigin" Maria; das Motiv des Schmerzes bezieht das Lukasevangelium auf den Schmerz Mariens angesichts des Miterlebens des Todes des eigenen Sohnes (Lk 2,35: "... deine Seele wird ein Schwert durchdringen."), nie auf den Geburtsschmerz; die Flucht passt auf jeden Fall nicht zur Flucht nach Ägypten in Matthäus 2,13-15, da in Offenbarung 12,6a die Frau alleine flieht und ihr Kind bereits zu Gott aufgenommen ist.

So wird man vom Ursprung her nur mit sehr verborgenen Anspielungen auf Maria rechnen dürfen, während im Vordergrund eine Entsprechung zwischen dem Volk Israel - dem Zwölfstämmevolk - als dem Ursprungsvolk des Messias, Jesus Christus. und der verfolgten christlichen Gemeinschaft zur Zeit des Johannes steht.

 

Die Bundeslade (Vers 11,19a)

Die "Bundeslade" hat gesamtbiblisch eine sehr wechselhafte Geschichte. Ursprünglich war sie wohl ein leerer, tragbarer Kasten, der während der Zeit der Wüstenwanderung mitgenommen  wurde als Zeichen des mitgehenden Gottes Israels. Dieser Kasten geriet nach der Ankunft im verheißenen Land Kanaan zeitweise sogar in dei Hände der Philister und fand schließlich in Kirjat-Jearim (übersetzt: "Buschdorf") einen eher unwürdigen Stellplatz. Erst mit dem Bau des Tempels, den das Alte Testament vor allem mit David und seinem Sohn Salomo verbindet (10. Jh. v. Chr.), findet die Lade einen würdigen Unterbringungsort, und zwar in dem Teil des Tempels, der der Allgemeinheit unzugänglich bleibt und allein unter der Hoheit der Priesterschaft steht: dem Allereiligsten.  Ein Cherubenpaar (sphinxartige Wesen mit Flügeln) beschirmt die Lade mit ihren Flügeln. Literarisch, d. h. in biblischen Texten, wird die Bundeslade befüllt mit den beiden Gebotstafeln vom Sinai und dem grünenden Stab des Aaron. Dies gibt dieser Lade theologisch enorme Bedeutung. Dazu steht im Widerspruch, dass mit der Zerstörung des Tempels 587/586 v. Chr. die Bundeslade wohl verbrennt, aber kein Mensch ihr nachzutrauern scheint. Für den neuen Tempel, der ab 520 v. Chr. von den Rückkehrer aus Babylon errichtet wird, ist keine Bundeslade mehr bezeugt.

Als Zeichen des Bundes Gottes mit seinem Volk bleibt sie aber von großer Bedeutung. Paulus greift im Römerbrief theologisch auf sie zurück, wenn er schreibt, dass Gott Jesus als "Sühnemal" errichtet hat (Römer 3,25). Das im Griechischen stehende Wort hilastérion meint wahrscheinlich den goldenen Deckel der alten Bundeslade, der beim Sühneritus am Versöhnungstag (Jom kippûr) mit Blut besprengt wurde. Paulus will also sagen: Der Ritus, der an die Bundeslade geknüpft war, und die damit verbundene Vergebung von Gott ist abgelöst durch den Kreuzestod Jesu, in dem genau diese Sündenvergebung ein für allemal erfolgt ist.

Aufgrund dieser Entwicklungslinie dürfte das Scihtbarwerden der Bundeslade im Tempel in der Vision des Johannes im ersten Vers der Lesung nichts anderes sein als ein vor Augen Stellen Jesu selbst als Erlöser.

 

Vers 12,5: "mit eisernem Zepter"

Das Alte Testament kennt sehr verschiedene Vorstellungen, die es mit dem von Gott her erwarteten Heilsbringer, dem Messias, verbindet. Sie zeigen eine große Spannbreite. So wird er einerseits als "Fürst des Friedens" erwartet (Jes 9,5); als einer, der sich eher "durchbohren" lässt (Sach 12,10) und "demütig auf einem Esel reitet" (Sacharja 9,9). Andererseits, insofern er ja auch wirklich Veränderung von Gott her und Gerechtigkeit durchsetzen soll, kann er auch gewaltsam vorgestellt werden. Der einschlägige Beleg hierfür ist Ps 2,9:

"Du wirst sie [die Feinde] zerschlagen mit eisernem Stab, wie Krüge aus Ton wirst du sie zertrümmern."

In einer eigentümlichen Kombination aus Hirtenmotiv und "eisernem Regiment" scheint Vers 5 auf diesen Vers anzuspielen. Allerdings ist die Zweideutigkeit auch im berühmten Hirten-Psalm 23,4b mitgegeben, wenn es heißt: "dein Stock und dein Stab, sie trösten mich." Denn während der "Stab" das eher friedliche Lenkungselement des Hirten ist, meint der "Stock" die eisenbewehrte Keule zur Vertreibung oder auch Erschlagung wilder Tiere zum Schutz seiner Herde.

Wenn die Offenbarung die gewalttätige Variante zumindest mit einbezieht, so wohl weniger, weil Gewalttätigkeit in der Absicht des Verfassers liegt, sondern eher als sprachliche Drohgebärde gegenüber denen, die Gott nichts zutrauen. Schon Psalm 2 selbst schränkt sein martialisches Bild entsprechend ein, wenn er im Anschluss an den oben zitierten Vers fortfährt:

"Nun denn, ihr Könige, kommt zur Einsicht, lasst euch warnen, ihr Richter der Erde!" (Psalm 2,10)

 

Kunst etc.

G. Fugel, Frau und Drache (1933), Wikimedia Commons
G. Fugel, Frau und Drache (1933), Wikimedia Commons

Gebhard Fugel (1863-1939) gründete 1890 die "Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst" und galt seit seinem Gemälde "Christus heilt Kranke" (1884/85) als bedeutender Maler christlicher Motive. Beeinflusst von der Historienmalerei und dem Nazarenerstil wurden großflächige biblische Gemälde, besonders für Kirchen, seine Spezialiät. Zu ihnen gehören auch die 25 Fresken-Entwürfe zur Apokalypse aus dem Jahr 1933 (aufbewahrt in der Klosterkirche von Scheyern), denen das ausgewählte Beispiel entstammt.

Das Gemälde zeigt die Begrenztheit einer Ein-zu-eins-Umsetzung eines biblischen Wort-Bildes in ein gemaltes Bild auf. Andererseits veranschaulicht das Bild  das, was der Text auf der Buchstabenebene sagt, und verbindet es zugleich mit der unter "Auslegung" vorgestellten marianischen Deutung des Textes. Denn die Figur der Frau entspricht genau dem Bild, das man von zahlreichen Marienbildern und -statuen kennt. Damit ist der Israelbezug des Textes komplett ausgeblendet. 1933 hätte er wohl auch kaum eine Chance gehabt. Der "Drache" wirkte damals auf seine Weise, wird sich aber kaum im Bild wiedererkannt haben.