Fast wie ein Marktschreier, so verkündet der Prophet Gottes Segen.
1. Verortung im Buch
Bisher war es die Verheißung der Rettung aus dem babylonischen Exil und die Heimkehr ins verheißene Land, dass die Worte des Propheten Jesaja bestimmte. Nun schlägt er einen anderen Ton an und verheißt die Fülle des Lebens. Die Heimkehr ist nämlich kein Endpunkt, sondern die Worte in Jesaja 55,1-3 knüpfen damit direkt an die Verheißung für Israel im Sklavenhaus Ägypten an: „Der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. 8 Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, […]“ (Exodus 3,7-8)
2. Aufbau
Vergleichbar mit einem Marktschreier ruft der Prophet dem Volk Hoffnung zu: „kommt!“, „kauft!“, „esst““, „hört!“, „neigt!“, „kommt!“. Diese Aufforderungen rahmen die herausfordernde Frage, die das Bild des Marktschreiers auf den Kopf stellt: „Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt, und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht?“ (Vers 2). Und dieses Paradox wird am Ende von Vers 3 aufgeklärt.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Bereits das erste Wort zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Es könnte auch als Wehe-Ruf oder Einleitung einer Klage gelesen werden. Doch hier ist es ein Aufruf, dass die Leidenden sich Gott zuwenden sollen. Der sich scheinbar wiederholende Rhythmus dieses Verses ist doch eine Steigerung. Die, die durstig nach Wasser sind, werden, ohne dafür bezahlen zu müssen, sogar Wein und Milch erhalten. Hier wird kein spezifisches Ereignis angekündigt, sondern ein Heilszustand verkündet.
Vers 2: Die rhetorische Frage scheint die zuvor sehr konkrete Zusage auf die Ebene eines Bildwortes zu heben – und ein Verständnis im Sinne von Deuteronomium 8,3 liegt nahe: “Gott wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des HERRN spricht.” Doch die Verheißung Gottes ist konkret und knüpft im Endeffekt direkt an den Auszug aus dem Sklavenhaus Ägypten “in ein Land, in dem Milch und Honig fließen” an.
Vers 3: Die Verheißung ist sehr konkret! Es geht nicht nur um ein “Aufleben”, sondern um ein “Leben in Fülle”, das hier verheißen wird. Die Grundlage hierfür ist ein neuer Bund, der auf Dauer angelegt sein wird. Der Bund, dessen Zerbrechen durch das Exil angezeigt ist, wird erneuert. Das Königshaus Davids ist untergegangen, doch die Gnade, die ihm erwiesen wurde (siehe 2 Samuel 7,1-16) besteht weiterhin. Die Verheißung an David hat eine konkrete Bedeutung für das Volk Israel: „Ich werde meinem Volk Israel einen Platz zuweisen und es einpflanzen, damit es an seinem Ort wohnen kann und sich nicht mehr ängstigen muss und schlechte Menschen es nicht mehr unterdrücken wie früher.“ (2 Samuel 7,10).