Lesejahr B: 2023/2024

1. Lesung (Ex 24,3-8)

3Mose kam und übermittelte dem Volk alle Worte und Rechtssatzungen des HERRN. Das ganze Volk antwortete einstimmig und sagte:

Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun.

4Mose schrieb alle Worte des HERRN auf.

Am frühen Morgen stand er auf und errichtete am Fuß des Berges einen Altar und zwölf Steinmale für die zwölf Stämme Israels. 5 Er schickte die jungen Männer der Israeliten aus und sie brachten Brandopfer dar und schlachteten junge Stiere als Heilsopfer für den HERRN. 6Mose nahm die Hälfte des Blutes und goss es in eine Schüssel, mit der anderen Hälfte besprengte er den Altar. 7Darauf nahm er das Buch des Bundes und verlas es vor dem Volk. Sie antworteten:

Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun; und wir wollen es hören.

8Da nahm Mose das Blut, besprengte damit das Volk und sagte:

Das ist das Blut des Bundes, den der HERR aufgrund all dieser Worte mit euch schließt.

Überblick

Kurz und knapp wird nicht nur das heilsgeschichtlich bedeutende Ereignis des Bundes zwischen Gott und Israel erzählt, sondern auch die Grundsteinlegung dessen, was in der jüdisch-christlichen Tradition „Heilige Schrift“ genannt wird.

 

1. Verortung im Buch

Die Erzählung in Exodus 24 stellt einen erzählerischen Höhepunkt in der Heilsgeschichte Gottes mit Israel dar. Der Bund zwischen dem Gottesvolk und seinem Gott wird nach dem Auszug aus Ägypten besiegelt. Diesen Bund hatte Gott dem Volk kurz nach der Ankunft am Berge Sinai verheißen: „Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein.“ (Exodus 19,5; siehe auch 6,7). In Exodus 19,8 nimmt Israel das Bundesangebot bereits an – in Exodus 24 stimmt es den Einzelheiten des Bundes zu. Der nun geschlossene Bund wird jedoch bereits in Exodus 32, der Erzählung vom Goldenen Kalb durch Israel wieder gebrochen werden. In Exodus 24,1 fordert Gott Mose dazu auf, mit Aaron, Nadab, Abihu und mit siebzig von den Ältesten Israels hinauf auf den Gottesberg zu steigen und sich vor Gott niederzuwerfen, so wie es gemäß dem Dekalog Gott gebührt (Exodus 20,5). Diese Aufforderung erfüllen die Genannten in den Versen 9-11 nach dem Bundeschluss (Verse 3-8). Doch in Exodus 32,8 wird Gott dann feststellen: „Schnell sind sie von dem Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sich vor ihm niedergeworfen und ihm Opfer geschlachtet, wobei sie sagten: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.“

 

2. Aufbau

In den Versen 3-4 kommt das Wort „alle“ (כל, gesprochen: kol) fünfmal vor: „alle Worte“, „alle Rechtssetzungen JHWHs“, „alles, was JHWH gesagt hat“ – all diesem stimmten „alle des Volkes“ (siehe auch Vers 7) zu, und dann schrieb Mose „alle Worte JHWHs“ nieder (siehe auch Vers 8). Die niedergeschriebenen Worte Gottes stehen dann im Mittelpunkt des Blut- und Buchritus. Dreimal steht in den Versen 6-8 über Mose ausgesagt: „und dann nahm er“ (ויקח, gesprochen: va-jikach). Erst nimmt er die eine Hälfte des Blutes und besprengt damit den Altar (Vers 7), später nimmt er dann die zweite Hälfte und besprengt damit das Volk (Vers 9). Dazwischen nimmt er das Bundesbuch zur Hand und liest es dem Volk vor (Vers 8). Dass im Zentrum des Bundes das Bundesbuch steht, wird deutlich im Deutewort in Vers 8: „Das ist das Blut des Bundes, den der HERR aufgrund all (כל) dieser Worte mit euch schließt.“

 

3. Erklärung einzelner Aspekte

Vers 3: Nachdem Mose in Exodus 19,24 zu Gott hinauf auf den Sinai-Berg gestiegen war, kommt er nun erstmals wieder hinunter und „erzählt“ dem Volk alle Worte und Rechtssatzungen, die Gott ihm verkündet hat. Das verwendet hebräische Verb ist hier ספר, das kein wortgenaues Übermitteln beschreibt, sondern ein Bericht oder vielleicht eine zusammenfassende Mitteilung. Der eigentliche Wortlaut wird dem Volk erst in Vers 7 verkündet. Mose erzählt dem Volk von „allen Worten und Rechtssatzungen“. Im weiteren Verlauf wird nur noch Bezug genommen auf „alle Worte JHWHs“. Zuvor wird in Exodus 21,1 der Dekalog als „Worte“ eingeführt – jedoch bezieht sich Vers 3 nicht auf den Dekalog – dieser wird von Gott selbst verschriftlicht (siehe Exodus 24,12). Im hebräischen Text ist das Wort „Rechtssatzungen“ als Erklärungszusatz zu „alle Worte“ zu verstehen und bezieht sich auf die Rede Gottes zu Mose in Exodus 20,22-23,23, insbesondere die in Exodus 21,1-23,13 aufgeführten Rechtsvorschriften. Die Antwort des Volkes auf den Bericht Moses bestätigt fast wörtlich Exodus 19,7-8 – es gibt jedoch einen bedeutenden Unterschied in der Formulierung: Nun antwortet das Volk nicht nur „gemeinsam“, sondern vereint „mit einer Stimme“.  

Vers 4: Erstmals in der Erzählung der Bibel wird der Wille Gottes niedergeschrieben – ohne das zuvor von Gott ein Verschriftungsbefehl ergangen ist. Dann setzt die Erzählung zeitlich neu ein. Am nächsten Morgen baut Mose einen Altar am „Fuß des Berges“; dort wo das Volk bei der Gotteserscheinung in Exodus 19,17 gestanden hatte. Die Formulierung des Altarbaus ist im Hebräischen nicht eindeutig. Entweder errichtete Mose einen Altar und zusätzlich die zwölf Steinmale, die die zwölf Stämme Israels symbolisieren. Oder, was wahrscheinlicher ist, Mose errichtet aus den zwölf Stelen den Altar (vgl. 1 Könige 18,32). In der damaligen Zeit waren solche Gedenkmale oft unbehauene Steine, womit auch das Altargesetzt in Exodus 20,25 eingehalten wäre: „Wenn du mir einen Altar aus Steinen machst, so sollst du ihn nicht aus behauenen Quadern bauen. Du entweihst ihn, wenn du mit einem Meißel daran arbeitest“ (auch die Nennung der Opferarten in Vers 5 stimmt mit Exodus 20,24 überein). So bilden sozusagen die Zwölf Stämme, die in den zwölf Steinmalen symbolisiert sind, den Altar und somit einen Präsenzort Gottes.

Vers 5: Der Sinn davon, dass die „jungen Männer“ losgeschickt werden, um die Opfer darzubringen, lässt sich erst erkennen, wenn man die Verse 9-11 in den Blick nimmt. Wie in Vers 1 angekündigt werden die Ältesten auf den Gottesberg hinaufsteigen zu einem Festmahl im Angesicht Gottes. Die Nennung beider Gruppen zeigt an, dass alle – von jung bis alt – beteiligt sind. Das genannte Opfertier, die jungen Stiere, werden im Buch Exodus ansonsten nur bei der Weihe der Priester und deren täglich darzubringenden Opfer genannt (siehe Exodus 29,1-46; siehe dazu auch die Erklärung zu Vers 8).

Vers 6: Blut symbolisiert die göttliche Gabe des Lebens und darf gemäß den alttestamentlichen Vorschriften nicht verzehrt werden. So wurde das Blut der Opfertiere stets am Altar vergossen (vgl. zum Beispiel Exodus 29,16; Levitikus 1,5).

Vers 7: Das Bundesbuch und somit die Rechtsvorschriften aus Exodus 21,1-23,13 werden dem Volk vorgelesen; wörtlich steht hier: „er rief in die Ohren des Volkes“. Das Volk stimmt den vorgelesenen Worten als Inhalt des Bundes zu. Doch die Reihenfolge der Formulierung ist verwirrend: „zu tun und zu hören“. Das Tun bezieht sich auf das Halten der Rechtssetzungen Gottes und das Hören drückt die Bereitschaft aus, auch weitere Anweisungen Gottes einzuhalten (vgl. Exodus 23,21 und auch Exodus 19,4-6).

Vers 8: Das Besprengen des Volkes mit Blut steht vielleicht für die verliehene priesterliche Würde. In Exodus 19,6 spricht Gott zu Israel: „... ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“ Bei der Priesterweihe wurde gemäß Exodus 29,20 und Levitikus 8,24 die Priester mit dem Blut der Opfertiere zu ihrem Dienst gesalbt. Oder das Volk wird durch den Akt der Besprengung als „zweiter Altar“, und somit als Ort der Nähe Gottes, markiert. In den in Vers 8 gegebenen Deuteworten der Besprengung des Volkes mit Blut wird eine enge Verbindung zwischen dem „Buch des Bundes“ (Vers 7) und dem „Blut des Bundes“ gezogen. Der Blutritus besiegelt die Annahme des Bundesbuches. Das Deutewort zeigt klar an, dass der Bund zwischen Gott und seinem Volk „aufgund all dieser Worte“, die im Bundesbuch niedergeschrieben sind, geschlossen wird. Religionsgeschichtlich wird oft der gesamte Blutritus (Verse 6 und 8) als Bundesschluss gedeutet, in dem das Blut, bzw. das Schicksal der Opfertiere als Drohung an die Vertragspartner gedeutet wird. Der Altar steht in dieser Deutung als Stellvertretung für Gott.

Auslegung

Begleitet von Opfern und viel Blut erzählt Exodus 24 von der Grundsteinlegung dessen, was in der jüdisch-christlichen Tradition „Heilige Schrift“ genannt wird. Die große Mittlerfigur Moses berichtet in einem ersten Schritt von allen Rechtssetzungen (Vers 3), die Gott ihm auf dem Berg offenbart hat – der erste Zugang zum Willen Gottes ist somit narrativ. Dem folgt die Verschriftlichung der Worte Gottes (Vers 4), die dem Volk dann wortgenau verlesen werden (Vers 7). So wird der Übergang von einer oralen Traditionsübermittlung hin zur Buchreligion erzählt. Perspektivisch tritt hier nun anfänglich das niedergeschrieben Wort an die Stelle Moses – nicht, weil Gott es entschieden hat, sondern weil Mose dies tut. Das niedergeschriebene Wort wird zur Grundlage für den Bund zwischen Gott und den Menschen – das Wort Gottes zu befolgen, bedeutet den Bund zu bewahren (Vers 8).

Als Bundespartner wird das Volk Israel in eine priesterliche Würde erhoben. Die Schlachtung und Darbringung von jungen Stieren (Vers 5) und die Besprengung mit Blut (Vers 8) ähneln einer alttestamentlichen Priesterweihe – Israel wird zu einem Königreich von Priestern (Exodus 19,6). Vielleicht wird gar Israel durch die Besprengung mit dem Blut, so wie auch der Altar mit Blut besprengt wird, zu einem zweiten, lebendigen Altar und somit zum Ort der Nähe Gottes. 

Kunst etc.

Mose mit den Tafeln des Dekalogs ist ein häufig in der Kunstgeschichte wiederkehrendes Motiv - wie zum Beispiel die Darstellung Moses von Hendrick De Somer, die vermutlich 1638 entstanden ist und unten in einen Ausschnitt zu sehen ist. Mose zeigt auf die Worte des Dekalogs, die von dem Künstler, der selbst kein Hebräisch konnte, als den hebräischen Schriftzeichen nachempfundenen Zeichen dargestellt sind. Dass Mose aber auch selbst Worte Gottes niederschrieb, hat in der jüdischen und christlichen Tradition eine hohe Bedeutung. Die Bücher Genesis bis Deuteronomium werden auf ihn als Autor zurückgeführt. Innerhalb des Pentateuchs wird mehrfach darauf verwiesen, dass Mose etwas niedergeschrieben hat. In Exodus 17 fordert Gott den Mose dazu auf, die Rettung Israels vor Amalek niederzuschreiben: „Da sprach der HERR zu Mose: Schreibe das zum Gedächtnis in ein Buch und präge es Josua ein!“ (Exodus 17,15). In Exodus 24 ist dann erstmals von der Niederschrift von Gesetzen die Rede. Und dieses Motiv hat für das Buch Deuteronomium, das die Abschiedsrede Mose darstellt, grundlegende Bedeutung: „Wenn du nicht alle Worte dieser Weisung, die in dieser Urkunde aufgezeichnet sind, bewahrst und sie hältst, aus Furcht vor diesem herrlichen und Furcht erregenden Namen, vor dem HERRN, deinem Gott, wird der HERR die Schläge, die er dir und deinen Nachkommen versetzt, über alles Gewohnte hinaus steigern zu gewaltigen und hartnäckigen Schlägen, zu schlimmen und hartnäckigen Krankheiten.“ (Deuteronomium 28,58-59, u.ö.).

Ausschnitt aus dem Gemälde „Moses“ (1638) von Hendrick de Somer
Ausschnitt aus dem Gemälde „Moses“ (1638) von Hendrick de Somer