Gott ist der Herr der Weltgeschichte – und das soll sich in der Schwäche seines Gesandten zeigen. Der Leisetreter wird zum Licht der Nationen.
1. Verortung im Buch
Gott ruft die gesamte Welt zu einem Rechtsentscheid auf, an dessen Ende feststeht, dass die Götter der Völker nur Nichtse sind: „Siehe, sie alle sind nichts, ihr Tun ist ein Nichts; windig und nichtig sind die Bilder der Götter.“ (Jesaja 41,29). Der Gott Israels ist der alleinige Weltenlenker. Seine gerechte Weltordnung wird sich in der Geschichte durchsetzen. Um diese Wahrheit in der Völkerwelt zu verkünden, ist „sein Knecht“ berufen, der in Jesaja 41,27 als Freudenbote für Jerusalem angekündigt wird. Jesaja 42,1-4 ist das erste der sogenannten „Gottesknechtlieder“ (siehe noch Jesaja 49,1-6; 52,13-53,12 und auch Jesaja 50,4-9). In der Forschung ist es umstritten, wer dieser Knecht Gottes ist. Sein Auftrag wird erst erfüllt sein, wenn weltweit unter den Völkern das Loblied zu Ehren Gottes erklingt (Jesaja 42,10-12).
2. Aufbau
Während Gott seinen Knecht in den Versen 1-4 vorstellt - sein Auftrag ist „Recht“ zu den Völkern zu bringen –, spricht er ihn in den Versen 6-9 direkt an. Sein Wirken werde zwar unscheinbar, beinahe leise und lautlos geschehen (Vers 4), aber für alle Völker sichtbar sein (Vers 6).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Der Knecht steht zu Gott in einem Schutz- und Patronatsverhältnis. Sein Auftrag wird erfolgreich sein, weil Gott ihn hält und stützt. Der Knecht steht im Dienst Gottes. Er soll den Völkern nicht das Recht im Sinne der niedergeschriebenen, alttestamentlichen Gesetze, sondern den im vorherigen Kapitel gefallenen Rechtsentscheid verkünden: JHWH, der Gott Israels, allein ist Gott. Die Formulierung im Hebräischen meint genaugenommen nicht nur eine Verkündigung, sondern die Durchsetzung des Rechtsentscheids.
Verse 2-3: Der Knecht ist ein Leisetreter! Er schreit die Botschaft nicht heraus und erregt kein Aufsehen. Denn die Botschaft, die er verkündet, bedarf keiner, Aufsehen erregender Mittel. Seine Botschaft geht nicht zu Lasten des Fragilen und Zerbrechlichen. Gewaltlos wird sich die gerechte Weltordnung Gottes durchsetzen.
Vers 4: Der, der nicht auslöscht und den anderen nicht zerbricht, wird selbst nicht ausgelöscht und nicht zerbrochen. Die Durchsetzung seines Auftrags wird durch Gott garantiert. Er wird den Völkern den Rechtsentscheid nicht nur bringen, sondern ihn durchsetzen bis an die Ränder der Welt – das ist mit „Inseln“ gemeint. Alle Völker, die im Rechtsstreit vor der Geschichtsmächtigkeit Gottes gezittert hatten, warten nun auf die Belehrung durch den Knecht.
Vers 5: Die Redeeinleitung betont im hebräischen Text, dass JHWH nicht nur irgendein Gott ist, sondern „der Gott“. Seine Mächtigkeit wird in zeitlosen Partizipien ausgedrückt: Er ist der Schöpfer und Bewahrer der Welt. Er gibt dem Volk, das heißt hier der Völkergemeinschaft, nicht nur den Lebensatem, sondern im Geist die besondere Verbundenheit des Geschöpfs zum Schöpfer. Die Redeeinleitung preist Gott als Grund alles Lebens in der Welt und leitet vom Wort über den Knecht zum Gotteswort an den Knecht über.
Verse 6-9: Gott stellt sich selbst nicht vor im Sinne von „Ich bin JHWH“, sondern verdeutlicht mit der Nennung seines Namens seinen exklusiven Anspruch (siehe Vers 8). Die Berufung des Knechts geschieht, um Gerechtigkeit und somit das universale Heil durchzusetzen. Gott macht ihn „zum Bund mit dem Volk“ und „zum Licht der Nationen“. Der Begriff „Bund“ meint hier keine gegenseitige Verpflichtung, sondern der Knecht ist das Zeichen und zugleich die Umsetzung der Selbstverpflichtung Gottes. Damit wird ein Rückverweis auf den Bund Gottes mit seinem Volk Israel gegeben, der unzerbrechlich ist. Durch die Verwendung des Wortes „Volk“ (עַם, gesprochen: am) in Vers 6 nicht wie üblich auf ein Volk, sondern auf die Völkergemeinschaft bezogen, öffnet die Beziehung Gottes zu seinem Volk hin zu den Völkern, die durch die vom Knecht überbrachte Belehrung und das Recht sozusagen erleuchtet werden. Die Bilder der wiedersehenden Augen und der Befreiung aus dem Kerker verdeutlichen, dass Gott die gesellschaftliche und politische Grundlage schaffen wird, damit die Völker seine Macht anerkennen und so in Frieden und Freiheit leben werden. Durch den Verweis auf Verheißungen in Vers 9, die sich in der Vergangenheit erfüllt haben, bekräftigt er seine Worte an den Knecht: Das erneute Handeln Gottes durch den Knecht hat er nun angekündigt und es wird sich ebenso erfüllen. Mit dem letzten Wort des Verses stellt sich heraus, dass nicht nur der Knecht angesprochen ist in den Versen 6-9, sondern auch Israel, die Völker und jeder Leser dieser Zeilen.
Die Verse 8-9 sind nicht Teil der Lesung: „Ich bin der HERR, das ist mein Name; ich überlasse die Ehre, die mir gebührt, keinem andern, meinen Ruhm nicht den Götzen. Siehe, das Frühere ist eingetroffen, Neues kündige ich an. Noch ehe es zum Vorschein kommt, mache ich es euch bekannt.“