Die Schöpfung der Welt steht am Anfang der Bibel und ihre Krone ist weder der Mann noch der Mensch. Mit ihr wird eine unnatürliche Zeit eingeführt.
1. Verortung im Buch
Am Anfang der Bibel wir die Welt zweimal erschaffen: im ersten Schöpfungsbericht (Genesis 1,1-2,3) und im zweiten Schöpfungsbericht (Genesis 2,4—3,24). Mit diesem doppelten Anfang beginnt die sogenannte Urgeschichte der Menschheit, die die Welt an den Rand der Vernichtung bringt (Genesis 1-11). Doch der sechs Tage durch sein Wort die Welt erschaffende Gott, der am siebten Tag schweigt und ruht, ist der sich am Sinai in der Wüste seinem Volk, nach dem er sechs Tage geschwiegen hat, am siebten Tag offenbarende Schöpfer der Welt und Gott Israels (Ex 24,15b-25,1).
2. Aufbau
In sieben Tagen werden der Raum und die Zeit geschaffen und gefüllt, in denen der Mensch als Ebenbild Gottes lebt. Im immergleichen, stetigen Muster schreitet die Schöpfungswoche voran entlang der Tage: „Und Gott sprach…“, „und es geschah so…“, „und Gott sah es als gut an“, „es wurde Abend und es wurde Morgen …“. Doch der Text beginnt schon vor der Schöpfung mit der Beschreibung des Urzustandes in Vers 2, aus dem heraus Gott alles schafft, wie der erste Vers der Bibel ankündigt und Genesis 2,3 abschließend feststellt.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Die Bibel beginnt mit der Schöpfung der Welt, jedoch nicht explizit mit dem Gott Israels. Im ersten Vers, der die Überschrift zum ersten Schöpfungsbericht angibt, wird nicht der Gottesname genannt, sondern das hebräische Wort אֱלֹהִים (gesprochen: elohim), das sowohl eine Vielzahl von Göttern als auch den einen Gott bezeichnen kann. Im Verlauf des Textes zeigen die Verben deutlich, dass es um einen Gott geht, der aber nicht konkret identifiziert wird. Dieser eine Gott ist es, der alles zwischen Himmel und Erde geschaffen hat. Das für die Schöpfung der Welt verwendete hebräische Verb בָּרָא (gesprochen: bar‘a) hat im gesamten Alten Testament nur Gott als Handlungsträger.
Vers 2: Es gab keine Schöpfung aus dem Nichts, sondern es gab bereits eine Vorwelt. Im Zentrum des Schöpfungsberichtes steht die Erschaffung der Lebenswelt des Menschen. Zwar bedeutet das sprichwörtliche „Tohuwabohu“ (תֹהוּ וָבֹהוּ) „Leere“ oder „Nichtiges“, aber die Welt wird aus der Finsternis und aus den grenzenlosen Urwassern heraus geschaffen. Der folgende 'Bericht' schildert das Entstehen der lebendigen Ordnung mit ihren Grundkategorien Zeit und Raum, indem die רוּחַ (gesprochen: ru’ach) Gottes, aktiv sich in unablässiger Bewegung befindet, aber noch nicht handelt. Wie die Finsternis befindet sie sich auf der Oberfläche der Urfluten. Die Übersetzung mit „Geist Gottes“ ist nicht falsch, in dem Wort schwingen aber auch die Bedeutungen „Windhauch“ und „Atem“ mit. Es ist dieser Atem, dem das erste schöpferische Wort Gottes folgt.
Verse 3-5: Indem Gott in die Finsternis hineinspricht, entsteht Licht. So ist das erste Schöpfungswerk bereits eine Heilsbotschaft: Das Wort Gottes, wie es später die Propheten verkünden, ist selbst ohne ein Tun Gottes eine schöpferische Kraft und wirkmächtig. Die Schaffung des Lichtes bedeutet das Entstehen der Zeit als erstes Schöpfungswerk. Wie ein Handwerker oder Künstler, der seine Arbeit mit der Prüfung des Hergestellten beendet, begutachtet Gott seine Werke als gut, bevor er voranschreitet. Und so trennt er von der Finsternis und lässt Tag und Nacht entstehen, die den weiteren Rhythmus des Schöpfungsberichts und der Menschheit bestimmt. Die dazugehörige Benennung von Finsternis und Licht als Tag und Nacht ist dabei keine Lappalie: Sie ist ein Akt der Herrschaftsausübung. Gott herrscht über den grundlegenden Lebensrhythmus.
Verse 6-10: Am zweiten Schöpfungstag entsteht Raum, indem die Urwasser geteilt werden und ein Oben und ein Unten entsteht. Die zugrundeliegende Vorstellung ist sehr plastisch: Die „Feste“ ist wie eine Platte, die in Ijob 37,18 mit einem Glasspiegel verglichen wird; an ihr hängen gemäß Vers 17 Sonne und Mond. Die Verbindung des Himmels mit den Urwassern zeigt sich noch in dem es bezeichnenden hebräischen Wort שָׁמַיִם (gesprochen: schamajim), in dem das Wort für Wasser, מַיִם (gesprochen: majim) enthalten ist. Erst am dritten Schöpfungstag wird die Entstehung des Raums abgeschlossen. Die Landflächen werden nicht erschaffen, sondern sie sind das Ergebnis einer Begrenzung der Wasser. Der trockene Boden wird sozusagen nur sichtbar gemacht.
Verse 11-13: Durch das zweite Schöpfungswerk am dritten Tag wird der geschaffene Raum zum Lebensraum. Deutlich wird zwischen der Pflanzenwelt unterschieden, die aus dem Erdboden entsteht, und den Tieren und Menschen, die als eigentliche Lebewesen gelten. So entsteht die Pflanzenwelt durch einen Befehl an die Erde, sie solle „Grün grünen“ lassen. Unterschieden wird zwischen holzenden und nicht-holzenden, samenbildenden und Früchte tragenden Gewächsen.
Verse 14-19: Die Schaffung der Gestirne am vierten Schöpfungstag ist keine Wiederholung der Schöpfung von Tag und Nacht, sondern sie dienen dazu: (1.) durch ihren Lauf Tag und Nacht zu unterscheiden; (2.) die Orientierung für die Feste im Jahresverlauf zu geben; (3.) das Licht auf die Erde zu lenken. Die späte Schöpfung der Gestirne wie Sonne und Mond ist nach diesem Weltbild erst jetzt möglich, weil es am ersten Tag noch keine Feste gab, an der sie hätte befestigt werden können. In der Aussage, dass die nicht-genannte Sonne und der nicht-genannte Mond über Tag und Nacht herrschen, spiegelt sich vielleicht eine Abgrenzung zum im alten Orient verbreiteten Glauben an den Mondgott und den Sonnengott. Sonne und Mond herrschen nicht über den Menschen, sondern nur über Tag und Nacht und ihr Licht ist eine Schöpfung des einen Gottes.
Verse 20-23: Am fünften Schöpfungstag wird erstmals nach Vers 1 nun für den Anfang der Erschaffung der Lebewesen wieder das Verb בָּרָא verwendet, das exklusiv für die Schöpfungshandlungen Gottes steht. Zuerst werden die Gebiete der Welt mit Tieren besiedelt, die dem Lebensraum der Menschen fern sind: Himmel und Meere. Erstmals segnet Gott auch einen Teil seiner Schöpfung und befähigt die Tiere im Himmel und in den Meeren – ebenso wie später den Menschen – fruchtbar zu sein, sich zu vermehren und sich auszubreiten.
Verse 24-25: Dem Menschen ist kein eigener Schöpfungstag gewidmet, sondern am sechsten Tag werden die Menschen zusammen mit den Landtieren erschaffen. Dies könnte daran liegen, dass sich beide einen gemeinsamen Lebensraum teilen und daher auch ihr Verhältnis zueinander geklärt werden muss. Es fällt auf, dass den Landtieren kein Mehrungssegen zuteilwird. Wie im Falle der Pflanzen wird die Erde aufgefordert die in Vieh, Kriechtiere und Wild unterschiedenen Landtiere hervorzubringen, aber auf diesen Befehl folgt Gottes schöpferisches Handeln: Er macht die Landtiere.
Verse 26-31: Die Schöpfung des Menschen ist der letzte schöpferische Akt Gottes. Die Selbstaufforderung Gottes zur Erschaffung des Menschen unterscheidet sie deutlich von allem bisherigen und zudem wird nach Vers 1 und Vers 21 wieder das Verb בָּרָא verwendet. Der in der Rede ausgedrückte Plural („Lasst uns“) ist kein Hinweis auf einen zugrundliegenden Polytheismus, sondern Gott schließt in seiner Entscheidung seinen Hofstaat mit ein, der zum alttestamentlichen Welt- bzw. Himmelbild gehört (siehe Psalm 29,1-2). An der Menschenschöpfung ist der Hofstaat jedoch nicht direkt beteiligt. Der Mensch wird als Mann und (!) Frau zum Ebenbild Gottes geschaffen. Das diesem Konzept zugrundeliegende hebräische Wort צֶלֶם (gesprochen: zäläm) meint eine „Statue“ oder „Stele“. Dies ist auf dem Hintergrund der Bedeutung von Götterstatuen im Alten Orient zu verstehen. In ihnen wurden die Götter als in der Welt anwesend gedacht; sie waren eine Repräsentation des Dargestellten. Die Israeliten, die in ihrem Tempel keine Götterstatue hatten, erklärten den Menschen selbst zum Repräsentanten Gottes in der Schöpfung. Zugleich ist der Mensch jedoch ein Stellvertreter Gottes, der ihm nur „ähnlich“ ist. Sowohl als Mann als auch als Frau ist der Mensch ein Mandatar Gottes auf Erden – und das gilt für jeden Menschen; nicht nur für den König, wie es altorientalische Texte nahelegen. Im Segenszuspruch wird der Mensch direkt von Gott als ein Gegenüber angesprochen. Diese direkte Anrede markiert einen grundlegenden Unterschied zwischen den Tieren und den Menschen. Wie sie sollen sie sich vermehren und ausbreiten, aber nur der Mensch soll sich die Erde unterwerfen und über die Tiere herrschen. Die hierfür verwendeten Verben beinhalten eine gewalttätige Komponente: „niedertreten“, „unterwerfen“ und „erniedrigen“ – das ist das Bedeutungsspektrum des verwendeten hebräischen Wortes (כִּבֵּשׁ, gesprochen: kibesch). Und die Tiere sollen wir „beherrschen“, „niedertreten“ und „unterdrücken“ – so könnte man den letzten Auftrag dieses Verses, der mit dem hebräischen Wort רָדָה (gesprochen: rada) formuliert ist, übersetzen. Beiden Wörtern ist die Konnotation „treten“ gemeinsam. Es geht um zwei Herrschaftsakte: die Unterwerfung des Lebensraums und die Herrschaft über die Tiere, mit denen die Menschen den gemeinsamen Lebensraum teilen. Die Herrschaftsgewalt wird jedoch durch zwei Aspekte begrenzt: (1.) der Mensch ist zum Ebendbild Gottes erschaffen und daran richtet sich sein Herrschen aus; (2.) gemäß der idealen Schöpfungsordnung sind die Tiere und der Mensch keine Nahrungskonkurrenten und der Mensch darf die Tiere nicht töten – auch nicht als Nahrung (siehe hingegen Genesis 9,1-7). Zu bemerken ist auch, dass im ersten Schöpfungsbericht der Mensch als einziges Lebewesen explizit als Mann und Frau unterschieden wird, aber anders als bei den Tieren keine weitere Unterscheidung (z.B. Hautfarbe, Lebensraum etc.) vorgenommen wird. Das diesen sechsten Tag abschließende Urteil Gottes „sehr“ gut bezieht sich nicht nur auf den Menschen, auch nicht auf die erschaffenen Lebewesen, sondern auf das Gesamtwerk.
Verse 1-3: Innerhalb von sechs Tagen ist die Welt erschaffen, aber endgültig ist sie erst durch den siebten Tag vollendet. Das Schöpfungswerk ist beendet und die Ruhe Gottes markiert den Abschluss. Hierdurch wird der siebte Tag abgesondert von den vorherigen Tagen. In dem hebräischen Wort für „siebte“ (שְׁבִיעִי, gesprochen: schevi’i) klingt das hebräische Wort für „Segensfülle“ (שֶׁבַע, gesprochen: scheva) an. Sie liegt in der Ruhe, die mit dem Verb שָׁבַת (gesprochen: schabat) ausgedrückt wird, das auf den heiligen Sabbat verweist. Die Schöpfung der Welt beginnt mit der Schaffung der Zeit, deren Höhepunkt der Sabbat als Ruhetag ist.