Der Blick auf die Schlange rettet – denn Gott hat giftige Schlangen auf sein Volk losgelassen. Das Murren Israels lässt die Grenzen Gottes Barmherzigkeit offenbar werden.
1. Verortung im Buch
Auf dem Weg vom Schilfmeer in das verheißene Land ist das Murren Israels ein ständiger Wegbegleiter. Die große Befreiungstat in Ägypten und die ständige Versorgung Israels durch Manna in der Wüste verhindern doch nicht, dass sich das Volk immer wieder von seinem Retter und Versorger abwendet. Im Buch Numeri wird schon vor Numeri 21,4-9 von einem Murren des Volkes und der darauffolgenden Strafe durch Gott berichtet:
„1 Als das Volk die Ohren des HERRN mit Klagen über sein böses Los erfüllte, entbrannte sein Zorn; das Feuer des HERRN brach bei ihnen aus und griff am Rand des Lagers um sich. 2 Da schrie das Volk zu Mose und Mose legte Fürbitte beim HERRN für sie ein. Darauf ging das Feuer wieder aus. 3 Daher nannte man den Namen jenes Ortes Tabera, Brand, denn das Feuer des HERRN war gegen sie entbrannt.“ (Numeri 11,1-3)
Nun, in Numeri 21,4-9 ist der Grund für das Murren ein langer Umweg durch die Wüste, den Israel in Kauf nehmen muss. Dieser war bereits zuvor angekündigt gewesen:
„Die Amalekiter und die Kanaaniter sitzen in der Ebene. Brecht also morgen auf und schlagt eine andere Richtung ein, in die Wüste, zum Roten Meer hin!“ (Numeri 14,25)
2. Aufbau
Der typische Aufbau der Erzählungen, die vom Murren Israels während der Wüstenwanderung erzählen, beinhaltet das Murren selbst (Verse 4-5), die Strafe Gottes (Vers 6), die Fürbitte durch Mose im Namen des Volkes (Vers 7) und das Ablassen Gottes von seinem Zorn (Vers 8-9).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 4: Wie in Num 14,25 erzählt, muss Israel einen Umweg gehen, um nicht das bedrohliche Land Edom durchqueren zu müssen. In der Einheitsübersetzung wird die Richtungsangabe דֶּרֶךְ יַם־סוּף (gesprochen: derech jam-suf) übersetzt mit „zum roten Meer“. Geographisch betrachtet ist eine solche Übersetzung sinnvoll. Im hebräischen Text steht jedoch „Richtung Schilfmeer“. Israel sollte also einen Teil seines bereits gegangenen Weges zurückgehen. Dieser Rückschritt ist der Anlass für das Murren. Wörtlich übersetzt: „Der Atem des Volkes wurde kurz“. Dies bedeutet: Sie wurden ungeduldig. Das Ende des Verses (בַּדָּֽרֶךְ, gesprochen: ba-derech) kann man nun auf zwei verschiedene Arten übersetzen: entweder „Das Volk wurde ungeduldig auf dem Weg“ oder „Das Volk wurde ungeduldig aufgrund des Weges“.
Vers 5: Während das Volk nach dem Wunder am Schilfmeer noch Gott und Mose vertraute, ihnen glaubten (siehe Exodus 14,31), lehnen sie sich nun gegen sie auf. In ihrer Anklage entlarven sie sich selbst: Sie mahnen an, dass sie verhungern werden, aber lehnen zugleich die tägliche Versorgung durch Manna, die ihnen Gott gewährt, ab (siehe Exodus 15,22-16,36). Kurz nach dem Schilfmeerwunder hatte Israel bereits, wie auch hier, gemurrt: „Die Israeliten sagten zu ihnen [Mose und Aaron]: Wären wir doch im Land Ägypten durch die Hand des HERRN gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen.“ (Exodus 16,3) Und daraufhin gab Gott ihnen während ihrer gesamten Wanderung bis ins verheißene Land ihr tägliches Brot: „Das Haus Israel nannte das Brot Manna. Es war weiß wie Koriandersamen und schmeckte wie Honigkuchen.“ (Exodus 16,31).
Vers 6: Der für die Schlangen verwendete Begriff הַנְּחָשִׁים הַשְּׂרָפִים (gesprochen: ha-nechaschim ha-srafim) bezeichnet die Schlangen entweder als den Tod bringend: Der Biss „brennt“. Oder so wird eine Schlangenart beschrieben aufgrund ihres Aussehens. Das verwendete Adjektiv leitet sich von demselben Wort ab, mit dem auch die Serafim im Tempel/Thronsaal Gottes benannt werden (siehe Jesaja 6,1-9).
Vers 7: Der Strafe folgt das Sündenbekenntnis Israels. Sie bitten Mose in seiner Funktion als Prophet Fürbitte bei Gott einzulegen.
Vers 8-9: Gott rettet nun nur einen Teil seines Volkes: diejenigen, die die kupferne Schlange in der Gewissheit der Heilung durch Gott anschauen. Es gibt keine bedingungslose Rettung. In 2 Könige 18,4 wird die Kupferschlange als Kultobjekt im Tempel erwähnt, das vom König Hiskija zum Zweck der Tempelreinigung zerstört wurde. Dies hängt nicht mit der hier berichteten Herkunft dieses Symbols zusammen, sondern ihrer Umdeutung zu einem heidnischen Fruchtbarkeitssymbol, wie es in der Umwelt Israels anzutreffen ist. Im Hebräischen ist das mit „Kupferschlange“ übersetzte Wort ein Wortspiel durch den Gleichklang der Wörter für „Kupfer“ und „Schlange“: נְחַשׁ הַנְּחֹ֖שֶׁת (gesprochen: nechasch ha-nechoschet).