Der Geist Gottes übergeht Formalien und überschreitet hoffentlich Grenzen.
1. Verortung
Der für die Lesung ausgewählte Textabschnitt ist ein Hoffnungslicht innerhalb einer düsteren Erzählung, die in Vers 33 mit einer Gottesstrafe endet: „Sie (= die Israeliten) hatten das Fleisch noch zwischen den Zähnen, es war noch nicht gegessen, da entbrannte der Zorn des HERRN gegen das Volk und der HERR schlug das Volk mit einem sehr schweren Schlag.“ Ausgangpunkt der Erzählung ist mal wieder das Murren des Volkes gegen Gott: „die Israeliten begannen wieder zu weinen und sagten: Wenn uns doch jemand Fleisch zu essen gäbe! Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst zu essen bekamen, an die Gurken und Melonen, an den Lauch, an die Zwiebeln und an den Knoblauch. Doch jetzt vertrocknet uns die Kehle, nichts bekommen wir zu sehen als immer nur Manna.“ (Verse 4-6). Das Mann-Wunder und somit die wunderhafte Versorgung des Volkes in der Wüste genügt nicht mehr, die Sehnsucht nach Fleisch füllt den Magen. Aufgrund der Undankbarkeit entbrennt der Zorn Gottes (Vers 10) und Mose verzweifelt: „Da sagte Mose zum HERRN: Warum warst du so böse zu deinem Knecht und warum habe ich keine Gnade in deinen Augen gefunden, dass du mir die Last dieses ganzen Volkes auflädst?“ (Vers 11).
Gott wird den Wunsch seines Volkes erfüllen: Sie werden en masse Wachteln zum Essen erhalten – ihre Mäuler werden sozusagen gestopft, bevor Gott sie bestraft. Und den verzweifelnden Mose entlastet Gott: Er wird aufgefordert 70 Männer zu benennen, die führende Verantwortung übernehmen sollen – in diesem Akt der Entlastung, der Geistgabe an die siebzig Ältesten, verbirgt sich die eigentliche Spitze des Textes: Während das Volk undankbar gegen Gott murrt, hofft Mose, dass das gesamte Volk zu einem Volk aus Propheten wird.
2. Erklärung einzelner Verse
Vers 25: In den Büchern Samuel findet man zweimal einen Bericht darüber, dass der Geist Gottes auf jemanden herabgesprungen ist (1 Samuel 10,5-13; 19,20-24); mit dieser Wendung wird eine prophetische Ekstase angedeutet, die zeitlich begrenzt ist. Hier jedoch wird die Verleihung des Geistes statischer formuliert. So wie der Geist dauerhaft auf Mose ruhte, so ruht er nun auch auf den siebzig Ältesten. Auch über den Propheten Elischa wird in 2 Könige 2,15 ausgesagt, dass in seinem Leben der Geist auf ihm ruhte (vgl. auch Jesaja 11,2). Allerdings endet der Vers mit der Aussage, „und sie fügten nicht hinzu“, d.h. ihre prophetische Rede war ein einmaliges Ereignis, zur Amtseinführung. In Vers 14 hatte Mose zu Gott geklagt: „Ich kann dieses ganze Volk nicht allein tragen, es ist mir zu schwer“. Gott kündigte ihm daraufhin an: „Ich nehme etwas von dem Geist, der auf dir ruht, und lege ihn auf sie (= die siebzig Ältesten). So können sie mit dir zusammen an der Last des Volkes tragen und du musst sie nicht mehr allein tragen.“ (Vers 17). Hier nun in Vers 25 wird diese göttliche Amtsübertragung erzählt – die siebzig Ältesten werden nicht als Propheten eingesetzt, sondern als Anführer des Volkes unter der Autorität Mose. Es geht nicht nicht um Prophetie, sondern geisterfüllte Amtsgewalt und -gnade.
Verse 26-27: Gott hatte Mose beauftragt, die siebzig Ältesten vor dem Offenbarungszelt zu versammeln (Vers 16). Zu dem Amtseinsetzungsverfahren waren zwei, Eldad und Medad nicht erschienen – warum sie nicht zum Offenbarungszelt gekommen waren, wird nicht erzählt. Ihre Abwesenheit bei der Zeremonie hindert Gott jedoch nicht daran, auch ihnen den Geist zu verleihen. Das prophetische Reden der beiden wird Mose, der noch vor dem Offenbarungszelt steht, berichtet.
Vers 28: Josua ist der spätere Nachfolger Moses und er wird das Volk schlussendlich in das Verheißene Land hineinführen. In seinen Worten wird die Perspektive der Institution deutlich: Da Eldad und Medad nicht zum Offenbarungszelt gekommen und somit nicht förmlich eingesetzt waren, hält er ihr prophetisches Reden für eine Anmaßung.
Vers 29: Mose erkennt durch das prophetische Reden Eldads und Medads, dass Gott sich nicht an förmliche Grenzen hält; und er erklärt, dass seine Autorität nicht die maßgebende ist. Er erkennt, dass die Verleihung des Geistes auch an Eldad und Medad – auch wenn sie nicht zum Offenbarungszelt gekommen sind – eine grenzüberschreitende Aussage beinhaltet. Gott selbst entscheidet über die Geistgabe. Dort, wo sich Josua Begrenzung wünscht, erhofft Mose die Weitung: Mögen alle Israeliten durch den Geist unmittelbar zu Gott sein.