Der Knecht Gottes hat einen Mund wie ein scharfes Schwert. Er ist ein spitzer Pfeil – und wird so zum Licht der Nationen.
1. Verortung im Buch
Nachdem Gott in Jesaja 42,1-4 seinen Diener, den Gottesknecht, als jemand mit einem prophetisch-königlichen Auftrag vorgestellt hat - „Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht.“ – kommt dieser nun selbst zu Wort und redet direkt zur Völkerwelt. Die Bedeutung des Gottesknechtes wird bereits in seinen ersten Worten deutlich. In Jesaja 41,1 sagt Gott: „Ihr Inseln, hört schweigend auf mich, die Völker sollen neue Kraft empfangen!“ Nun redet der Gottesknecht wie Gott im Namen Gottes: „Hört auf mich, ihr Inseln, merkt auf, ihr Völker in der Ferne!“ (Vers 1).
In den folgenden Kapiteln tritt an die Seite des männlichen Gottesknechtes die weibliche Figur der Stadt Zion/Jerusalem (Jesaja 49-54). Gottes Wille, seinen Knecht, der mit Israel identifiziert wird, zum „Licht der Welt“ zu machen, wird nur gelingen, wenn Zion/Jerusalem wieder auf die Treue Gottes vertraut (Jesaja 42,14-26).
2. Aufbau
Die Worte des Gottesknechtes beginnen mit der Anrede der „Inseln“ und „Völker in der Ferne“ (Vers 1). Er wendet sich an den gesamten Erdenkreis, denn – damit endet seine Rede – Gottes Heil soll „bis an das Ende der Erde“ reichen (Vers 6). Auf die Beschreibung seiner Berufung, in der der Gottesknecht völlig passiv im Mittelpunkt steht (Verse 1-3), folgt ein Satz von ihm, der zugleich Klage und Vertrauen ausdrückt (Vers 4). In den Versen 5 und 6 zitiert er dann den von Gott erhaltenen Auftrag: Er, der mit „Israel“ identifiziert wird, soll „Israel“ zu Gott zurückführen (Vers 5) und „zum Licht der Nationen“ werden (Vers 6).
3. Erklärung einzelner Aspekte
Vers 1-3: Im sogenannten ersten Gottesknechtlied sagt Gott über seinem Knecht: „Auf seine Weisung warten die Inseln.“ (Jesaja 42,4). Nun kommt er selbst zu Wort und tritt vor die Weltöffentlichkeit. Die Völker sind nun aufgerufen sich für oder gegen Gott zu entscheiden – doch in den folgenden Worten geht es vor allem nur um ihn. Die Frage wird virulent: Wer ist der Knecht?
So wie assyrische und neubabylonische Könige, deren Reiche Israel belagert, besiegt und ins Exil geführt haben, so ist auch der Gottesknecht noch vor seiner Geburt erwählt worden. In dieser Aussage findet sich ein erster Hinweis auf die Identität des Knechtes, der zugleich die Welt auf den Kopf stellt. Hier geht es nicht um einen König, sondern wie in Vers 3 deutlich wird um das Volk Israel, das Gottes Schöpfung ist (siehe unter anderem Jesaja 42,4). Dieser Knecht ist zum Kampf ausgerüstet: Bereit für den Nahkampf und dem Kampf auf Distanz ist er nicht nur wie ein Schwert, sondern er ist ein spitzer Pfeil – bereit von Gott eingesetzt zu werden. Seine eigentliche „Waffe“ ist jedoch der Mund, in den Gott seine Botschaft hineinlegt. Der Knecht ist geschaffen, damit Gott sich an ihm und durch ihn – in der bevorstehenden Zukunft – verherrlichen kann. Zur Frage, wer der Gottesknecht ist und wie er mit Israel zu identifizieren ist, siehe die Rubrik „Auslegung“.
Vers 4: Als Schwert und Pfeil Gottes ist der Knecht noch nicht zum Einsatz gekommen – in der Bildsprache gesprochen: Er ruht noch in der verborgenen Hand Gottes und in seinem Köcher. Doch schon jetzt ist der Gottesknecht enttäuscht. Die beklagten vergeblichen Mühen werden von ihm genannt – aber es ist nicht ersichtlich, worauf sich diese Aussage bezieht. Die vorherigen Worte beziehen sich nur auf seine Vorbereitung durch Gott und seine Berufung. Ein Blick auf Vers 5 gibt den Grund seiner Enttäuschung an: Er ist berufen das Volk wieder zu Gott zurückzuführen, aber seine bisherigen Bemühungen sind erfolglos. Und die Wortwahl verdeutlicht die Frustration: Sein Tun war bisher Leere, Windhauch und Nichtiges. Doch diese Erfahrung führt ihn nicht fort von Gott, sondern hin zu dem, der ihn berufen hat. In ihm findet er sein Recht und seinen Lohn.
Verse 5-6: In die Frustration und das Vertrauen hat Gott hineingesprochen. Sein Wort ist in dieser Situation kein argumentatives „Aber“ gegen die vergeblichen Mühen des Knechtes zu verstehen, sondern als ein: „Jetzt erst recht!“. Zuerst betont der Knecht in seinen Worten seine besondere Berufung. Er legt den Fokus noch auf seine Sendung zum Gottesvolk, um es aus dem Exil zurück nach Jerusalem zu führen. Gott geht einen Schritt weiter. Jetzt verkündet der Knecht das Gotteswort, das die „Inseln“ und „die Völker in der Ferne“ hören sollen. Die Wortwahl ist radikal: Israel aus dem Exil zurückzuführen wäre eine zu „unbedeutende“ Aufgabe. Durch die Rückkehr werden die Völker die Macht Gottes sehen können. Die Rettung Israels und der Wiederaufbau Zions/Jerusalems wird die Völker zur Erkenntnis führen – in den Worten Gottes: „Dann wird alles Fleisch erkennen, dass ich, der HERR, dein Retter bin und ich, der Starke Jakobs, dein Erlöser“ (Vers 26).