Es bedarf mehr als menschlicher Kraft und Willensstärke – aber ohne sie handelt Gott scheinbar nicht. Denn während in Exodus 17 unten die Krieger gegen Amalek kämpfen, hält oben Mose den Gottesstab in die Höhe – nur so erringen die Israeliten einen Sieg. Und dabei geht es nicht um kriegerische Lorbeeren.
1. Verortung im Buch
Israel ist durch Gott aus dem Sklavenhaus Ägypten befreit worden. Dieser Exodus endet in Ex 15,21, nachdem die Jubellieber über die endgültige Befreiung verklingen. Doch bevor im Buch Josua das Volk das verheißene Land in Besitz nehmen kann, folgt die Wüstenwanderung, in deren Zentrum die Begegnung Gottes mit seinem Volk am Berg Sinai steht (Exodus 19,1 bis Numeri 10,10). Hier wird der Bund zwischen Gott und seinem Volk geschlossen, hier schenkt Gott seinem Volk die Gesetze. Der Weg zum Berg Sinai wird zweigeteilt erzählt. Kurz nach der Befreiung erzählen Exodus 15,22-17,7 vom Murren des Volkes Israels gegen seinen Gott und der göttlichen Versorgung der Geretteten. In Ex 17,8 kommt Israel dann zu seiner letzten Station bevor der Berg Sinai erreicht ist: Refidim. Nun bewegt sich vorerst nicht mehr Israel, sondern das Volk trifft auf feindliche und hilfreiche Nicht-Israeliten (Exodus 17,8-16 und 18,1-27). Und in beiden Begegnungen geht es bereits um die Zeit nach dem Tod Moses, des Anführers Israels.
2. Aufbau
Räumlich spielt die Erzählung auf zwei Ebenen. Während unten Josua mit seinen Kriegern gegen die Amalekiter kämpft, hält Mose oben – mit der Hilfe Aarons und Hurs – seine Hände erhoben. Josuas Sieg liegt dabei völlig in den Händen Moses. Die Hand als Symbol der Handlungsmacht ist das Leitmotiv dieser Erzählung. In Vers 9 und 11 sagt Mose zu, dass er mit seiner Hand den Gottesstab zum Sieg erhoben halten wird. Für diese Anstrengung bedarf es in Vers 12 bereits die beiden Hände Moses. In der Mitte dieser Aussagen steht der Satz: „Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker.“ Was dieser Satz zu bedeuten hat, entscheidet über die Botschaft der Erzählung.
Zu der Erzählung in den Versen 8-13 gehören die folgenden Verse als abschließender Kommentar hinzu. Nun wird in V 14 erstmals Gott als Handelnder erwähnt und das Motiv der Hand erscheint in Vers 16 nochmals – allerdings ist dieser Vers schwer verständlich und kann verschieden übersetzt werden:
„14 Da sprach der HERR zu Mose: Schreibe das zum Gedächtnis in ein Buch und präge es Josua ein! Denn ich will die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel austilgen. 15 Mose baute einen Altar und gab ihm den Namen: Der HERR ist mein Feldzeichen. 16 Er sagte: Die Hand an des HERRN Feldzeichen! Krieg ist zwischen dem HERRN und Amalek von Generation zu Generation.“
Wie hier in der Einheitsübersetzung wird der hebräische Text oft verändert, da ein darin vorkommendes Wort schwer zu deuten ist. Die Bedeutung des Wortes כֵּס (gesprochen: kes) ist umstritten. Gemeinhin wird es entsprechend des vorherigen Verses als Abschreibfehler gedeutet und durch נֵס (gesprochen: nes) – das bedeutet „Feldzeichen“ – übersetzt. Die antiken Übersetzungen hingegegen verstehen das Wort als eine Kurzform von כִּסֵּא (gesprochen: kise) – das bedeutet „Thron“. Folgt man dieser alten Tradition gibt es immer noch verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten für Vers 16. Zum Beispiel könnte man übersetzen: „Er [Mose] sagte: Fürwahr, die Hand an den Thron Gottes.“ Oder man könnte auch übersetzen: „Er sagte: Weil eine Hand gegen den Thron Gottes (sich erhob)“ – womit dann das kriegerische Auftreten der Amalekiter beschrieben und in den folgenden Worten dann verurteilt wird. Damit würde das Motiv der Hand interessant in Kontrast gesetzt: Die Hand Mose am Gottesstab würde der Hand Amaleks gegen die Macht Gottes gegenüberstehen.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 8: Plötzlich und ohne Beweggrund erscheint das Volk Amalek, das zuvor im Buch Exodus keine Rolle spielt (siehe zu Amalek in „Kontext). Israel hat nicht das Gebiet der Amalekiter betreten, sondern sie kommen zu ihnen und kämpfen mit Israel. Wie und weshalb es zu einer Schlacht kommt wird in der Erzählung nicht erklärt.
Vers 9: Ebenso unerwartet wie Amalek wird nun auch Josua in die Erzählung eingeführt. Er wird der Nachfolger Moses werden und nach dessen Tod Israel in das verheißene Land hineinführen. Hier wird er erstmals genannt, ohne dass er vorgestellt wird. Man erfährt nicht, warum Mose gerade Josua mit der Auswahl der Männer und dem Kampf beauftragt. Dabei liegt auf Josua eine große Verantwortung: Er soll die Kämpfer „für uns“ auswählen, die Israel vor Amalek retten sollen. Aber in der Erzählung geht es nicht um Amalek und auch nicht um Josua. Mose kündigt an, dass er, bzw. seine Hand mit des Gottesstab im doppelten Sinne über der Szenerie steht. Bereits am Anfang des Buches erhält Mose den Gottesstab von Gott mit folgenden Worten: „Diesen Stab nimm in deine Hand! Mit ihm wirst du die Zeichen vollbringen“ (Exodus 4,16, siehe auch dort Vers 20). Dieser Stab spielt nicht nur in den Plagenerzählungen eine wichtige Rolle, sondern auch beim Schilfmeerwunder als Gott zu Mose spricht: „Und du heb deinen Stab hoch, streck deine Hand über das Meer und spalte es, damit die Israeliten auf trockenem Boden in das Meer hineinziehen können!“ (Exodus 14,16). Wie in Moses Worten zu Josua steht der durch Moses Hand erhobene Stab Gottes in enger Beziehung zum göttlichen Handeln für sein Volk. Anders als in der Erzählung vom Schilfmeerwunder handelt Mose jedoch in Exodus 17,9 ohne göttlichen Auftrag.
Vers 10: Und noch eine zuvor unbekannte Person wird sozusagen nebenbei eingeführt: Hur. Warum tritt er gerade an der Seite Aarons, des Bruders Mose und Hohepriesters auf? In Exodus 24,14, als Mose zu Gott auf den Berg Sinai steigt, gibt er das Volk in die Verantwortung Aarons und Hurs. Aber auch dort erfährt man nichts weiteres darüber, wer Hur ist. Vielleicht ist er der Großvater von Bezalel, der von Gott als Baumeister des Wüstenheiligtums berufen wird (Exodus 31,2).
Verse 11-12: Die erhobenen Hände Mose werden oft als Gebetsgestus gedeutet. Allerdings liegt dies nicht im biblischen Text begründet. Außerdem wird dabei nicht beachtet, dass Mose mit seiner Hand den Gottesstab hochhält. Jedenfalls steht das Motiv der erhobenen bzw. niedersinkenden Hände Moses in direkter Verbindung mit dem Kampfgeschehen, das sozusagen in den Händen Moses liegt, währen Josua kämpft. In der Erzählung vom Schilfmeerwunder in Exodus 14 steht der erhobene Gottesstab für das rettende Eingreifen Gottes. Wie dort geht es auch hier in der Erzählung darum, dass Gott mit und durch Menschen handelt. Es bedarf sowohl den mit seinen Männern gegen Amalek kämpfenden Josua, als auch den durch Aaron und Hur unterstützten Mose. Und in dieser Erzählung wird nicht der kriegerische Kampf als das Schwere dargestellt, sondern das Hochhalten des Gottesstabs. Vers 12 betont, dass Mose aufgrund der Dauer seiner beiden Hände bedarf, um den Stab weiter in der Höhe zu halten und selbst seine beiden Hände musste noch von Aaron und Hur gestützt werden. Auch wenn die erhobenen Hände in diesem Fall also kein Gebetsgestus sind, ist das Hochhalten der Hände bzw. des Gottesstabes doch ein Zeichen des Vertrauens auf Gott.
Vers 13: Israel siegt über Amalek – doch der Sieg wird weder Mose noch Gott zugeschrieben. Sondern die Erzählung endet hier mit der Feststellung das Josua Amalek geschwächt und so zurückgeschlagen hat. Hätte Mose seine Hände nicht den ganzen Tag lang hochgehalten, hätte Josua nicht obsiegen können. Und hätte Mose in seiner Hand nicht den Gottesstab gehabt, wäre auch seine Anstrengung vergebens gewesen.