Gott, der eifersüchtig und treu ist, liebt und vergilt. Und es gilt: Eine Auserwählung ist kein Verdienst.
1. Verortung im Buch
Der Gott, der Israel aus Ägypten befreit hat, ist auch der Gott, der die anderen Völker für Israel aus dem Verheißenen Land vertreibt. Er ist der Gott – wie Mose in Deuteronomium 7 in seiner Rede zum Volk mehrfach betont –, der „ dir viele Völker aus dem Weg räumt“ und „sie dir ausliefert“ (siehe Verse 1-2). Theologisch wird dies begründet durch die Schuld der Völker: „Vielmehr rottet der HERR, dein Gott, diese Völker vor dir aus, weil sie im Unrecht sind […]“ (Deuteronomium 9,5). Mit den Völkern des Landes darf das Volk Gottes keine Verbindung eingehen, sondern sie sind zu bannen (Verse 1-5). Nur in der Abgrenzung zu den anderen Völkern ist Segen zu finden (Verse 12-16). Diese radikale Theologie wird in den Versen 6-11 begründet.
2. Aufbau
Am Anfang steht eine Grundsatzerklärung (Vers 6), die begründet wird (Verse 7-8), und woraufhin die daraus folgenden Konsequenzen benannt werden (Verse 9-10). Und am Ende steht der Appell zum Gesetzesgehorsam (Vers 11).
3. Erklärung einzelner Aspekte
Vers 6: Die in den vorherigen Versen geforderte klare Abgrenzung gegenüber den im Verheißenen Land ansässigen Völkern findet ihre Begründung in der Auserwählung Israels, wie sie Gott dem Mose bereits in Exodus 19,4-6 dargelegt hatte. Diese Worte spiegeln das Grundverhältnis Israels zu seinem Gott wieder, zu dem das Volk am Ende des Buches Deuteronomium im Angesichtes JHWHs zustimmt: „Du [Volk Israel] hast ihm erklärt: Du möchtest das Volk werden, das ihm persönlich gehört, wie er es dir zugesagt hat. Du willst alle seine Gebote bewahren; er soll dich über alle Völker, die er geschaffen hat, erheben - zum Lob, zum Ruhm, zur Zierde - ; und du möchtest ein Volk werden, das ihm, dem HERRN, deinem Gott, heilig ist, wie er es zugesagt hat.“ (Deuteronomium 26,18-19). „Heiligkeit“ ist in diesem Kontext kein Zustand, sondern es beschreibt die Beziehung zu Gott, wörtlich: „ein für JHWH heiliges Volk“. Es geht um die am Anfang der Zehn Gebote betonte exklusive Beziehung zwischen Israel und seinem Gott. Sie ist keine Eigenschaft des Volkes, sondern gründet alleine im souveränen Akt der Auserwählung durch Gott. Die Auserwählung macht das Volk zum „Eigentum“ Gottes – und diese Wortwahl findet sich auch in den Dokumenten aus dem Alten Orient, in denen Vasallenkönige ebenso als „Eigentum“ bezeichnet werden.
Verse 7-8: Es ist ein wiederkehrendes Motiv im Alten Testament, dass Gott die Geringen erwählt. Doch selbst im Geringsein ist kein Grund für die Auserwählung gegeben – sondern es ist ein souveräner Akt: Gott liebt aus keinem Grund, sondern er liebt. Anders ausgedrückt: Gott liebt Israel, weil er Israel liebt – und dies ist im Hebräischen mit einem Wort ausgedrückt, dass sich auch als „ins Herz schließen“ übersetzen lässt. Zusätzlich zur Liebe Gottes wird auch seine Treue betont. Die an die Erzeltern ergangenen Landverheißungen werden sich für Israel erfüllen (siehe zum Beispiel Genesis 15) – und der Auszug aus Ägypten sei dafür der versichernde Beweis. Dass die Befreiung aus dem Sklavenhaus Israel zum Eigentum Gottes gemacht hat, wird dadurch betont, dass sie als ein Freikaufen beschrieben wird.
Verse 9-10: Mose verweist direkt auf die Zehn Gebote, in denen Gott selbst über sich offenbart: „Denn ich bin der HERR, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott: Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation, bei denen, die mich hassen.“ (Deuteronomium 5,9). Direkt ins Auge fällt die Änderung vom „eifersüchtigen Gott“ zum „treuen Gott“ – damit einher geht auch die Klärung, dass Gott die Schuld nicht nur „prüft“, sondern sie „vergilt“. Die Treue Gottes führt zur Gerechtigkeit, deren Maßstab das Einhalten seiner Gesetze ist. Hier steht nicht die Barmherzigkeit Gottes im Zentrum, sondern, wie die Aussage „er zögert nicht“ betont, die Vergeltung im positiven wie im negativen Sinne.
Vers 11: Die Aufforderung zum Gesetzesgehorsam bedeutet die Treue Gottes und die Erhaltung des Bundes mit ihm. Die Verse 11 und 12 müssen zusammenhängend gelesen werden. In Vers 12 steht: „Wenn ihr diese Rechtsentscheide hört, sie bewahrt und sie haltet, wird der HERR, dein Gott, dir dafür den Bund und die Huld bewahren, die er deinen Vätern geschworen hat.“ Dem Gesetzesgehorsam geht die Zusage voraus und folgt ihr nach.