Gottes Rache lässt jubeln – zumindest die Verzagten - und die Wüste wird aufblühen.
1. Verortung im Buch
„Siehe, Gott ist mein Heil; ich vertraue und erschrecke nicht. Denn meine Stärke und mein Lied ist Gott, der HERR. Er wurde mir zum Heil. Ihr werdet Wasser freudig schöpfen aus den Quellen des Heils.“ (Jesaja 12,2-3). Diese Zeilen aus dem in der Zukunft zu sprechendem Danklied der Geretteten Zions geht in dem für die Lesung ausgewählten Text ihrer Erfüllung entgegen. Nun entwirft der Prophet in seinen Worten eine Vision dieses Heils, das Gott wirken wird und ist. Zuvorderst bedeutet Heil hier die Rückführung des Volkes nach Jerusalem. Das geschilderte Heil steht im krassen Gegensatz zum vorherigen Kapitel. In Jesaja 34 wird Gottes Gericht gegen die Völker angekündigt – dort erklärt wieso Gott als „Rache“ und „Vergeltung“ gepriesen wird (siehe Jesaja 34,6). Edom wird als Beispiel für die Feinde Israels angeführt und Gottes Gemetzel an diesem Volk wird drastisch beschrieben: „Edoms Bäche verwandeln sich in Pech und sein staubiger Boden zu Schwefel. Sein Land wird zu brennendem Pech.“ (Jesaja 34,9) – auf diesem düsteren Hintergrund erstrahlt die folgende Heilsvision.
2. Aufbau
Das Prophetenwort reicht sozusagen vom Jubel bis zum Jubel, dass das rahmende und zentrale Motiv des Textes ist, sodass „Kummer und Seufzen entfliehen“ (Vers 10). Dieser Weg ist grundgelegt in der Ankündigung des Kommens Gottes (Verse 1-2), der die Heilsvision folgt (Verse 3-6a), in der das Kommen Gottes gesehen wird: „Seht, euer Gott!“. Und daraus folgt in den Versen 6b-10 die Darstellung der Rückkehr des Volkes zum Zion (Vers 6b-10).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 4: Der Text wendet sich der Schwachen in der Gesellschaft zu. Der handelnde Gott ist ihr Gott („euer Gott“). Gott nimmt ihre Schwäche und Angst hinweg – diese Ermutigung hat sowohl einen physischen Sinn (Vers 3) als auch eine geistige Dimension (Vers 4). Wer ab Vers 3 angesprochen wird, sagt der Text nicht, sondern beauftragt somit allen Lesern und Leserinnen, dass sie sich den Schwachen zuwenden sollen, um sie zu stärken. Das menschliche Handeln geht einher mit dem Kommen Gottes. Gemäß dem Text kommt nicht „er“ zuerst, sondern „die Rache“, „die Vergeltung Gottes“ – dann wird sich Jesaja 34,8 erfüllen: „Denn ein Tag der Vergeltung ist es für den HERRN, ein Jahr der Wiedergutmachung im Rechtsstreit um Zion.“ Heil und Gericht gehen so Hand in Hand, Jesaja 35 ist auf dem Hintergrund von Jesaja 34 zu lesen.
Verse 5-6a: Den Aufforderungen in den Versen 3-4 („Stärkt … festigt …“) folgt nun die Benennung der Konsequenz („Dann … dann …“). Die geheilten, geöffneten Augen und Ohren stehen für eine neue Gotteserkenntnis. Bei den „Lahmen“ und „Stummen“ wird deutlich, dass Gott die Rückkehr nach Zion ermöglicht. Zu springen wie ein Hirsch verweist darauf, weite Strecken mit Freude schnell zurücklegen zu können (siehe Hohelied 2,8-9) und der Stumme wird in den Jubel der Natur einstimmen können.
Verse 6b-7a: Die Nennung der Steppe und der Wüste nimmt den Anfang des Kapitels wieder auf: „Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie. Sie wird prächtig blühen und sie wird jauchzen, ja jauchzen und frohlocken. Die Herrlichkeit des Libanon wurde ihr gegeben, die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon. Sie werden die Herrlichkeit des HERRN sehen, die Pracht unseres Gottes.“ (Verse 1-2). Zum dort beschriebenen Erblühen wird das Wasser ergänzt. Während am Anfang des Buches Wasser eher ein Instrument Gottes für das Gericht ist (siehe zum Beispiel Jesaja 1,30: „Ja, ihr werdet wie eine Eiche, deren Blätter verwelken, und wie ein Garten, der kein Wasser hat.“), wird es nun zu einer wichtigen Metapher für Gottes Gnadenhandeln. Die Rückkehr nach Zion kennt keinen Ausgangspunkt, sondern der Fokus liegt völlig auf dem Ziel! In Vers 9b werden die Rückkehrer als „Erlöste“, d.h. von Gott freigekaufte, bezeichnet, die den durch Gott ermöglichten Weg gehen können. Bemerkenswert ist, dass die aufblühende Wüste nicht das Ziel, sondern der nur der Weg ist. Aufgrund des Wassers wandelt sich nun der Weg, von etwas Menschenwidrigem zum Sinnbild für Gottes Fürsorge.