Vielleicht gibt es Hoffnung im Angesicht des Zorns Gottes – aber nur, wenn die Umkehr und dass Fasten kein leerer Ritualismus sind.
1. Verortung im Buch
Das Buch Joel ist zweigeteilt: Auf den prophetischen Aufruf zur Klage (Joel 1-2) folgt die Erhörung Gottes (Joel 3-4). Der Wendepunkt liegt in Gottes Leidenschaft für sein Land und in seinem Erbarmen für sein Volk (Joel 2,18). Im ersten Teil steigert sich jedoch erstmal die Not bis ins Unermessliche. Auf eine alles verzehrende Heuschreckenplage, folgt der Ansturm eines übermächtigen Feindes. Gott wird in der Form eines wie die Heuschrecken alles vernichtenden Heeres sein endgültiges Gericht über Israel hereinbrechen lassen.
2. Aufbau
Doch im Angesicht des Gericht gibt es vielleicht Hoffnung. Die theologische Begründung dafür bieten die Verse 12-14; und das, was zu tun ist, entfalten die Verse 15-17. Eine Reihe von Imperativen prägt diesen Textabschnitt. In seiner Mitte steht die Aufforderung in das Signalhorn zu stoßen, wie bei einer sich nähernden Gefahr (vgl. Joel 2,1) - nun ist der Ton der Shofar aber das Signal der kultischen Umkehr zu Gott: „Stoßt ins Horn zu Zion!“
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 12-13: JHWH ist der Befehlshaber des anrückenden Heeres. Der Gerichtstag Gottes ist angekündigt und steht unmittelbar bevor. Doch diese endgültig erscheinende Ansage in Vers 11 wird die Möglichkeit der Buße kontrastierend gegenübergestellt. Im hebräischen Text sind die verlangten Trauerriten (Fasten, Weinen und Klagen) Symbolhandlungen, die der Umkehr folgen und die Buße sichtbar werden lassen: „[…] Kehrt um mit ganzem Herzen und mit Fasten, und mit Weinen und mit Klagen!“ (Joel 2,12). Fasten ist in diesem Fall der Schrei nach Gnade, der nur eine Berechtigung hat, wenn der Klagende zu Gott umgekehrt ist – wenn das Herz nicht zu Gott umgekehrt ist, ist jede andere Form der Buße sinnlos (siehe Jeremia 14,10-12). Nicht die rituelle Handlung z.B. des Zerreißens der Kleidung steht im Vordergrund, sondern die Umkehr mit dem Herzen, d.h. die vollbewusste Entscheidung für Gott. Dieser Umkehr liegt ein bestimmtes in Exodus 34,6 verankertes Gottesbild zugrunde: Gott wendet sich dem Niedrigen zu, sorgt sich wie Eltern um seine Kinder – und er kann seinen Zorn auch zurückhalten, sozusagen einen „langen Atem beweisen“ und immer wieder neue Gemeinschaft stiften.
Vers 14: Die Reue Gottes ist kein Automatismus. Die Umkehr bietet nur ein „Vielleicht“ der Hoffnung. Dass Gott langmütig sein kann, begründet diese Hoffnung. Es ist der Glauben an den Gott, der statt verbrannter Erde auch vergebenden Segen spenden kann und somit die Lebensmöglichkeit gewährt, die die Natur aufblühen lässt und den menschlichen Kult ermöglicht.
Vers 15-16: Aus dem Warnsignal vor dem Feind wird der Aufruf bei JHWH Zuflucht zu suchen. Die Bewohner Jerusalems sollen sich heiligen, das heißt, bereit machen zum Gottesdienst. Bemerkenswert ist die allumfassende Forderung. Vom Greisen bis zum Säugling sollen sich alle versammeln und selbst Braut und Bräutigam, sollen ihren Freudenmoment beenden.
Vers 17: Im Zentrum des Gottesdienstes soll die von den Priestern vorgetragene Klage stehen. Die Klage ist ein Erinnerungsruf – die Priester sollen Gott an sein Volk erinnern. Wenn die Völker fragen würden: Wo ist denn ihr Gott? Dann würde das bedeuten, dass Gott sein besonderes Verhältnis zu Israel beendet hätte. Es wäre jedoch zugleich auch ein Vorwurf und eine Anfrage an die Macht Gottes. In der zusprechenden Klage wird Gott selbst in Frage gestellt.
Vers 18: Die von den Versen 1-11 nicht zu erwartende, in den Versen 13-14 erhoffte und in Vers 17 erbetene Vergebung Gottes ereignet sich, aufgrund Gottes Leidenschaft und seinem Mitleid – als Antwort auf die Klage der stellvertretend für das Volk die Stimme erhebenden Priester.