Was für eine Verheißung! Gottes Willen wird den Menschen ins Herz eingeschrieben sein und eine persönliche und direkte Beziehung zu Gott ermöglichen. Das wird der wahre, „neue Bund“ für Israel sein.
1. Verortung im Buch
„Trostbüchlein“ – so werden die Kapitel 30 und 31 im Buch Jeremia genannt. Ohne direkten zeitgeschichtlichen Bezug beanspruchen sie eine überzeitliche Gültigkeit. Sie sind direktes Gotteswort und verkünden durch sechs Gedichte und einen erzählenden Rahmen, dass es umwälzende Veränderungen bedarf, damit der Zustand des Heils wieder erreicht werden kann. Auch wenn die Kapitel aus sich heraus, keine zeitliche Verortung angeben, so stehen sie im Buchkontext zwischen der Belagerung und Einnahme Jerusalem im Jahr 597 v. Chr. (siehe Jeremia 29) und der folgenden fast vollständigen Zerstörung im Jahr 588 v. Chr. (siehe Jeremia 32). In dieser größten Katastrophe der alttestamentlichen Geschichtsschreibung wirken Jeremia 30-31 wie ein „fester Anker der Hoffnung“ (Carl Friedrich Keil). In Jeremia 30-31 eröffnet dieses Prophetenbuch die Perspektive, dass Heil nach dem Leid und Gericht möglich ist.
Bereits in Jeremia 11,10-11 erklärt Gott, dass der bisherige Bund zwischen ihm und seinem Volk gebrochen ist und das Unheil unabwendbar ist: „Sie sind zurückgekehrt zu den Sünden ihrer Vorväter, die sich weigerten, meinen Worten zu gehorchen. Auch sie sind fremden Göttern nachgelaufen, um ihnen zu dienen. Das Haus Israel und das Haus Juda haben meinen Bund gebrochen, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe. Darum - so spricht der HERR: Siehe, ich bringe Unheil über sie, dem sie nicht entgehen können. Schreien sie dann zu mir, so werde ich nicht auf sie hören.“ Die in Jeremia 31,31-34 entfaltete Hoffnungsperspektive ist bereits zuvor im Buch des Propheten vorbereitet: „Ich gebe ihnen ein Herz, damit sie erkennen, dass ich der HERR bin. Sie werden mein Volk sein und ich werde ihr Gott sein; denn sie werden mit ganzem Herzen zu mir umkehren.“ (Jeremia 24,6).
2. Aufbau
Die Verheißung des neuen Bundes ist strukturell von der Gegenüberstellung des Sinai-Bundes (Vers 32) mit dem Inhalt des neuen Bundes (Vers 33): „Nicht wie …, sondern …“.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 31: Im Alten Testament ist nur hier die Rede von einem „neuen Bund“. Die Idee, dass Gott mit seinem Volk einen erneuerten Bund schließt findet sich jedoch häufiger in den Schriften der Propheten. So steht zum Beispiel im Buch Ezechiel folgendes Gotteswort: „Ich aber, ich werde meines Bundes mit dir aus den Tagen deiner Jugend gedenken, und ich werde einen ewigen Bund für dich aufrichten.“ (Ezechiel 16,60). Während in diesem Gotteswort eher die Kontinuität und die Erneuerung, bzw. Verbesserung im Fokus steht, wird in Jeremia 31,31 die Neuheit des Bundes betont und somit ein Bruch markiert. Zwar besitzt dieser neue Bund eine gewisse Kontinuität mit dem Bund von Sinai: die Initiative geht vom Gott aus, die Tora ist die Grundlage und es geht um die Beziehung Gottes zu seinem Volk. Doch dieser neue Bund markiert einen neuen Anfang der göttlich-menschlichen Beziehung – ohne Bedingungen wird der Bund in die Herzen der Menschen eingeschrieben und sein Bestand wird durch die göttliche Gnade gewährleistet (siehe Vers 33). Dieser neue Bund wird sowohl mit dem Nordreich Israel als auch mit dem Südreich Juda geschlossen werden – und zielt auf die Beziehung des Gottesvolkes Israel mit seinem Gott. Dass beide Königreiche genannt werden, trägt der geschichtlichen Gegebenheit Rechnung, dass es zwei israelitische Königreiche gab. Wie Vers 33 aber durch die alleinige Nennung Israels verdeutlicht, handelt es sich um eine zweigeteilte Einheit, wie sie unter den Königen Saul, David und Salomo gegeben war.
Vers 32: Bevor das Neue des Bundes definiert wird (siehe Vers 33), geschieht die deutliche Abgrenzung zum vom Volk gebrochenen Sinai-Bund (siehe Exodus 19-24). Die Betonung, dass der Befreiungsakt aus Ägypten diesem Bund vorausgegangen war und dessen Fundament bildete, dramatisiert die Aussage, dass Israel den Bund gebrochen hat, zusätzlich. Zudem wird in der hebräischen Syntax der Kontrast zwischen Gott und seinem Volk zusätzlich betont: Im Hebräischen müssen Personalpronomen nicht benutzt werden, da sie in der Form des Verbs enthalten sind – hier jedoch stehen „sie“, das Volk Israel, und das göttliche „ich“ sich gegenüber. Die antike, griechische Übersetzung (genannt Septuaginta) bietet einen interessanten abweichenden Text hier: „denn sie hielten an meinem Bund nicht fest, und ich habe mich nicht um sie gekümmert“. In dieser Leseweise gibt Gott sich eine Mitschuld daran, dass das Volk seinen Bund gebrochen hat und so ist eine Überleitung zum folgenden Vers geschaffen, der im hebräischen Text stärker als Kontrast wirkt.
Vers 33: Die Bundestafeln vom Berg Sinai waren auf Stein gemeißelte Worte (siehe Exodus 24,12). Zwar geht das Buch Deuteronomium davon aus, dass die Tora Gottes ihren Weg in das menschliche Herz – und das bedeutet den menschlichen Verstand - finden wird, bzw. schon darin zu finden ist: „Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.“ (Deuteronomium 30,14). Doch sowohl im Buch Deuteronomium als auch im Buch Jeremia wird klar benannt, dass das menschliche Herz nicht treu ist und sich leicht verführen lässt (Deuteronomium 10,16 und Jeremia 4,4). Daher geht der Prophet Jeremia davon aus, dass die Israeliten ein neues Herz für ihre Gottesbeziehung bedürfen (Jeremia 24,7). Das Neue an dem hier in Vers 33 verkündeten Bund wird an der hebräischen Syntax deutlich. Dass Gott seine Weisungen in die Mitte seines Volkes, in ihr Innerstes gegeben hat, ist als ein Akt der Vergangenheit formuliert. Dass Gottes Wille in ihre Herzen eingeschrieben wird, ist die für die Zukunft verkündete Handlung. Sie wird es ermöglichen, dass er wieder der Gott des Volkes Israel sein wird und Israel wieder das Volk Gottes sein wird.
Vers 34: Wenn der Wille Gottes im menschlichen Verstand / Willen eingeschrieben ist, dann bedarf es keiner Belehrung mehr. Zweimal wird in diesem Vers die “Erkenntnis Gottes” erwähnt und somit verdeutlicht, dass jeder im Volk eine direkte Erkenntnis Gottes haben wird. Es bedarf keiner Vermittlung wie im Falle des Sinai-Bundes, in dem Mose zwischen Gott und seinem Volk der Mediator war. Der neue Bund bedeutet somit eine persönliche, unmittelbare Beziehung zu Gott. Die Radikalität der Aussage, dass Gott fortan die Sünden nicht nur vergeben, sondern ihrer auch nicht mehr gedenken wird, wird deutlich, wenn man sie der Wesensbeschreibung Gottes in Exodus 34,6-7 gegenüberstellt: „Der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue: Er bewahrt tausend Generationen Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, aber er spricht nicht einfach frei, er sucht die Schuld der Väter bei den Söhnen und Enkeln heim, bis zur dritten und vierten Generation.“