Entscheidend ist nicht die Umkehr, sondern ob sie von Dauer ist! Oder: Liebe ist nicht gleich Liebe!
1. Verortung im Buch
Gott steht mit Israel in einem Rechtsstreit, dessen Ankläger und zugleich Richter er ist. Insgesamt ist das Buch Hosea entlang von drei Rechtsstreiten strukturiert, die alle überraschenderweise heilvoll für Israel enden. Am Anfang des Rechtsstreits im mittleren Teil des Buches (Hosea 4,1-11,11), aus dem der Lesungstext entnommen ist, steht ein wichtiger Leseschlüssel: „Hört das Wort des HERRN, ihr Söhne Israels! / Denn der HERR verklagt / die Bewohner des Landes: Es gibt keine Treue und keine Liebe / und keine Gotteserkenntnis im Land. 2 Nein, Fluch, Lüge, / Mord, Diebstahl und Ehebruch machen sich bereit, / Bluttat reiht sich an Bluttat. 3 Darum soll das Land verdorren, / alle seine Bewohner sollen verwelken, samt den Tieren des Feldes / und den Vögeln des Himmels; / auch die Fische im Meer sollen zugrunde gehen“ (Hosea 4,1-3) – die fehlende Liebe und die fehlende Gotteserkenntnis sind auch das Thema in der ersten Lesung dieses Sonntags.
Gott steht seinem Volk wie ein verzweifelter Vater gegenüber. Egal, ob er Heil (siehe Hosea 2,23-25) oder Unheil (siehe Hosea 5,1-7) verkündet, sein Volk kehrt doch nicht dauerhaft zu ihm zurück. Resignation macht sich breit: „Ja, sie haben den HERRN verlassen, / um sich an Unzucht zu halten“ (Hosea 4,10); „Efraim wird unterdrückt, / das Recht wird zertreten. Denn sie waren darauf aus, / dem Unrat hinterherzugehen“ (Hosea 5,11). Die Elternliebe, die Gott seinem Volk gegenüber zeigt, ist vergleichbar mit offenen, weit ausgestreckten Armen, die doch leer bleiben. – Doch dann scheint es so, als würde das Volk endlich zu Gott durch ein Bußlied (Hosea 6,1-3) umkehren.
2. Aufbau
Kontrastreich stehen sich das Bußlied in den Versen 1-3 und die negative Antwort Gottes in den Versen 4-6 gegenüber. Die verwendeten Metaphern sprechen eine deutliche Sprache: Der Verlässlichkeit des Gottes, auf den man sich verlassen kann, wie auf das Kommen des Morgenrotes und den letzten Regen im Frühling und den ersten Regen im Herbst (Vers 3), steht die Treue des Volkes, die wie sich auflösender Morgennebel und sich verflüchtigender Tau ist (Vers 4), gegenüber. Entscheidend sind im Textverlauf die Gotteserkenntnis (Verse 3 und 6) und die Liebe (Verse 4 und 6) – das Volk und Gott definieren diese beiden Begriffe sehr unterschiedlich.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 3: Morgenrot, also das morgendliche Aufgehen der Sonne, und noch mehr der Regen, insbesondere der frühe Herbstregen und der späte Frühjahrsregen, sind wichtige Lebensnotwendigkeiten! Als eine solche wird auch Gott vom Volk erkannt. Eigentlich bedeutet die „Erkenntnis von JHWH“, die Einsicht in das Wesen und die Bedeutung seines Namens (siehe Hosea 2,22). Eine solche Erkenntnis ist die Grundlage für eine wahrhaftige Beziehung zu Gott, die zum Beispiel Mose Gottes Volk im Buch Deuteronomium anbietet: „Du wirst ihn auch finden, wenn du dich mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele um ihn bemühst“ (Deuteronomium 4,29). Die Bedingung dafür ist aber die ehrliche, wahrhafte, dauerhafte Umkehr!
Vers 4: Die wiederholte Frage „Was soll ich mit dir tun?“, einmal bezogen auf das Südreich Juda und einmal auf das Nordreich Israel zeigt bereits Gottes Frustration. Aber scheinbar hat sich das Volk doch zu Gott bekehrt; Gott erwähnt auch explizit die „Liebe“, die ihm sein Volk entgegenbringt. Das hier und in Vers 6 verwendete hebräische Wort חסד (gesprochen: chesed) meint sowohl einen Liebeserweis als auch Beziehungs- bzw. Bündnisloyalität. Die gewählten Metaphern, die diese „Liebe“ Israels beschreiben verdeutlichen jedoch, dass ihr die Beständigkeit, die das Volk ja in der Liebe seines Gottes erkennt, fehlt. Das Bild von der „Wolke am Morgen“ sollte besser mit „Bodennebel“, der am Sommermorgen schnell wie der Frühtau wieder verschwindet, übersetzt werden. Die Liebe des Volkes ist nur flüchtig – deutlich wird dies im Bußlied in den Versen 1-3 auch daran, dass das Volk selbst den Fokus nicht auf seine Schuld legt; es mangelt dem Volk an Schulderkenntnis.
Vers 5: Das Volk ist nicht wirklich umgekehrt, sondern handelt immer noch so, wie die vorherigen Generationen, die ebenso nicht auf die Mahnungen der Propheten gehört haben. Hier spiegelt sich auch die Frage Gottes „Was soll ich tun?“ aus dem vorherigen Vers wider – die Propheten haben nicht nur das Wort Gottes überbracht, sondern den Tod für die Gegner Gottes gebracht (vgl. 1 Kön 18,40; 19,16-17; 2 Kön 9-10). Und im Buch Hosea wird auch die enge Verbindung des Prophetenwortes zum Gotteswort deutlich. Hosea leitet die Gottesworte nicht ein, sondern sie werden direkt vom Propheten gesprochen, ganz so als sei das „Ich“ des Gottes und des Propheten eins. Eigentlich soll das Auftreten der Propheten dazu führen, dass das göttliche Gesetz vom Volk anerkannt wird – und dieses „Licht“ die Nebel (Vers 4) durchbricht.
Vers 6: Nun werden die Schlachtopfer thematisiert, das sie zu dem Kontext einer Bußzeremonie, aus der das Bußlied in den Versen 1-3 stammt, gehört. Grammatikalisch gibt es zwei Übersetzungsmöglichkeiten: Nicht Opfer, sondern Lieben? Oder nicht nur Opfer, sondern eher Liebe? Im Buch Hosea spiegelt sich eine deutliche Kultkritik wider. Ohne Liebe und Gotteserkenntnis ist der Kult wie auch die Umkehr sinnlos, vgl. Hos 5,6: „Mit ihren Schafen und Rindern werden sie ausziehen, / um den HERRN zu suchen, doch sie werden ihn nicht finden: / Er hat sich ihnen entzogen“. Ein oberflächlicher Kult ohne das Ziel eine wahrhafte Beziehung zu Gott ein zu gehen, ohne ihn wirklich zu lieben und ihn erkennen zu wollen, ist eben nichts anderes als flüchtiger Nebel, bzw. im Falle des Opfers, verziehender Rauch.