Aus der Sklaverei befreit, verklingt der Lobpreis Israels recht schnell. Ohne versorgt zu sein, schwindet der Glaube recht schnell – und es bedarf neuer Zeichen.
1. Verortung im Buch
Israel hat das Sklavenhaus Ägypten verlassen. Der Gott Israels hat den Pharao samt seinen Streitkräften besiegt und die Israeliten konnten den Lobpreis singen: „Singt dem HERRN ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Ross und Reiter warf er ins Meer.“ (Exodus 15,21). Doch der Weg zum Sinai, dem Gottesberg, wo der Bund zwischen Israel und seinem Gott geschlossen werden wird, ist geprägt vom Murren des Volkes in der Wüste, diesem scheinbar lebenswidrigen Ort (Exodus 15,22-18,27). Man könnte diese Zeit auch als die Pubertät Israels beschreiben (siehe Hosea 11,1) und Gottes liebende Pädagogik. Israel murrt, weil es kein Trinkwasser gibt: „Da murrte das Volk gegen Mose und sagte: Was sollen wir trinken?“ (Exodus 15,24) – und Gott schuf ihnen süßes Trinkwasser und bezeichnet ihre temporäre Notlage als Erprobung (siehe Vers 25). Und im Erzählverlauf direkt darauffolgend murrt das Volk wieder: „Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte in der Wüste gegen Mose und Aaron. Die Israeliten sagten zu ihnen: Wären wir doch im Land Ägypten durch die Hand des HERRN gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen.“ (Exodus 16,2-3) Und wieder versorgt Gott sein Volk – diesmal mit dem Manna und Wachteln. Doch Israel lässt das Murren gegen seinen Gott nicht: „Die ganze Gemeinde der Israeliten zog von der Wüste Sin weiter, einen Tagesmarsch nach dem anderen, wie es der HERR jeweils bestimmte. In Refidim schlugen sie ihr Lager auf, aber das Volk hatte kein Wasser zu trinken. Da geriet es mit Mose in Streit und sagte: Gebt uns Wasser zu trinken!“ (Exodus 17,1-2a). Zuvor hatte Gott sie mit Wasser versorgt und Trinkquellen lagen auf dem Weg (Exodus 15,27), aber wieder mit Mangel konfrontiert, murren sie wieder. Gott hatte ihnen den Weg gewiesen. Warum versorgt er sie nicht ausreichend mit Wasser? Warum wiederholt sich die bereits in Exodus 15,23 erzählte Situation?
2. Aufbau
Gerahmt von den Worten des Volks (Verse 1-3 und 7) steht doch Mose und seine Beziehung zu Gott im Zentrum der kurzen Erzählung (Verse 4-6). Besonders hervorgehoben werden die Ältesten Israels, die als Zeugen für den von Gott gewollten Führungsanspruchs Mose dienen (siehe Verse 4 und 6).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 3: Der Vorwurf des Volkes an Mose wurde bereits zuvor entkräftet. In Exodus 16,3 murrten die Israeliten ebenso: „Wären wir doch im Land Ägypten durch die Hand des HERRN gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen.“ Daraufhin hatte Gott die Israeliten mit Wachteln und Manna versorgt. Nun, wie zuvor, murrt das Volk nicht direkt gegen Gott, sondern gegen dessen Stellvertreter Mose (und seinen Bruder Aaron). Der vorhergehende Vers erklärt, was dieses Murren bedeutet: „Da geriet es mit Mose in Streit und sagte: Gebt uns Wasser zu trinken!“ Es geht hier nicht um einen einfachen Streit, sondern das hebräische Wort וַיָּרֶב (gesprochen: va-jarev) besitzt auch eine rechtliche Konnotation. Die Israeliten bringen ein Anrecht auf Wasser zur Sprache („Gebt uns Wasser zu trinken!“). Sie folgen Mose - bzw. wie der Erzähler kurz zuvor betont -, dem von Gott vorgegebenen Weg. In seiner Antwort verdeutlicht Mose dementsprechend auch in Vers 2, dass die Infragestellung seiner Person einer Erprobung Gottes gleichkommt: „Was streitet ihr mit mir? Warum stellt ihr den HERRN auf die Probe?“
Vers 4: Moses Reaktion ist dramatisch. Er schreit. Selbst hat er keine Lösung parat, wie er mit dem murrenden Volk verfahren soll. Und zugleich geht es ihm selbst an den Kragen. Die Steinigung ist in der Welt des Alten Testaments ein Rechtsmittel das final den (tödlichen) Ausschluss aus der Gemeinschaft besiegelt.
Vers 5: Gott bringt in seiner Antwort seine Nähe zu Mose und dessen gewollten Führungsanspruch zum Ausdruck. Vor den Augen der Entscheidungsträger im Volk, den Ältesten, soll er an die Wunder in Ägypten anknüpfen und seinen Führungsanspruch so untermauern. Gerahmt ist diese Aufforderung durch die zweimalige „Geh!“. Mose soll nicht passiv, tatenlos verharren, sondern handeln.
Vers 6: Der Ort, an dem das Wasserwunder geschehen wird, ist ein bereits seit dem Anfang des Buches Exodus bekannter Ort. Es ist der Ort, wo Gott ihm im brennenden Dornenbusch erschienen war (Exodus 3,1). Gemäß dem Buch Deuteronomium ist der Berg Sinai zu identifizieren mit dem Berg Horeb (siehe auch Exodus 33,6). An diesem Ort stellt sich Gott in den Dienst Mose. Diese radikale Aussage steht hinter der hier verwendeten Aussage Gottes im Hebräischen, עֹמֵד לְפָנֶיךָ (gesprochen: omed lifneicha, „werde ich vor dir stehen“). Gott steht bereits, um den Führungsanspruch Moses zu bewahrheiten durch seine Taten. Das folgende Zeichen ist ein paradoxes Wunder. Aus dem harten Stein sprudelt flüssiges Wasser. Während in Exodus 7,20 der Schlag mit dem Gottesstab auf den Nil das Wasser ungenießbar werden ließ, ermöglicht die Handlung nun die Durststillung.
Vers 7: Die abschließende Notiz überrascht mit dem Verweis auf eine Aussage der Israeliten, die zuvor nicht erzählt worden war. Der Ort wird „Erprobung und Streit“ genannt, weil die Israeliten gesagt haben sollen: „Ist der HERR in unserer Mitte oder nicht?“ Dies verweist zum einen auf die Kritik, dass die Versorgung des Volkes scheinbar nicht gesichert war, obwohl doch Gott durch Mose sein Volk anführe. Zugleich ist diese Frage auch ein Vorverweis. In Exodus 25,8 ordnet Mose am Sinai dann den Bau des mit dem Volk wandernden Wüstenheiligtums an und beantwortet diese Frage somit: „Sie sollen mir ein Heiligtum machen! Dann werde ich in ihrer Mitte wohnen.“