Lesejahr C: 2024/2025

1. Lesung (Jes 9,1-6)

91Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschattens wohnten, strahlte ein Licht auf. Du mehrtest die Nation, schenktest ihr große Freude. Man freut sich vor deinem Angesicht, wie man sich freut bei der Ernte, wie man jubelt, wenn Beute verteilt wird.

3Denn sein drückendes Joch und den Stab auf seiner Schulter, den Stock seines Antreibers zerbrachst du wie am Tag von Midian.

4Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, im Blut gewälzt, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers.

5Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seiner Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus:

Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.

6Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von jetzt an bis in Ewigkeit.

Der Eifer des HERRN der Heerscharen wird das vollbringen.

Überblick

Die Geburt eines Kindes wird zum Zeichen des Heils. Seine Geburt ist gottgewirkt und in ihm wird Gott wirken, nicht nur um sein Volk zu befreien, sondern um Recht und Gerechtigkeit durchzusetzen.

 

1. Verortung im Buch

Die Worte des Propheten in Jesaja 9,1-6 benennen den Feind nicht, von dem das Volk befreit werden muss. Aber in Jesaja 10,27 wird die als Last und Joch beschrieben Macht mit der Weltmacht Assur identifiziert. Dies erklärt auch, warum kurz zuvor in Jesaja 8,23 auf den Verlust der Nordgebiete Israel durch den assyrischen König Tiglat-Peleser angespielt wird (2 Könige 15,29). In dieser Situation der Bedrohung erklingt das hoffnungsvolle Danklied über die Geburt eines davidischen Thronnachfolgers im Südreich Juda. Die in ihm zum Ausdruck kommende Botschaft hat dieselbe Funktion wie die Ankündigung der Geburt eines Kindes, das verdeutlichen wird „Gott ist mit uns“ (Jesaja 7,14). Nun allerdings ist die Geburt keine Ankündigung mehr, sondern der verheißungsvolle Thronnachfolger ist geboren. Das nicht durchgesetzte Recht (Jesaja 5,7) wird durch ihn garantiert und in Gerechtigkeit ausgeübt. Der verborgene Gott (Jesaja 8,16) wird nun wieder in seinem Wirken gesehen und das Volk kann sich in Gottes Angesicht freuen.

 

2. Aufbau

Zu Beginn erklingt der Jubel über die Befreiung des Volkes durch Gott (Verse 1-4). In den folgenden Versen ist jedoch nicht das direkte Eingreifen Gottes, sondern die Geburt des Thronnachfolgers das bejubelte Heilsereignis (Verse 5-6). Letzteres wird als Begründung für den Jubel über die Befreiung des Volkes angeführt.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 1: Kurz vorher wird in Jesaja 8,22 die Ferne zu Gott als „Not und Finsternis“ beschrieben. Finsternis ist ein Bild für eine Not, die in den Tod führt, wie es das Wort „Todesschatten“ verdeutlicht. Licht hingegen ist das Symbol der heilversprechenden Gegenwart Gottes im Leben. Gemäß Psalm 112,4 erstrahlt Gott dem Rechtschaffenen als Licht in der Dunkelheit (siehe auch Psalm 18,29).

Vers 2: Der an Gott gerichtete Dank beginnt als direkte Anrede, ohne dass der Angeredete beim Namen genannt wird. Das geschieht erst in Vers 6. Im Mittelpunkt steht hier vollends die Freude über die Rettung durch Gott. Wie in der Zeit des Königs Salomo ist das Volk „zahlreich wie der Sand am Meer; es hat zu essen und zu trinken und ist glücklich“ (1 Könige 4,20). Der Vergleich der Freude mit der Ernte und dem Verteilen der Beute weist auf durch Gott ermöglichte Nahrung und geschenkten Reichtum hin. Die israelitischen Erntefeste waren Dankfeiern für JHWH, dem Geber des Landes und dem Garanten dessen Fruchtbarkeit (Exodus 23,6). Auch war Gott derjenige, der den Sieg im Krieg ermöglichte und somit Beute schenkte (Dtn 20,13-14). Das im Hebräischen stehende Wort für die Freude über die Beute (גיל, gesprochen: gil), beschreibt im Buch Jesaja das Jauchzen über die von Gott geschenkte Befreiung. Es ist die Freude, über die wiederhergestellte Beziehung zwischen JHWH und Israel.

Vers 3: Die Vielzahl der verwendeten Begriffe, die die Fremdherrschaft beschreiben, zeigt an wie vielfältig das Volk litt. Der Verweis auf den Tag Midians führt den Leser und die Leserin in das Buch der Richter. Gideon hatte auf Wunsch Gottes keine große Armee aufgeboten, sondern mit nur 300 Mann Midian, Amalek und die Leute des Ostens, die in Israels Gebiet eingefallen waren, „zahlreich wie die Heuschrecken“ (Richter 7,12) besiegt, weil Gott den Krieg führte.   

Vers 4: Die Personifizierung des Soldatenstiefels und -mantels zeigt an, dass das Feindesheer eine mitleids- und erbarmungslose, unmenschliche Macht ist. Das für den Stiefel im Hebräischen verwendete Wort סְאוֹן (gesprochen: seon) stammt aus dem Akkadischen und gibt dadurch den Hinweis, dass die Worte sich auf die assyrische Armee beziehen, die das Nordreich Israels vernichtend geschlagen hatte.

Vers 5: Die Freude über Gottes Handeln wird nun begründet. Nicht mehr steht der militärische Sieg und die Befreiung im Mittelpunkt, sondern die Geburt eines Thronnachfolgers. Gott bleibt aber der Handelnde, indem die Sprecher bekennen, dass der Sohn ihnen, dem Volk, geboren wurde als von Gott geschenkter Retter. Die mit seiner Inthronisation verbundenen ausgerufenen Namen identifizieren ihn beinahe mit Gott selbst. Die ersten drei - hier nun wörtlich übersetzten Namen: Planer von wunderbaren Taten, starker Gott, Vater der Ewigkeit – übertragen göttliche Eigenschaften auf ihn. In ihnen drückt sich aus, was Gott durch den Träger dieser Namen bewirkt und was er für dessen Herrschaft bedeutet. Der vierte Name, Friedensfürst, verdeutlicht, dass der wahre König Gott ist für den der irdische König als Statthalter für das Volk Gottes wirkt.

Vers 6: Die Thronnamen werden sich in der Herrschaft des geborenen Kindes verwirklichen. Anknüpfend an die Dynastieverheißung an David (2 Sam 7,11b-16) wird dem Volk Recht und Gerechtigkeit verheißen. Dies sind nicht nur die Säulen der menschlichen Herrschaft, sondern auch das Fundament des Thrones Gottes (Psalm 97,2). Der am Ende genannte Eifer Gottes verweist darauf, dass das Gesagte eine verlässliche Verheißung Gottes ist. Gottes Eifer ist keine emotionale Eifersucht, sondern steht für seine exklusive Beziehung zu seinem Volk, die sowohl zum Strafgericht als auch zur Rettung führen kann.

Auslegung

In der Sprachwelt des Alten Testaments kennzeichnet Dunkelheit alle Formen von Not: schwarz wie der Tod. Für das Volk Israel war das Exil, die Zerstörung des Tempels, der Tod der Beziehung zu Gott. Aber im Prophetenbuch Jesaja ist Gott selbst das Licht, das die Finsternis vertreibt und eine strahlende Zukunft errichtet. Dazu bedarf es eines Blickes in die graue Vergangenheit. Die Verheißungen Gottes sind die Fackeln im Sturm, die den Weg weisen. 

Wie es Abraham verheißen wurde, wird sich das Volk Israel wieder vermehren und wie zur Zeit Salomos werden sie zahlreich wie der Sand am Meer sein, essen, trinken und fröhlich sein (vgl. Genesis 12,2; 1 Könige 4,20.). Gott wird ihre Freude großmachen und sie werden sich freuen: Durch Freude wird die Beziehung ausgehend von Gott wieder hergestellt. Es wird eine Freude wie bei der Ernte und beim Verteilen der Beute herrschen, das heißt: das Volk wird durch Gott Befreiung erlangen und wie es bei der Ernte und bei der Kriegsbeute biblisch vorgeschrieben ist, den Ertrag in Dankbarkeit mit Gott teilen (vgl. zum Beispiel Exodus 23,16; Josua 22,8.). Denn wie am Tag Midians, als Israel dank Gottes mit einer unbedeutenden Streitmacht den übermächtigen Feind besiegte, so gelangt Israel von der Dunkelheit ins Licht nur durch Gott.

Das Licht in der Dunkelheit ist in Jesaja 9 die Geburt eines Thronanwärters, eines Babys, das wieder wie David über Israel herrschen wird – nicht als König, sondern als Beamter Gottes. Durch ihn werden Wunder Gottes geschehen, an ihm wird die Macht Gottes sichtbar werden und Gott wird sich als liebender Vater seines Volkes offenbaren. Er wird der ausführende Arm Gottes auf Erden sein und so zum Friedensfürsten werden. Er ist kein König, sondern durch ihn offenbart sich das wahre Königtum Gottes. Gottes Thron ist auf Recht und Gerechtigkeit aufgebaut und sie werden zur Grundlage des Throns des Friedensfürstens, sodass seine Herrschaft sich ausweiten und so zu einem Frieden ohne Ende führen wird. 

Eine solche Utopie wird – wie am Tag Midians – jedoch nur Realität, wenn der eigentlich Handelnde, JHWH, der leidenschaftlich eifernde Gott ist. Das Feuer seines leidenschaftlichen Eifers, der keine verwerfliche Emotionalität ist, sondern seinen exklusiven Anspruch auf die Beziehung mit seinem Volk darstellt, bringt Licht in jede Finsternis. Es ist ein Feuer, das die Feinde frisst und durch die Geschichte hindurch von Abraham – und schon vorher in der Schöpfung –  bis in unsere Zeit die Todesschatten vertreibt.

Diese Worte Jesajas, die bis in unsere Zeit hinein, nachklingen, sind in eine konkrete, geschichtliche Situation hineingesprochen. Ab 732 v. Chr. begann das assyrische Großreich das Nordreich Israel zu unterwerfen bis es 722 v. Chr vollständig fiel und besetzt wurde. Im Südreichs Juda, wo die davidischen Könige regierten, wurde die Geburt eines männlichen Thronnachfolgers als göttliches Hoffnungszeichen, das die helfende Treue Gottes zu seinem Volk anzeigt, gedeutet. Die im Danklied bereits besungene Rettung ist in der Geburt des Kindes grundgelegt, aber sie wird erst durch den Eifer Gottes gewirkt werden. Dass der Text die Befreiung bereits als ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis beschreibt, bedeutet nicht, dass das Volk befreit ist. In der hebräischen Sprache drückt sich dadurch die Gewissheit aus, dass die Geburt des Kindes die Erfüllung der Verheißung garantiert. Der Text lässt sich zum Beispiel auf die Geburt und den Antritt der Königsherrschaft Joschijas (639-609 v. Chr.) beziehen, der, als die Macht des assyrischen Reiches schwand, damit begann Teile des untergegangenen Nordreichs in sein Herrschaftsgebiet einzuverleiben (2 Könige 23). Im Zentrum des Textes steht aber nicht das Königtum, sondern dieses ist nur das Zeichen der heilvollen Gegenwart Gottes. Der Thronnachfolger ist nicht der Heilsbringer, sondern das als Garantie zu deutenden Zeichen, dass Gott das Heil schafft.

Kunst etc.

Meistens sieht man auf Darstellungen von Jesaja in der Kunst einen alten Mann, der eine Schriftrolle hält, auf der eine seiner Verheißungen niedergeschrieben ist. Hier in diesem Bild des holländischen Malers Maarten van Heemskerck (1498–1574) wird der Prophet bewusst in einem geschichtlichen Kontext hineingesetzt. Er sieht die Rückkehr Israels aus dem Exil voraus. Nicht das geschriebene Wort steht in dieser Darstellung im Mittelpunkt, sondern das geschichtliche Ereignis.

Maarten van Heemskerck, De profeet Jesaja voorspelt de terugkeer van de Joden uit de ballingschap,  Frans Hals Museum, Haarlem  (OS-I-173) - Lizenz: gemeinfrei.
Maarten van Heemskerck, De profeet Jesaja voorspelt de terugkeer van de Joden uit de ballingschap, Frans Hals Museum, Haarlem (OS-I-173) - Lizenz: gemeinfrei.