Was haben Regen und das Wort Gottes gemeinsam? Sie bringen eine entscheidende Veränderung.
1. Verortung im Buch
„Eine Stimme sagt: Rufe! Und jemand sagt: Was soll ich rufen? Alles Fleisch ist wie das Gras und all seine Treue ist wie die Blume auf dem Feld. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Atem des HERRN darüber weht. Wahrhaftig, Gras ist das Volk. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit,“ (Jesaja 40,6-8) auf diese Worte antworten die Verse der Lesung und zusammen umrahmen sie den als Deuterojesaja („Zweiter Jesaja“) bezeichneten Textabschnitt Jesaja 40-55. Die zentrale Aussage darin ist, dass das „Wort unseres Gottes“ sich durchsetzen wird und dass er bereit ist, seinem Volk zu vergeben: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet Jerusalem zu Herzen und ruft ihr zu, dass sie vollendet hat ihren Frondienst, dass gesühnt ist ihre Schuld, dass sie empfangen hat aus der Hand des HERRN Doppeltes für all ihre Sünden!“ (Jesaja 40,1-2). Gegen Zweifel, dass JHWH sich aufgrund der Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die Babylonier gegenüber deren Göttern als unterlegen erwiesen habe, wird in Jesaja 40,12-48,19 die Einzigartigkeit JHWHs als Schöpfergott hervorgehoben, der dann sein Volk in Jesaja 48,20-55,13 zum Auszug aus dem Exil auffordert. Das entscheidende Gotteswort ist Jesaja 48,20: „Zieht aus Babel aus, flieht aus Chaldäa! Verkündet es jauchzend, lasst dies hören, tragt es hinaus bis ans Ende der Erde! Sagt: Der HERR hat seinen Knecht Jakob ausgelöst.“
2. Aufbau
Der Abschnitt Jesaja 55,6-11, aus dem die Verse der Lesung stammen, kann als Rekapitulation der Botschaft des Abschnittes Jesaja 40-54 gelesen werden: das hier aufgezeichnete prophetische Wort ist wirksam, es wird das bewirken, was es verkündet (Verse 10-11), aber es funktioniert nicht nach normalen menschlichen Berechnungen (Verse 8-9). Die entscheidende Zusage wird bereits am Anfang dieses Abschnittes gegeben: „Sucht den HERRN, er lässt sich finden, ruft ihn an, er ist nah!“ (Vers 6).
Die Verse der Lesung sind ein Vergleich, in dem zwei eigentlich völlig unterschiedliche Vorgänge, einerseits Regen und Schnee (Vers 10) und andererseits das Wort Gottes (Vers 11), in eine erläuternde Verbindung gebracht werden.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 10: Der Vergleichspunkt ist die Fruchtbarkeit, die der Regen und der Schnee bringen. Es geht um deren Wirkung: die Ermöglichung von Leben für eine Gesellschaft, die von der Landwirtschaft abhängig ist. Dies ist zielgerichtet: Der Regen und der Schnee fallen vom Himmel, und kehren dorthin nicht zurück, bevor ihr Ziel nicht erreicht ist. In der Aussage, dass sie zum Himmel zurückkehren, zeigt sich, dass der Autor mit dem Phänomen der Kondensation und Verdunstung vertraut war.
Vers 11: Dass das Wort Gottes zu ihm zurückkehrt, ist auf den ersten Blick eine wunderliche Idee. Doch das Wort ist hier nicht primär mit seinem Inhalt verbunden, sondern es ist ein wirkendes Wort – das was Gott spricht, geschieht. Dieses Konzept wird erhellt durch einen Blick auf Psalm 35,15: „Ich aber zog ein Bußkleid an, als sie erkrankten, und quälte mich ab mit Fasten. Nun kehre mein Gebet zurück in meine Brust.“ Der Beter zieht sein Bittgebet zurück, damit es keine Wirkung entfalte, da es von den Erkrankten mit Feindschaft vergolten wurde. In Vers 11 geht es nicht allein um die Zusagen Gottes, sondern um die Wirkung seines Wortes.