Abraham ist nicht nur einer der Erzeltern. Sondern er ist auch jemand, dessen Geschichte aufzeigt, dass Gastfreundschaft zum Akt der Nächstenliebe an Gott werden kann.
1. Verortung im Buch
Schon bevor Gott Abraham beruft und ihn in das verheißene Land, das später seinen Nachkommen gehören soll, führt, erfährt der Leser und die Leserin, dass seine Frau unfruchtbar sei und keine Kinder hatte (siehe Genesis 11,30). Und doch erklingt durch die Erzählungen immer wieder die Verheißung einer zahlreichen Nachkommenschaft (siehe Gen 13,16; 15,18). Immer ist diese Verheißung nur an Abraham und nicht an seine Frau gerichtet. In Gen 15 wird dann Abraham endlich ein Sohn geboren – nicht von Sara, sondern von ihrer Sklavin Hagar. Aber wie in Genesis 17 deutlich wird gilt die Verheißung Abraham und Sara: „Meinen Bund aber richte ich mit Isaak auf, den dir Sara im nächsten Jahr um diese Zeit gebären wird.“ (Genesis 17,21). Diese explizite Verheißung wird in Genesis 18 wiederholt und anders erzählt. Und in Genesis 21 beginnt sich die Verheißung einer zahlreichen Nachkommenschaft anfangsweise zu verwirkliche: Isaak wird geboren.
2. Aufbau
Die Erzählung, an deren vorläufigen Ende, die Geburt Isaaks verheißen wird, beginnt mit einer Erscheinung Gottes in drei Personen (Verse 1-2a). Sie, die plötzlich am Eingang des Zeltes Abrahams stehen, werden von ihm in herzender Gastfreundschaft zur Einkehr eingeladen (Verse 2b-5) und bewirtet (Verse 6-8). Daran schließt sich ein Dialog zwischen einem der Gäste und den beiden Erzeltern bis Vers 15 an. Hiervon ist nur der Anfang Teil des Lesungstextes – und der Erzählung fehlt einer der erzählerischen Höhepunkte. In Vers 11 berichtet der Erzähler, dass sowohl Abraham und vor allem Sara nicht mehr in einem Alter waren, um Kinder zu kriegen (siehe auch Genesis 17,17). Und auf das ungläubige Lachen Sarahs als Reaktion auf das verheißene Gotteswort antwortet Gott mit der rhetorischen Frage: „Ist denn beim HERRN etwas unmöglich?“ (Genesis 18,14).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-2a: Die Erzählung in Genesis 18,1-15 ist verwirrend. Im ersten Vers wird das folgende Geschehen als eine Gotteserscheinung überschrieben, aber im dann Folgenden erscheint nicht Gott, sondern drei Männer (siehe dazu „Auslegung“). Und es entfaltet sich das Thema der Gastfreundschaft: Plötzlich sieht Abraham drei fremde Männer, die mitten in der Mittagshitze unterwegs sind, statt geschützt vor der brennenden Sonne irgendwo eingekehrt zu sein.
Verse 2b-5: Abraham eilt den fremden Männern entgegen und offeriert ihnen seine Gastfreundschaft. Er bietet sich ihnen als williger Diener an und verhält sich als ein Niedriggestellter: Er wirft sich vor ihnen nieder und er bezeichnet sich als Diener. Bemerkenswert ist, dass Abraham es als seine Aufgabe erkennt, die Fremden auf ihrem Weg einkehren zu lassen und sie für ihren Weg zu stärken: „denn deshalb seid ihr doch bei eurem Knecht vorbeigekommen“. Seine Gastfreundschaft ist Dienst am Anderen, der plötzlich da ist.
Verse 6-8: Die Einkehr der drei Männer – die Annahme der Gastfreundschaft – bedeutet weitere Eile für Abraham. Das Mahl, das er ihnen bereitet ist nicht nur „ein Bissen Brot“. Die Maßeinheit „Sea“, die hier für das Mehl angegeben wird, beträgt ca. 6 oder 7 Liter. Und das Schlachten eines Kalbs für die Gäste, stellt für einen Normaden, als der Abraham in den Geschichten dargestellt wird, eine wertvolle Gabe dar. Von dem Festmahl essen jedoch weder Sara, die das Brot zubereitet hat, noch Abraham selbst etwas, sondern alles ist für die fremden drei Männer gedacht. Die Gastfreundschaft ist ein reiner Akt der Nächstenliebe.
Verse 9-10a: Nach dem Mahl übernehmen die drei Fremden erstmals die Führung der Handlung: Sie fragen danach, wo Abrahams Frau ist – und sie wissen, wie sie heißt. Auf die kurze Antwort Abrahams: „Dort im Zelt“, spricht dann unvermittelt nur noch einer der drei, ohne dass der Leser und die Leserin erfahren, wer dieser eine ist. Im hebräischen Text könnte man grammatikalisch auch annehmen, dass in Vers 10 weiterhin Abraham spricht. Die ungenannte Person wiederholt Gottes Verheißung an Abraham aus dem vorherigen Kapitel: „Meinen Bund aber richte ich mit Isaak auf, den dir Sara im nächsten Jahr um diese Zeit gebären wird.“ (Genesis 17,21).