Kurz und knapp wird nicht nur das heilsgeschichtlich bedeutende Ereignis des Bundes zwischen Gott und Israel erzählt, sondern auch die Grundsteinlegung dessen, was in der jüdisch-christlichen Tradition „Heilige Schrift“ genannt wird.
1. Verortung im Buch
Die Erzählung in Exodus 24 stellt einen erzählerischen Höhepunkt in der Heilsgeschichte Gottes mit Israel dar. Der Bund zwischen dem Gottesvolk und seinem Gott wird nach dem Auszug aus Ägypten besiegelt. Diesen Bund hatte Gott dem Volk kurz nach der Ankunft am Berge Sinai verheißen: „Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein.“ (Exodus 19,5; siehe auch 6,7). In Exodus 19,8 nimmt Israel das Bundesangebot bereits an – in Exodus 24 stimmt es den Einzelheiten des Bundes zu. Der nun geschlossene Bund wird jedoch bereits in Exodus 32, der Erzählung vom Goldenen Kalb durch Israel wieder gebrochen werden. In Exodus 24,1 fordert Gott Mose dazu auf, mit Aaron, Nadab, Abihu und mit siebzig von den Ältesten Israels hinauf auf den Gottesberg zu steigen und sich vor Gott niederzuwerfen, so wie es gemäß dem Dekalog Gott gebührt (Exodus 20,5). Diese Aufforderung erfüllen die Genannten in den Versen 9-11 nach dem Bundeschluss (Verse 3-8). Doch in Exodus 32,8 wird Gott dann feststellen: „Schnell sind sie von dem Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sich vor ihm niedergeworfen und ihm Opfer geschlachtet, wobei sie sagten: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.“
2. Aufbau
In den Versen 3-4 kommt das Wort „alle“ (כל, gesprochen: kol) fünfmal vor: „alle Worte“, „alle Rechtssetzungen JHWHs“, „alles, was JHWH gesagt hat“ – all diesem stimmten „alle des Volkes“ (siehe auch Vers 7) zu, und dann schrieb Mose „alle Worte JHWHs“ nieder (siehe auch Vers 8). Die niedergeschriebenen Worte Gottes stehen dann im Mittelpunkt des Blut- und Buchritus. Dreimal steht in den Versen 6-8 über Mose ausgesagt: „und dann nahm er“ (ויקח, gesprochen: va-jikach). Erst nimmt er die eine Hälfte des Blutes und besprengt damit den Altar (Vers 7), später nimmt er dann die zweite Hälfte und besprengt damit das Volk (Vers 9). Dazwischen nimmt er das Bundesbuch zur Hand und liest es dem Volk vor (Vers 8). Dass im Zentrum des Bundes das Bundesbuch steht, wird deutlich im Deutewort in Vers 8: „Das ist das Blut des Bundes, den der HERR aufgrund all (כל) dieser Worte mit euch schließt.“
3. Erklärung einzelner Aspekte
Vers 3: Nachdem Mose in Exodus 19,24 zu Gott hinauf auf den Sinai-Berg gestiegen war, kommt er nun erstmals wieder hinunter und „erzählt“ dem Volk alle Worte und Rechtssatzungen, die Gott ihm verkündet hat. Das verwendet hebräische Verb ist hier ספר, das kein wortgenaues Übermitteln beschreibt, sondern ein Bericht oder vielleicht eine zusammenfassende Mitteilung. Der eigentliche Wortlaut wird dem Volk erst in Vers 7 verkündet. Mose erzählt dem Volk von „allen Worten und Rechtssatzungen“. Im weiteren Verlauf wird nur noch Bezug genommen auf „alle Worte JHWHs“. Zuvor wird in Exodus 21,1 der Dekalog als „Worte“ eingeführt – jedoch bezieht sich Vers 3 nicht auf den Dekalog – dieser wird von Gott selbst verschriftlicht (siehe Exodus 24,12). Im hebräischen Text ist das Wort „Rechtssatzungen“ als Erklärungszusatz zu „alle Worte“ zu verstehen und bezieht sich auf die Rede Gottes zu Mose in Exodus 20,22-23,23, insbesondere die in Exodus 21,1-23,13 aufgeführten Rechtsvorschriften. Die Antwort des Volkes auf den Bericht Moses bestätigt fast wörtlich Exodus 19,7-8 – es gibt jedoch einen bedeutenden Unterschied in der Formulierung: Nun antwortet das Volk nicht nur „gemeinsam“, sondern vereint „mit einer Stimme“.
Vers 4: Erstmals in der Erzählung der Bibel wird der Wille Gottes niedergeschrieben – ohne das zuvor von Gott ein Verschriftungsbefehl ergangen ist. Dann setzt die Erzählung zeitlich neu ein. Am nächsten Morgen baut Mose einen Altar am „Fuß des Berges“; dort wo das Volk bei der Gotteserscheinung in Exodus 19,17 gestanden hatte. Die Formulierung des Altarbaus ist im Hebräischen nicht eindeutig. Entweder errichtete Mose einen Altar und zusätzlich die zwölf Steinmale, die die zwölf Stämme Israels symbolisieren. Oder, was wahrscheinlicher ist, Mose errichtet aus den zwölf Stelen den Altar (vgl. 1 Könige 18,32). In der damaligen Zeit waren solche Gedenkmale oft unbehauene Steine, womit auch das Altargesetzt in Exodus 20,25 eingehalten wäre: „Wenn du mir einen Altar aus Steinen machst, so sollst du ihn nicht aus behauenen Quadern bauen. Du entweihst ihn, wenn du mit einem Meißel daran arbeitest“ (auch die Nennung der Opferarten in Vers 5 stimmt mit Exodus 20,24 überein). So bilden sozusagen die Zwölf Stämme, die in den zwölf Steinmalen symbolisiert sind, den Altar und somit einen Präsenzort Gottes.
Vers 5: Der Sinn davon, dass die „jungen Männer“ losgeschickt werden, um die Opfer darzubringen, lässt sich erst erkennen, wenn man die Verse 9-11 in den Blick nimmt. Wie in Vers 1 angekündigt werden die Ältesten auf den Gottesberg hinaufsteigen zu einem Festmahl im Angesicht Gottes. Die Nennung beider Gruppen zeigt an, dass alle – von jung bis alt – beteiligt sind. Das genannte Opfertier, die jungen Stiere, werden im Buch Exodus ansonsten nur bei der Weihe der Priester und deren täglich darzubringenden Opfer genannt (siehe Exodus 29,1-46; siehe dazu auch die Erklärung zu Vers 8).
Vers 6: Blut symbolisiert die göttliche Gabe des Lebens und darf gemäß den alttestamentlichen Vorschriften nicht verzehrt werden. So wurde das Blut der Opfertiere stets am Altar vergossen (vgl. zum Beispiel Exodus 29,16; Levitikus 1,5).
Vers 7: Das Bundesbuch und somit die Rechtsvorschriften aus Exodus 21,1-23,13 werden dem Volk vorgelesen; wörtlich steht hier: „er rief in die Ohren des Volkes“. Das Volk stimmt den vorgelesenen Worten als Inhalt des Bundes zu. Doch die Reihenfolge der Formulierung ist verwirrend: „zu tun und zu hören“. Das Tun bezieht sich auf das Halten der Rechtssetzungen Gottes und das Hören drückt die Bereitschaft aus, auch weitere Anweisungen Gottes einzuhalten (vgl. Exodus 23,21 und auch Exodus 19,4-6).
Vers 8: Das Besprengen des Volkes mit Blut steht vielleicht für die verliehene priesterliche Würde. In Exodus 19,6 spricht Gott zu Israel: „... ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“ Bei der Priesterweihe wurde gemäß Exodus 29,20 und Levitikus 8,24 die Priester mit dem Blut der Opfertiere zu ihrem Dienst gesalbt. Oder das Volk wird durch den Akt der Besprengung als „zweiter Altar“, und somit als Ort der Nähe Gottes, markiert. In den in Vers 8 gegebenen Deuteworten der Besprengung des Volkes mit Blut wird eine enge Verbindung zwischen dem „Buch des Bundes“ (Vers 7) und dem „Blut des Bundes“ gezogen. Der Blutritus besiegelt die Annahme des Bundesbuches. Das Deutewort zeigt klar an, dass der Bund zwischen Gott und seinem Volk „aufgund all dieser Worte“, die im Bundesbuch niedergeschrieben sind, geschlossen wird. Religionsgeschichtlich wird oft der gesamte Blutritus (Verse 6 und 8) als Bundesschluss gedeutet, in dem das Blut, bzw. das Schicksal der Opfertiere als Drohung an die Vertragspartner gedeutet wird. Der Altar steht in dieser Deutung als Stellvertretung für Gott.